7. Februar 2017 | Magazin:

Mensch-Technik-Integration ist Thema auf AAET 2017 Interview mit Fahrzeugtechnik-Experte Dr. Roman Henze

Spricht man über die Zukunft des Autos, dann kommt man am automatisierten und vernetzten Fahren nicht vorbei. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis hochautomatisierte Fahrzeuge auch außerhalb des Testbetriebs mit Serienfunktionen unterwegs sind. Die wichtigsten Fragen und die neusten Entwicklungen werden am 8. und 9. Februar beim 18. AAET-Symposium zum automatisierten und vernetzten Fahren von Expertinnen und Experten diskutiert. Unter ihnen sind auch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Professor Ferit Küçükay vom Institut für Fahrzeugtechnik (IfF) der TU Braunschweig.

Das Forschungsfahrzeug "TIAMO" des Instituts für Fahrzeugtechnik der TU Braunschweig ist auf dem 18. AAET-Symposium in der Braunchweiger Stadthalle zu sehen. (TU Braunschweig/Adrian Sonka)

Das Forschungsfahrzeug „TIAMO“ des Instituts für Fahrzeugtechnik der TU Braunschweig ist auf dem 18. AAET-Symposium in der Braunchweiger Stadthalle zu sehen. (TU Braunschweig/Adrian Sonka)

Herr Dr. Henze, das Programm des diesjährigen AAET-Symposiums enthält in der Session „Mensch-Technik-Integration im Kontext automatisierter und vernetzter Fahrzeugsysteme“ einen Beitrag Ihrer Arbeitsgruppe zum Themengebiet der Objektivierung kombinierter Längs- und Querführung. Was verbirgt sich dahinter?

Mit der fortschreitenden Entwicklung vom assistierten zum automatisierten Fahren, rückt der Mensch sinnbildlich in die Rolle des Beifahrers. Dieser nimmt das dynamische Verhalten beim Beschleunigungen, Bremsen und Spurwechseln anders wahr, als wenn er selbst fahren würde. Fährt das Fahrzeug in Teilen automatisiert, treten Komfort und Sicherheitsempfinden noch stärker in den Vordergrund. Dies geht mit einer Reduzierung der längs- und querdynamischen Vorgänge einher, die für den Fahrzeuginsassen subjektiv als angenehm empfunden werden.

Durch die IfF-Methode der Objektivierung werden diese subjektiven „Grenzkurven“ in Beziehung zu den fahrdynamischen Kennparametern der Längs- und Querführung gesetzt und bilden Grundlage für die Optimierung der Lenk- und Bremsregelstrategien. Die empfundene Kritikalität ist weiterhin stark abhängig vom Situationsbewusstsein – also beeinflusst davon, ob der Mensch im teilautomatisierten Modus die Überwachungsaufgabe noch dauerhaft wahrnimmt oder sich beim hochautomatisierten Betrieb Nebenaufgaben widmen darf.

Auf dem Weg zum vollautomatisierten Fahren muss das Kundenvertrauen erst noch gestärkt werden. Es ist unerlässlich, dass die Systeme fehlerfrei arbeiten und dem Kunden ein nachvollziehbares Systemverhalten dargestellt wird. Die jetzt im Rahmen der AAET durch Florian Krauns präsentierten Forschungsergebnisse bilden essentielle Grundlagen, um die Charakteristik zukünftiger hochautomatisierter Fahrzeuge der eines erfahrenen „idealen Chauffeurs“ gleichzusetzen. Auf der AAET stellen wir unter anderem unser IfF-Forschungsfahrzeug TIAMO aus, auf dem unterschiedliche dynamische Regler-Applikationen live erlebbar werden.

Die zahlreichen Assistenzsysteme in aktuellen Serienfahrzeugen erscheinen als Vorboten des automatisieren Fahrens. Welche Fragen müssen aus Sicht der Fahrzeugtechnik noch beantwortet werden, damit auch hochautomatisiertes Fahren in Serie gehen kann?

Neben den schon genannten Aspekten der Kundenakzeptanz liegt eine der größten technischen Herausforderungen in der Beherrschung der zunehmenden System-Komplexität, besonders im Hinblick auf die zuverlässige Situationserfassung und Car2X-Kommunikation, den erforderlichen Redundanzen in Hard- und Software, an die sich wiederum Fragen der Funktionalen Sicherheit und Gebrauchssicherheit knüpfen. Eine entscheidende Rolle wird die Verlagerung des enormen Testaufwands in die frühe virtuelle Entwicklungsphase spielen sowie die Definition von repräsentativen, international standardisierten Testverfahren für die Homologation und Straßenzulassung der hochautomatisierten Fahrzeuge.

Assistenzsysteme setzen einerseits Wissen und damit Vertrauen, anderseits aber auch Kontrolle der Technik durch Fahrerin oder Fahrer voraus. Werden wir dabei zukünftig auch zuverlässig unterstützt werden?

Eine zuverlässige Unterstützung bei der Fahraufgabe ist mit den heutigen Fahrerassistenzsystemen wie Abstandstempomaten, Spurhalteassistenten oder automatischen Notbremsfunktionen bereits gegeben und deren Wirksamkeit klar nachgewiesen. Ein großes Thema der aktuellen Generation sind Fragestellungen zur Mensch-Maschine-Schnittstelle sowie Benutzerfreundlichkeit und -akzeptanz. Die Systeme können bereits viel mehr als es der Mehrheit der Fahrer bewusst ist. Insofern stellt sich mit den kommenden Entwicklungsstufen zum teil- und hochautomatisierten Fahren auch eher die Frage nach der Handhabbarkeit des Systems im Hinblick auf die eindeutige Übergabe und Übernahme der Verantwortung zwischen „menschlichem“ und automatisierten Fahrmodus. Im vollautomatischen Betrieb wird der Mensch vollständig aus dem Regelkreis genommen, die volle Verantwortung für die Kontrolle geht auf das Automatisierungssystem über. In dem Fall wird der Mensch als Rückfall-Ebene durch entsprechend adaptierte „fail-safe-Strategien“ im Automatisierungssystem ersetzt und darf sowohl die Aufgaben der Umfeld-Überwachung als auch der Quer- und Längsführung an Lenkrad und Pedalen abgeben.

Wenn automatisiertes und vernetztes Fahren Alltag geworden ist, womit würden Sie am liebsten Ihre Zeit während der Fahrt verbringen?

Sofern ich alleine unterwegs bin, würde ich die Zeit darauf verwenden, ein Buch zu schreiben: vom wissenschaftlichen Ansatz aus Sicht der Forschung und Entwicklung zum praktischen Erfahrungsgewinn. In vierzig Jahren wird sich möglicherweise niemand vorstellen können, dass wir jemals selbst gefahren sind. Darüber hinaus halte ich mich weitestgehend konform mit gängigen Meinungsumfragen. Außer Essen und Mediennutzung für Arbeit und private Kommunikation, geben bis zu 30 Prozent der Befragten „Küssen“ als beliebte Nebentätigkeit an. Darüber kennt allerdings nur meine Frau statistische Daten.