12. März 2020 | Magazin:

Forschungsnetzwerk über 9.000 Kilometer Deutsch-japanische Kooperation für automatisiertes Fahren

Vor zwei Jahren unterstrich die Technische Universität Braunschweig ihre international ausgerichtete Zusammenarbeit durch mehrere Memoranda of Understanding (MoU) mit japanischen Einrichtungen im Forschungsschwerpunkt Mobilität. Ein Motor dieser Beziehungen ist das Forschungsfeld „Intelligentes und Vernetztes Fahren“ am Niedersächsischen Forschungszentrum Fahrzeugtechnik (NFF). apl. Professor Roman Henze gewährt einen Blick hinter die Kulissen einer langjährigen Verbundenheit.

Besuch japanischer Delegation des Japan Automobile Research Institute (JARI). Bildnachweis: Isabell Massel/NFF

„Mittlerweile hat sich die Kooperation mit Japan zu einem weit verzweigten Netzwerk entwickelt. Angefangen hat alles in den 1980er-Jahren“, erklärt apl. Professor Roman Henze. Damals war Professor Masao Nagai Gastwissenschaftler am Institut für Fahrzeugtechnik (IfF) an der TU Braunschweig. In Japan leitete er u.a. die Forschungsschwerpunkte „Vehicle Dynamics Control“ und „Active Safety Technologies“ an der Tokyo University of Agriculture and Technology (TUAT). Mit seiner Rolle als Präsident des Japan Automotive Research Institute (JARI) erweiterte sich der Kontakt bis hin zum Verband der japanischen Automobilidustrie (JAMA).

Heute setzt sich die Kooperation zur TUAT bereits in der zweiten Generation fort – durch eine enge Verbindung zu Professor Pongsathorn Raksincharoensak am Smart Mobility Research Center (SMRC). All diese Einrichtungen arbeiten an intelligenten und vernetzten Fahrzeugen, sodass sich immer wieder Gelegenheiten zur Zusammenarbeit mit dem NFF ergeben. „Gerade das SMRC forscht derzeit an vergleichbaren Herausforderungen wie wir. Besondere Aufmerksamkeit der japanischen Kolleginnen und Kollegen erhielten wir durch unsere Beiträge zum Projekt Kooperatives hochautomatisiertes Fahren. Dort waren wir für Funktionsentwicklungen des Autobahnpiloten und das Entwickeln von Testszenarien für das hochautomatisierte Fahren zuständig“, sagt Henze.

Automatisiertes Fahren global harmonisieren

In Japan entsteht derzeit ein Schwesterfahrzeug des IfF HAF-Demonstrators TEASY3 (Testing and Engineering of Automated driving Systems) als einheitliche Forschungsplattform.

„Der parallele Aufbau von Hard- und Software vereinfacht das Vergleichen der Forschungsdaten ungemein. So haben wir die Chance, länderspezifische Besonderheiten zu erkennen und unsere Fahrsysteme an den internationalen Markt anzupassen.“ – apl. Prof. Roman Henze

Beispielhaft stünden hierfür die unterschiedlichen Anforderungen an hochautomatisierte Fahrzeuge beim „Einfädeln“ in europäische und japanische Autobahnen: So ist die europäische Auffahrt mit ausreichend Platz zum Beschleunigen bei gleichzeitig guter Sicht auf den Verkehr für automatisierte Fahrzeuge problemlos zugänglich. Dagegen sind für den Stadthighway in Tokyo Linksverkehr und Auffahrten auf beiden Seiten der Spur typisch. Auch muss dort das Fahrzeug bereits ohne Sichtkontakt zum Highway beschleunigen, um sich dann auf einem kürzeren Streckenabschnitt in den Verkehr einzufügen. Umgekehrt stellen die höheren Fahrgeschwindigkeiten herannahender Objekte in Deutschland eine besondere Herausforderung für den automatisierten Spurwechsel dar.

Prof. Henze mit Prof. Masao Nagai (Präsident JARI) am NFF. Hintere Reihe: Ryo Hasegawa, Jacobo Antona-Makoshi und Hiroki Nakamura. Bildnachweis: Isabell Massel/NFF

„In unserer Kooperation vergleichen wir zunächst die Situationen und entwickeln dann Methoden zur einheitlichen Datenerhebung. Das betrifft sowohl die Interaktion mit anderen Fahrzeugen oder Fußgängern als auch die Beschreibung der Fahrstreckengeometrie und Fahrumgebung. Daraus erstellen wir wiederum Testszenarien. Erst diese Tests sichern dann die Fahrzeuge für eine spätere Zulassung ab. Unser Ziel ist also die globale Harmonisierung aller Rahmenbedingungen für die Umsetzung des hochautomatierten Fahrens.“

Eine Forschungskooperation mit Weitsicht

„Insgesamt entwickelt sich unsere Zusammenarbeit mit Japan sehr nachhaltig. Das große Potential ist dabei noch lange nicht ausgeschöpft“, bilanziert apl. Professor Roman Henze. Kontinuierlich tauschen die Forschungseinrichtungen NFF, TUAT und JARI Expertinnen und Experten aus. In den letzten neun Monaten brachte sich etwa ein japanischer Gastwissenschaftler in die Arbeitsgruppe „Fahrzeugdynamik und aktive Systeme“ ein, während zwei Masterstudierende der TU Braunschweig in Japan zur Datenanalyse und Methodenentwicklung forschten. „Die Brücke zwischen Braunschweig und Japan entwickelt sich so Stück für Stück zu einem generationsübergreifenden Projekt, das neben reiner Wissenschaft inzwischen auch enge persönliche Freundschaften einschließt“, sagt Henze.