Elektromobilität: Nachhaltigkeit in globalen Lieferketten steuern Dr. Christian Thies für Dissertation mit BME-Preis ausgezeichnet
Wie wirken sich unternehmerische Entscheidungen auf Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft aus? Um den Nachhaltigkeitsgedanken stärker in der Industrie zu verankern, bedarf es einer ganzheitlichen Bewertungsgrundlage. Nur so können Unternehmen Nachhaltigkeit sinnvoll steuern. Ganz besonders wichtig ist ein solches Werkzeug, wenn es sich um Produkte mit globalen Lieferketten handelt. Dr. Christian Thies vom Institut für Automobilwirtschaft und Industrielle Produktion hat in seiner Dissertation Konzepte und Methoden zur Nachhaltigkeitsbewertung entwickelt. Am Beispiel der Elektromobilität hat er die praktische Anwendung seines Modells überprüft. Für seine Arbeit wurde er mit dem BME-Wissenschaftspreis ausgezeichnet, einem Preis des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik.
Für viele global agierende Unternehmen ist die Einbeziehung von Nachhaltigkeitszielen bei der Gestaltung und Steuerung ihrer Lieferketten zu einem wichtigen Erfolgsfaktor geworden. Warum aber ist das so? Einerseits gilt es, strengere gesetzliche Anforderungen wie die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards auch über die eigenen Unternehmensgrenzen hinaus (z. B. bei Lieferanten) zu erfüllen. Andererseits kann die konsequente Verfolgung von Nachhaltigkeitszielen Risiken in der Lieferkette reduzieren, das Unternehmensimage fördern, neue Kundengruppen ansprechen und letztendlich Wettbewerbsvorteile herbeiführen.
Die bisher in der wissenschaftlichen Literatur entwickelten Ansätze zur Nachhaltigkeitsbewertung weisen allerdings nach Ansicht von Dr. Christian Thies Defizite auf. Beispielsweise werden oft nur einzelne Dimensionen der Nachhaltigkeit betrachtet. „Es mangelt an einer Integration von ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekten zu einem ganzheitlichen Bewertungsansatz. Darüber hinaus werden die regionalen Unterschiede in globalen Lieferketten nur unzureichend abgebildet und oftmals lediglich gemittelte oder verallgemeinerte Prozessdaten herangezogen, die der wirklichen Ausgestaltung der Lieferkette nicht gerecht werden. Das kann in vielen Anwendungsfällen zu fehlerhaften Ergebnissen führen“, sagt Dr. Thies, der für seine Dissertation mit dem BME-Wissenschaftspreis 2021 ausgezeichnet wurde. Mit dem Preis würdigt der Verband seit 1988 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die eine herausragende Habilitation oder Dissertation zu den Themen Einkauf, Supply Chain Management und Logistik vorgelegt haben.
Regionale Spezifika in globalen Lieferketten
Ausgehend von den Forschungslücken entwickelte Dr. Thies ein neues Konzept für eine Nachhaltigkeitsbewertung sowie eine Modellierungsmethodik, die auf die in der Volks- und Betriebswirtschaftslehre seit langem etablierte Aktivitätsanalyse der beiden Wirtschaftsnobelpreisträger Tjalling C. Koopmans und Gérard Debreu aufsetzt. Er erweiterte die Methodik so, dass neben wirtschaftlichen Kriterien auch ökologische und soziale Aspekte in die Bewertung einbezogen und regionale Besonderheiten bei der Modellierung von globalen Lieferketten berücksichtigt werden.
“Nachhaltigkeits-Hotspots“ finden
Im Ergebnis liefert die Arbeit Bewertungsgrundlagen, die in das strategische und operative Supply Chain Management integriert werden können. Mit diesem Werkzeug können Entscheidungsträger in der Wirtschaft Lieferketten besser gestalten. Sie haben so besser im Blick, welche unternehmerischen Schritte (Lieferbeziehungen, Produktionsstandorte, Distributionsstrukturen u.a.) sich in welchem Maße auf Umwelt, wirtschaftlichen Aufwand und Erfolg sowie auf die Gesellschaft auswirken. „Durch die explizite Abbildung der Zusammenhänge zwischen unternehmerischen Entscheidungen und den ökologischen, ökonomischen und sozialen Auswirkungen können Nachhaltigkeits-Hotspots identifiziert und Verbesserungsmaßnahmen direkt bewertet werden.“
Der Ansatz von Dr. Thies bietet noch einen weiteren Vorteil: „Industrieunternehmen werden dabei unterstützt, die Auswirkungen in ihren Lieferketten transparenter zu machen und letztendlich zu reduzieren, wie es beispielsweise in der der aktuellen Debatte um das geplante Lieferkettengesetz zunehmend gefordert wird.“
Anwendung im Bereich Elektromobilität
Wie sich das Wissen konkret anwenden lässt, zeigt Dr. Thies für den Bereich der Elektromobilität. Ein Beispiel: Lithium-Ionen-Batterien sind eine der Schlüsselkomponenten von Elektrofahrzeugen. Die Wertschöpfungskette der Batterien ist mit enormen ökologischen Auswirkungen und sozialen Risiken verbunden, insbesondere bei der Rohstoffgewinnung und in der Batteriezellproduktion. Diese können von Unternehmen durch eine gezielte Gestaltung der primären Rohstofflieferkette, aber auch durch den Einsatz neuer Recyclingtechnologien zur Rückgewinnung der wertvollen Rohstoffe positiv beeinflusst werden.