19. Februar 2021 | Magazin:

Auf der Jagd nach dem Ungreifbaren Das Teilchen-Experiment, das Majorana-Fermionen finden soll

Seit fast 100 Jahren gelten Majorana-Fermionen als mathematisch möglich, aber experimentell unsichtbar. Es scheint jedoch Quasiteilchen in Supraleitern zu geben, die die Eigenschaften von Majorana-Fermionen haben. Diese Majorana-Quasiteilchen (MQT) zu entdecken, hieße nicht nur, ein weiteres Puzzleteil für das Verständnis der Natur zu finden. MQTs sind theoretisch auch nahezu perfekte Qubits, die Bausteine eines Quantencomputers. Forschende der Technischen Universität Braunschweig errechnen unter anderem im Rahmen des Exzellenzclusters QuantumFrontiers Methoden, um im Experiment dem Unsichtbaren Gestalt geben zu können.

Professor Patrick Recher vor Berechnungen zu Majorana-Fermionen

Auf der Jagd nach Majorana-Quasiteilchen: Professor Patrik Recher. Bildnachweis: Max Fuhrmann/TU Braunschweig

Das uns bekannte Universum teilt sich auf der kleinsten Ebene in zwei Teilchenarten: Bosonen und Fermionen. Viele dieser oft nicht mehr zerkleinerbaren Elementarteilchen haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler experimentell entdeckt und damit bewiesen. Es gibt jedoch nach wie vor Teilchen, die lediglich auf dem Papier, als Ergebnisse mathematischer Gleichungen, existieren. Solche Teilchen sind die Majorana-Fermionen. Ihren Namen haben sie von Ettore Majorana, einem italienischen Physiker, der ihre Existenz bereits 1937 voraussagte.

„Die Eigenschaften der Majorana-Quasiteilchen“, erklärt Professor Patrik Recher vom Institut für Mathematische Physik der TU Braunschweig, „sind selbst für quantenphysikalische Maßstäbe speziell: Zum einen lassen sie sich nicht sauber den Bosonen oder Fermionen zuordnen. Zum anderen entstehen sie nur, wenn andere Teilchen miteinander wechselwirken – zum Beispiel in speziell konstruierten Supraleitern. Und selbst dann sind sie nur dort, wo die Supraleitung gestört wird.“

Ein schwer nachweisbares Teilchen

Wie entwischt ein Teilchen dem Blick der Forschenden, wenn diese doch sehr genau wissen, wo sie suchen müssen? Bosonen und Fermionen haben in der Regel eine charakteristische elektrische Ladung oder ein magnetisches Moment. Das macht sie elektromagnetisch gut beobachtbar. Majorana-Quasiteilchen haben weder das eine noch das andere. Deswegen nähern sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Teilchen nun über Umwege.

Bisher galt die sogenannte Andreev-Reflexion als bester Hinweis für die Existenz von Majorana-Quasiteilchen. An der Grenze zwischen einem Supraleiter und einem Normalleiter zeigt sich bei Spannung null ein Ausschlag im Leitwert des Supraleiters. Die Ursache für den Effekt sollen die MQTs sein. „Allerdings ist die Existenz der Teilchen damit experimentell noch nicht zweifelsfrei nachgewiesen. Es ist lediglich klar, dass es dort welche geben könnte. Also, dass dort etwas ist – nicht was dort ist“, sagt Professor Recher.

Eine Ringwanderung für Quasiteilchen

Zusammen mit seinem Team errechnete Recher ein Experiment, das Majorana-Quasiteilchen greifbar machen könnte. Dafür trennt in einer zylinderförmigen Apparatur ein dünner, normalleitender Ring zwei supraleitende Ringe. Am Übergang zwischen Normal- und Supraleiter, also dort, wo die Supraleitung gestört wird, können MQTs entstehen. Bringt man eine Spannung zwischen den Supraleitern an, bewegen sich die Teilchen entlang des dünnen Rings. Eine am Ring ortsfeste Spitze eines Rastertunnelmikroskops misst einen Strom, wenn eines von ihnen an der Mikrospitze vorbeikommt. Wenn das Teilchen weitergewandert ist, misst sie keinen.

„Majorana-Quasiteilchen gibt es immer nur in Paaren, die sich durch die Rotation auf dem Ring räumlich vertauschen. Dieser Vertauschungsprozess erinnert an das Flechten eines Zopfs. Wir haben errechnet, dass die gemessenen Stromsignale des Mikroskops Informationen über das Flechten der Teilchen in sich tragen. Wenn wir diese Ergebnisse im Experiment wiederholen, dann können wir sicher sein, dass es tatsächlich Majorana-Quasiteichen sind“, sagt Recher.

Ein geflochtener Quantencomputer

Damit aus MQTs Qubits werden, also die Recheneinheit eines Quantencomputers, müssen sie eine Liste an Kriterien erfüllen. Beispielsweise kann über das Flechten die Quanteninformation, also das 0 oder 1 des normalen Computers, präpariert werden. Die Stärke der Teilchen: Für das Auslesen dieser Information, müssen immer zwei MQTs zusammengebracht werden. Solange die Teilchen also getrennt sind, ist die Quanteninformation vor Beschädigung geschützt. Theoretisch wären solche Qubits also fehlerlos.

Wer allerdings Majorana-Quasiteilchen nutzbar machen will, muss einen Weg finden, sie nachzuweisen. Diesem Prozess sind die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Professor Patrik Recher jetzt einen großen Schritt nähergekommen. Im Experiment wird sich dann zeigen, ob Majorana-Quasiteilchen tatsächlich existieren und sich die fast 100-jährige Vorhersage erfüllt.