Vom Podcast zum Kapselwurf Über Übersetzungskulturen in der Frühen Neuzeit und heute
Misshandeltes Kabeljaufilet, spanische Dummkopfcreme, schwedische Heringsdatei oder auch geschlagenes Gemüse. Wer hat nicht schon einmal über unglückliche Übersetzungen von Speisekarten geschmunzelt oder den Kopf geschüttelt. Doch wie kommt es überhaupt zu solchen Übersetzungs-Fails? Wann gilt eine Translation als nicht gelungen? Und was ist überhaupt eine Übersetzung? Das wollten wir von den Germanistinnen Professorin Regina Toepfer, Jennifer Hagedorn und Annkathrin Koppers wissen, die im DFG-Schwerpunktprogramm 2130 „Übersetzungskulturen der Frühen Neuzeit“ forschen und im neuen Podcast „Kapselwurf“ einen Einblick in ihr Projekt geben.
„Übersetzt wurde eigentlich schon immer, bereits in der Antike“, erzählt Professorin Regina Toepfer vom Institut für Germanistik, Abteilung Linguistik und Mediävistik. So wurde ab etwa 250 vor Christus die Bibel in die altgriechische Alltagssprache übersetzt. Der Legende nach von 70 Gelehrten in 70 Tagen. Und auch die deutsche Literaturgeschichte ist eine Geschichte der Übersetzungen, angefangen bei der Übertragung der Bibel aus dem Lateinischen. Dabei gibt es Translationen, die so eng am Ausgangstext sind, dass man sie ohne das ursprüngliche Werk eigentlich nicht verstehen kann. „Es sind in diesem Fall eher Erschließungshilfen“, erklärt Professorin Toepfer. „Vokabelhilfen oder grammatische Hilfestellungen, die in der althochdeutschen Zeit über die Zeilen geschrieben wurden.“ Das Gegenstück dazu sind Texte, die die Übersetzenden sehr frei übertragen haben, so dass sie eher einer Nachdichtung oder Neudichtung gleichen.
In der Frühen Neuzeit (1450–1800), der Epoche, der sich die Wissenschaftler*innen des Schwerpunktprogramms widmen, nimmt die Anzahl der Übersetzungen stark zu. Entscheidend sind hier die Bildungsbewegung des Humanismus und der Wunsch, Originale lesen zu können. Gerade mit Blick auf die Antike, die zu der Zeit als Ideal gilt, werden systematisch große Wissensbestände erschlossen, berichtet Professorin Toepfer. „Die Frühe Neuzeit ist nicht so stark in unserem Bewusstsein, wie zum Beispiel die Antike, das Mittelalter oder die Moderne. In dieser Epoche passieren jedoch viele Veränderungen, die für uns heute noch von prägender Bedeutung sind, auch im Bereich der Übersetzungen.“
Von Keltologie bis Wissenschaftsgeschichte
Doch nicht nur die Übertragung von Sprache spielt im Schwerpunktprogramm eine Rolle. „Es geht um sprachliche Botschaften und sinntragende Zeichen“, erklärt Annkathrin Koppers, Koordinatorin der SPP-Geschäftsstelle. Denn im Gegensatz zur Germanistik, in der sich die Forschenden mit dem Verhältnis von Ausgangs- und Zieltext beschäftigen, interessieren zum Beispiel die Geschichtswissenschaftler*innen andere Aspekte, wie: Was passiert, wenn ein christlicher Gesandter an einen Hof kommt, den ein muslimischer Herrscher aufgebaut hat. Wie reden diese miteinander?Wie wichtig Übersetzungen für ein gesellschaftliches Zusammenleben, Kommunikation, wissenschaftlichen Fortschritt oder Handlungsbeziehungen ist, zeigen auch aktuelle politische Debatten, zum Beispiel über den Umgang mit geflüchteten Menschen oder die Entwicklung wirksamer Strategien gegen eine Pandemie.
Insgesamt sind 35 Wissenschaftler*innen mit 17 Einzelprojekten aus den Disziplinen Keltologie, Geschichte, Alt- und Neugermanistik, Romanistik, Judaistik, Religions- und Kunstgeschichte sowie der Wissenschaftsgeschichte beteiligt, verteilt über 14 Orte in ganz Deutschland. So setzen sich einige Wissenschaftler*innen mit der Übertragung von Musik auseinander bzw. mit Melodieübersetzungen. Andere forschen zu Landkarten und deren Translation oder zu Kunstübersetzungen, also wie Bilder und Architektur von einer Kultur in die andere übernommen werden.
Übersetzungen von Identitätsentwürfen
Dazu haben die am Programm beteiligten Forschenden eine mehrstufige Definition des Übersetzungsbegriffs entwickelt, die Professorin Regina Toepfer so beschreibt: „Wir beginnen auf der Ebene des Textes, mit der Sprache, schauen dann, wie sich Wissensformen, Menschenbilder und Geschlechterkonzepte beim Übersetzen verändern, und berücksichtigen schließlich den gesamten kulturellen Kontext.“
In ihrem Translationsanthropologie-Projekt „Die deutschen Homer- und Ovid-Übersetzungen des 16. Jahrhunderts aus der Perspektive der Intersektionalitätsforschung“ führen Professorin Regina Toepfer und Jennifer Hagedorn verschiedene Forschungsrichtungen zusammen, um die Frage zu beantworten, wie Menschenbilder, Identitätsentwürfe und gesellschaftliche Machtverhältnisse von einer Kultur oder einer Zeit in eine andere übersetzt werden. In diesem Fall von der Antike in die Frühe Neuzeit.
Wenn aus einer Zauberin die Wollust wird
Ein Beispiel: In der Odyssee von Homer wird Circe im Ausgangstext als eine Göttin oder Zauberin dargestellt. In der ersten deutschsprachigen Übersetzung aus dem 16. Jahrhundert legt der Übersetzer in seinen Randnotizen die recht interessante, vielseitige Figur Circe jedoch immer wieder schlicht als Personifikation der Wollust aus. „Solche Umdeutungen finden an vielen Stellen in der Übersetzung statt, um den Inhalt an das Zielpublikum anzupassen“, sagt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Jennifer Hagedorn. „Das löst die Idealvorstellung auf, dass eine Übersetzung eins zu eins in eine andere Sprache übertragen wird.“Hinter der Translationsanthropologie steckt die Idee, Übersetzungen als Schlüsseltexte zu erkennen, die Menschen für Menschen angefertigt haben und die deshalb viel über die Zeit verraten, in der sie entstehen. „Übersetzende haben eine Macht. Sie formen, sie gestalten, haben eine eigene Position, einen Körper, ein Geschlecht, die in die Übersetzung mit hineinspielen“, so Regina Toepfer. Es gebe keine Übersetzung, die für alle Zeiten gültig sei. Auch wenn manche Translationen unsere Wahrnehmung stark prägen, wie zum Beispiel die deutsche Schlegel-Tieck-Übersetzung von Shakespeare.
KI als Arbeitshilfsinstrument
Wann gilt dann eine Übersetzung als gelungen? „Das Zielpublikum entscheidet, ob die Übersetzung funktioniert“, sagt Jennifer Hagedorn. „Die Spezifika des Ausgangstextes dürfen nicht verzerrt werden. Die Übersetzer*innen müssen kulturelle Unterschiede beachten und darauf adäquat reagieren. Letzten Endes gibt es keine allgemeine Formel für gute Übersetzungen. Es ist immer kontextgebunden.“
Hier liegt auch die Krux von Übersetzungsprogrammen, die meist die Ursache für Übersetzungs-Fails auf Speisekarten sind. Die wichtige kreative Transferleistung des Übersetzenden, der sich mit der Kultur des jeweiligen Landes auskennt, fehlt. Annkathrin Koppers sieht die Übersetzungsprogramme deshalb vor allem als Arbeitshilfsinstrumente: „Selbst wenn eine Übersetzungssoftware es schafft, Redewendungen treffend zu übersetzen, ist die Vermittlung von der einen in die andere Kultur entscheidend. Die Stolpersteine kann nur ein Mensch aus der Kultur entdecken, für die die Übersetzung bestimmt ist.“
Diesen Stolpersteinen gehen auch vier Nachwuchswissenschaftler*innen des Schwerpunktprogramms in ihrem Podcast „Kapselwurf“ nach. Unter anderem wollen sie klären, warum der Begriff „Kapselwurf“ keine adäquate Übersetzung für „Podcast“ ist und was bei der Übertragung „schiefgelaufen“ sein könnte. Das interdisziplinäre Team bildet eine sogenannte TransUnit im SPP 2130. Eine Nachwuchsarbeitsgruppe, die neben der Vernetzung und dem Austausch ein gemeinsames Vorhaben realisiert. Neben der TransUnit „Kapselwurf“ haben sich vier weitere Arbeitsgruppen zusammengefunden: „Mission in Translation - Mission (Im)possible?“ zu missionarischem Übersetzen und Katechismen, „Splendid Isolation?“, die den Brexit auf historischer und aktueller Ebene beleuchtet sowie „Mapping Translation“, aus der eine digitale Karte der untersuchten Übersetzungsphänome hervorgehen soll.
Träumendes Gras
„Mit unserem Podcast wollen wir einem breiten Publikum verdeutlichen, welche Herausforderungen, Schwierigkeiten und Probleme beim Übersetzen auftreten können“, sagt Jennifer Hagedorn. Im jeweiligen Homeoffice haben die vier Nachwuchswissenschaftler*innen die Pilotfolge aufgenommen und zusammengeschnitten. Dabei erfahren die Zuhörer*innen, warum es Sinn macht, in manchen Harry Potter-Übersetzungen den Figuren andere Namen zu geben, was Chinglish ist und wie ein Schild mit der Aufschrift „Do not disturb, tiny grass is dreaming“, das Passanten davon abhalten sollte, eine Rasenfläche zu betreten, zu einer kleinen Internetberühmtheit aufstieg.
Weitere Episoden sind im Laufe des kommenden Jahres geplant. In der zweiten Podcast-Folge beschäftigt sich das Team mit Übersetzungspolitik. Welche Machtverhältnisse können Übersetzungen abbilden? Und was sind politische Entscheidungen in und um Übersetzungsprozesse?