11. Februar 2020 | Magazin:

Schichtwechsel am Nordpol Falk Pätzold berichtet von seinem Start der Arktis-Expedition

Noch schiebt sich der russische Eisbrecher „Kapitan Dranitsyn“ Richtung Nordpol. Ziel: „Polarstern“. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der dritten Etappe der Forschungsexpedition MOSAiC werden in wenigen Tagen das Forschungsschiff erreichen. Unter ihnen Dr. Falk Pätzold vom Institut für Flugführung (IFF) der Technischen Universität Braunschweig. Er wird vier Monate an Bord des Eisbrechers bleiben, um Wechselwirkungen zwischen Meereis, Atmosphäre und Wolken zu untersuchen. Über die Erfahrungen der ersten Tage berichtet er:

Ein letztes Selfie mit dem Eisbrecher „Kapitan Dranitsyn“, bevor Falk Pätzold von Tromsø aus Richtung Nordpol startet. Bildnachweis: Falk Pätzold/TU Braunschweig

Nach der Anprobe von Sicherheitsausrüstung, theoretischen und praktischen Sicherheitsübungen, Hinweisen zur Datenhaltung und zur Organisation konnten wir am Abend des 27. Januars an Bord der „Kapitan Dranitsyn“ gehen. Nach dem Beladen und den Ausreiseformalitäten hat das Schiff den Hafen von Tromsø am nächsten Nachmittag verlassen. In einem Fjord etwa 30 Kilometer nordöstlich von Tromsø mussten wir erst einmal für ein paar Tage ankern und auf geeignetes Wetter für die Fahrt zum Eis warten. In der Seemannssprache übrigens „abwettern“ genannt.

Die Zeit bis zur Weiterfahrt nutzten wir, um eine tägliche Routine aufzunehmen, die durch die Mahlzeiten fest getaktet ist. Mal die verschiedenen Arbeitsgruppen, mal das gesamte Team treffen sich, um die verschiedenen Projekte und Vorhaben im Detail vorzustellen, den aktuellen Stand zu besprechen und um Schnittmengen und Anschlusspunkte aufeinander abzustimmen. Durch die aktuellen Gegebenheiten und die gesammelten Erfahrungen auf der „Polarstern“ müssen wir die Projektplanung und die Arbeitspläne kontinuierlich anpassen.

Beeindruckende Polarlichter auf dem Weg zur MOSAiC-Expedition! Bildnachweis: Falk Pätzold/TU Braunschweig

Tischtennisturnier an Bord der Kapitan Dranitsyn

Neben den Besprechungen bleibt momentan noch reichlich Zeit für Entspannung, wenngleich das Angebot begrenzt ist. So findet zum Beispiel ein mehrtägiges Tischtennisturnier statt.

Am Abend des 3. Februars sind die Wetterbedingungen laut Wettervorhersage endlich soweit gut, dass die Fahrt ins Eis gegen 20 Uhr Ortszeit beginnen kann. Was „gut“ bedeutet, zeigt sich nach Verlassen des Fjords mit Windgeschwindigkeiten von über 80 km/h und einem darauf lebhaft reagierenden Schiff.

Die Teilnahme an den Mahlzeiten des nächsten Tages war recht reduziert und auch das sonstige Leben erlahmte. Der Wind ließ zum Abend des 4. Februars vorhersagegemäß nach und wir waren alle frohen Mutes, das wellendämpfende Eis noch an diesem Abend zu erreichen.

Wie dick sind Eis und Schnee?

Leider verschlechterten sich die Bedingungen jedoch in der  Nacht zum 5. Februar noch einmal deutlich mit Spitzenwindgeschwindigkeiten weit über 100 km/h und viel Schneefall. Die hochspritzende Gischt überzog das Schiff komplett mit einer dicken Eisschicht. Wären wir früher ausgelaufen, wäre es wohl noch ungemütlicher geworden.

Nach fünf Tagen vor Anker in norwegischen Fjorden wegen schlechter Wettbedinungen konnte die „Kapitan Dranitsyn“ weiterfahren. Bildnachweis: Falk Pätzold/TU Braunschweig

Im Laufe des 5. Februar ließ der Sturm nach, und wir erblickten das erste Eis. Der Übergang ins Eis begann allmählich gegen 14 Uhr östlich Spitzbergens bei 77° N 32° O – zunächst mit leichten Schlieren über kleine Eisbrocken bis hin zur flächigen Bedeckung. Nachdem wir das Eis erreicht haben, begann auch die stündliche Eisbeobachtung. Dafür treffen sich ein erfahrener Eisbeobachter und ein bis zwei weitere Expeditionsteilnehmerinnen und -teilnehmer, die nach einem standardisierten Verfahren verschiedene Größen, wie Art und Dicke des Eises, die darauf liegende Schneeart und -dicke und weitere Details bestimmen und in eine Datenbank eintragen. Eine Herausforderung dabei: Das Eis ist ein vielfältig zusammengesetztes Gebilde aus verschiedenen Eisarten. Die Beobachtungen fließen in die Interpretation von Satellitenmessungen und die Eisvorhersage mittels Rechenmodellen ein.

Kalt bis eiskalt

An Bord befinden sich neben der russischen Stammbesatzung 41 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sechs Personen für die Logistik – zumeist unterstützende Forscherinnen und Forscher, zum Beispiel für die Eisbärenwache, die Wartung und Herausgabe der Sicherheitsausrüstung sowie des Datenmanagements – ein Helikopterpilot und zwei Mechaniker, eine Ärztin und eine Krankenschwester sowie zwei Meteorologen vom Deutschen Wetterdienst.

Wir passieren derzeit Franz-Joseph-Land westlich bei etwa 80° N 41° O. Das Eis ist derzeit etwa 0,5 Meter dick, die Außentemperatur beträgt -20°C (Windchill etwa -40°C). Von den wenigen Stunden Dämmerung mit ein paar Sonnenstrahlen in Tromsø erahnen wir hier nur noch einen blassen Schein im Süden.