Lehrer, Lehrerinnen, Lehrkräfte Psychologe Dr. Marcus Friedrich zum Gendern
Studenten, StudentInnen, Student:innen, Student*innnen, Studierende, Student/in oder Studentys? Sind diese Schreibweisen Ausdruck einer sich verändernden Gesellschaft? Sind sie politisch motiviert? Und wer bestimmt überhaupt, wie geschrieben wird? Über gendergerechte Sprache wird momentan viel diskutiert. Wir möchten diese Debatte aufgreifen und haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich mit der deutschen Sprache in ihrer Forschung auseinandersetzen, und weitere Mitglieder der TU Braunschweig gefragt, was für sie gutes Deutsch ist, wie und ob Sprache gerecht sein und welche Werte sie erfüllen kann. Ein Beitrag von Dr. Marcus Friedrich, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Pädagogische Psychologie.
Ich habe Psychologie und Philosophie studiert und beschäftige mich in der Forschung vor allem damit, wie Lernumgebungen gestaltet sein müssen, damit die Lernenden gut und gerne lernen. Dabei interessiert mich vor allem die Textverständlichkeit. In diesem Zusammenhang untersuche ich auch die Verständlichkeit der verschiedenen Formen geschlechtergerechter Sprache. Allgemein ist ein Text verständlich, wenn es für die Zielgruppe des Textes leicht ist, eine angemessene Vorstellung vom Inhalt des Textes aufzubauen. Das gelingt vor allem dann, wenn folgende Merkmale erfüllt sind: Der Text verwendet Wörter, die der Zielgruppe vertraut sind. Neue Begriffe werden im Laufe des Textes mehrfach erklärt. Die Sätze haben eine einfache und vertraute Syntax. Der Text ist anschaulich. Der Text hat eine hohe lokale und globale Kohäsion, d. h. er ist insgesamt widerspruchsfrei und sowohl der ganze Text als auch die aufeinanderfolgenden Sätze enthalten keine Lücken, die die Zielgruppe nicht ohne Weiteres füllen kann. Der Text ist ästhetisch ansprechend, indem er bspw. direkte Rede, Fragen, Anekdoten, Analogien und rhetorische Mittel enthält. Schließlich sollten auch die Lesenden Vorwissen und Interesse hinsichtlich des Themas des Textes haben.
In vielen Sprachen wie dem Deutschen oder Spanischen werden oft maskuline Formen verwendet, um Menschen aller Geschlechter zu repräsentieren (das sogenannte „generische Maskulinum“). An dieser Praxis ist oft kritisiert worden, dass sie Frauen und Angehörige anderer Geschlechter, ihre Leistungen und Interessen weniger sichtbar macht. Wenn ich bspw. sage „Die Handwerker sind schon im Haus“ dann ist es eindeutig, dass Männer gemeint sind, ob Frauen oder Angehörige anderer Geschlechter gemeint sind, ist aber jeweils mit einer gewissen Unsicherheit behaftet. Selbst wenn uns bewusst ist, was gemeint sein könnte, beeinflussen unbewusste Prozesse unsere Vorstellungen und unser Verhalten. Und tatsächlich zeigt eine überwältigende Zahl an Studien, dass die Verwendung von maskulinen Formen zur Repräsentation aller Geschlechter dazu führt, dass sich die Lesenden eher Männer vorstellen (der sogenannte „male bias“).
Dieses Ergebnis gilt nicht bei jedem Wort. Bei Bezeichnungen für typisch weibliche Berufe wie Lehrkraft führt das Wort „Lehrer“ aufgrund unseres Vorwissens eher zu angemessenen Vorstellungen der Geschlechterverhältnisse. Bei typisch männlichen Berufen und Berufen mit hohem Prestige wie „Ingenieur“ oder „Manager“ wird der Anteil von Frauen aber unterschätzt. Die Befunde zum male bias sind sehr robust, egal mit welchen Methoden man diese Zusammenhänge untersucht: freie Assoziationen, Fragebögen, Blickbewegungen oder Gehirnströme. Die sprachlichen Formen haben dabei nicht nur einen Einfluss auf die Vorstellungen, sondern auch auf das Verhalten.
Kinder trauen sich typisch männliche Berufe wie Ingenieur:in bspw. eher zu, wenn die Berufe den Kindern in sogenannten Beidnennungen wie „Ingenieurin oder Ingenieur“ präsentiert werden. Frauen fühlen sich stärker angesprochen, wenn die Stellenausschreibungen Neutralformen oder Beidnennungen verwenden, d. h. sie fühlen sich stärker zugehörig und haben mehr Interesse an einer Stelle. Experimente zeigen außerdem, dass auch Außenstehende Frauen als passender für eine Stelle beurteilen und die Wahrscheinlichkeit, dass sie dort erfolgreich sein werden, höher einschätzen, wenn die Stelle in geschlechtergerechter Sprache beschrieben wird.
Gegen geschlechtergerechte Sprache wird oft eingewendet, dass Texte dadurch weniger verständlich würden. Da Texte, in denen maskuline Formen zur Repräsentation aller Geschlechter verwendet werden, zu verzerrten Vorstellungen führen, könnte man argumentieren, dass diese Texte nicht optimal verständlich sind. Experimente zeigen, dass Formen wie „der/die Student/in“, die stärker vom bisherigen Sprachgebrauch abweichen, tatsächlich als insgesamt weniger verständlich empfunden werden. Andere Formen geschlechtergerechter Sprache wie Beidnennungen (bspw. „Lehrerinnen und Lehrer“) oder Neutralformen (bspw. „Lehrkräfte“ oder „Studierende“) beeinträchtigen die Verständlichkeit allerdings nicht. Zuweilen werden Texte in geschlechtergerechter Sprache als etwas weniger ästhetisch ansprechend bewertet. Ästhetische Bewertungen hängen allerdings wesentlich von den Vorerfahrungen ab und mir persönlich scheint eine schwache Beeinträchtigung der Ästhetik ggf. auch ein vertretbarer Preis für angemessenere Repräsentationen der Geschlechter zu sein.
Der Theorie der Gerechtigkeit von John Rawls zufolge ist das gerecht, worauf sich alle Menschen einigen könnten, wenn sie nicht wüssten, welche Eigenschaften sie haben. Und ich denke, wenn ich nicht wüsste, welches Geschlecht ich habe, würde ich mir einen Sprachgebrauch wünschen, der kein Geschlecht bevorzugt. Daher scheint mir diese Art des Sprachgebrauchs tatsächlich gerechter.