7. Juni 2021 | Magazin:

Stern* mit Sinn Gleichstellungsbeauftragte Ulrike Wrobel zum Gendern

Studenten, StudentInnen, Student:innen, Student*innen, Studierende, Student/in oder Studentys? Sind diese Schreibweisen Ausdruck einer sich verändernden Gesellschaft? Sind sie politisch motiviert? Und wer bestimmt überhaupt, wie geschrieben wird? Über gendergerechte Sprache wird momentan viel diskutiert. Wir möchten diese Debatte aufgreifen und haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich mit der deutschen Sprache in ihrer Forschung auseinandersetzen, und weitere Mitglieder der TU Braunschweig gefragt, was für sie gutes Deutsch ist, wie und ob Sprache gerecht sein und welche Werte sie erfüllen kann. Ein Beitrag von Ulrike Wrobel, Leiterin der Stabsstelle Chancengleichheit.

Ulrike Wrobel, Leiterin der Stabsstelle Chancengleichheit. Bildnachweis: Ulrike Wrobel/TU Braunschweig

Der Genderstern und ich, wir kennen uns schon länger. Allerdings hatte ich mich früher seiner Anwendung eher enthalten und nicht so viel Notiz von ihm genommen. Das änderte sich im Sommer 2019, als ich gebeten wurde, zusammen mit der Rechtsabteilung einen Vorschlag für seinen schriftlichen Gebrauch zu machen – die „Empfehlung zur Verwendung des GenderStar“ (Präsidiumsbeschluss 11/2019). Schlagartig wurde ich mir seines großen Potentials bewusst und auch, welche unterschiedlichen, durchaus hitzigen Abwehrreaktionen allein die Empfehlung des Sterns hervorrufen kann. Und es gab andere, die sagten: „Wir benutzen an der TU Braunschweig jetzt auch den Genderstern, das ist super!“

Für mich ist völlig klar: Sprache ist unser Kulturgut, lebendig und veränderbar, was früher astrein war ist heute cool. Ich habe heute Wörter für Tatsachen, von denen ich vorher nicht einmal wusste, dass es sie gibt. Woran das liegt? Am gesellschaftlichen Wandel und an den Veränderungen, die unser soziales Miteinander mit sich bringen. Niemand hat per se die Hoheit über unsere Sprache – vielmehr stehen sie und ihre Regeln in einem ständigen Aushandlungsprozess, der von uns allen getragen wird. So wie eine Gesellschaft ihre Sprache prägt, beeinflusst Sprache auch Gesellschaft[1].

Soziolinguistische Studien stellen fest: Wenn generische Maskulina verwendet werden, ist sowohl seitens der Redenden als auch der Zuhörenden die Assoziation zu Männern stärker als zu Frauen. Dies zeigt sich überdeutlich bei Berufsbezeichnungen und wirkt sich gravierend auf die Vorstellungswelt von Kindern und Jugendlichen aus. Einerseits welchem Geschlecht sie demnach bestimmte Berufe zuordnen und andererseits welche Fähigkeiten sie sich selbst zuschreiben und was sie sich zutrauen: „Sprache reflektiert nicht nur, was ist, sondern durch Sprache wird auch wieder manifestiert, was ist.“ (Prof. Dr. Petra Focks, Erziehungswissenschaftlerin)[2].

Wenn wir also wissen, dass vorrangig Männer vor dem geistigen Auge auftauchen, wenn wir von Wissenschaftlern, Ingenieuren oder Ärzten sprechen, warum ändern wir nicht unsere Sprache? In eine gendersensible Sprache, die benennt, statt mitmeint und nicht von Frauen und Personen nicht-binären Geschlechts erwartet, sich bestenfalls mitgemeint zu fühlen.

Der Genderstern geht einen Schritt weiter als die Doppelnennung. Denn es gibt Menschen, die sich in den binären Geschlechterkategorien männlich und weiblich nicht wiederfinden – das ist eine Tatsache, von der nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs auch unser Gesetz zeugt. Sie haben ein Recht auf Unverletzlichkeit ihrer Würde und Freiheit vor Diskriminierung. Dazu gehört in meinem Verständnis auch das Recht auf die passende Ansprache – seit über zwei Jahren im geänderten Personenstandsgesetz verankert. Vor diesem Hintergrund hat unser Präsidium die Empfehlung zur Nutzung des Gendersterns ausgesprochen[3].

Die Deutungshoheit bei Diskriminierung liegt stets bei den Betroffenen, die Diskriminierung erfahren. In einer demokratischen Gesellschaft gilt es dieses zu hören, ernst zu nehmen und Lösungen zu finden. Diese müssen nicht immer einheitlich sein – und es können verschiedene Formen nebeneinanderstehen. In der Debatte geht es mir, den Gleichstellungsbeauftragten und vielen anderen Beteiligten nicht darum, dass wir alle gleich werden, sondern dass Vielfalt anerkannt und gefördert wird. Und um Sensibilisierung. Explizit gewollt ist die Gleichberechtigung aller Geschlechter.

Mein Ziel ist die Öffnung für MEHR Perspektiven, MEHR Teilhabe, MEHR Selbstbestimmung – das kommt ALLEN Menschen zugute. Bestehende (binäre) Sprachkonzepte können weiterverwendet werden, wem dieses wichtig ist. Allerdings sollte Klarheit über die Konsequenzen des eigenen Sprach-Handelns bestehen: Wen will ich erreichen? Wie sollte ich also sprechen? Und was bin ich bereit dafür zu lernen? Mein eigenes Sprach-Handeln bedarf der stetigen Auseinandersetzung mit ungewohnten Formulierungen, neuen Wörtern und frischen Ideen. Daraus ergibt sich eine neue Vielfalt der Sprache, die im besten Fall mehr Menschen einschließt. Wir haben die Möglichkeit, Menschen sicht- und hörbar zu machen – dadurch, dass wir Worte verwenden und auf andere, diskriminierende, verzichten.

Wir sollten diese Chance ergreifen!

 


[1] Ein vielfältiger Einblick zum Thema findet sich hier: https://www.3sat.de/kultur/kulturdoku/wer-hat-angst-vorm-genderwahn-102.html

[2] https://www.zdf.de/dokumentation/no-more-boys-and-girls, Min. 17:50

[3] Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen (bukof). 2021 Positionspapier Standpunkte für eine geschlechtergerechte Hochschulpolitik. Gendern ändert:
„Sprache ist grundlegend für Gleichstellung
Hochschulen haben viele Gründe, sich für sprachliche Vielfalt stark zu machen. Einerseits stehen sie im Wettbewerb um Talente, Ressourcen und Anerkennung. Sie sind darauf angewiesen, alle zu erreichen, also auch alle anzusprechen. Für die Qualität ihrer Auswahlverfahren ist Sprache damit entscheidend. Andererseits tragen sie gesellschaftliche Verantwortung und agieren richtungsweisend. Nicht nur innerhalb ihrer hochschulweiten Kommunikations- und Aushandlungsprozesse, auch gesamtgesellschaftlich, geben sie Entwicklungsimpulse. Das setzt voraus, dass sie sprachliche Veränderungen anerkennen und vorleben.“