Im Grenzbereich von Recht, Technik, Ökonomie und Gesellschaft Anne Paschke ist Professorin für Öffentliches Recht, insbesondere Technikrecht
Seit 1. Oktober 2021 ist Anne Paschke Universitätsprofessorin für Öffentliches Recht und Technikrecht an der Technischen Universität Braunschweig. Dort ist sie zugleich Direktorin des Instituts für Rechtswissenschaften und Leiterin der Forschungsstelle Mobilitätsrecht. In ihrer Forschung hat sie sich spezialisiert auf Rechtsthemen in der Digitalisierung, in den Bereichen Datennutzung und Datenschutz, E-Commerce, E-Government und E-Health. Seit 2019 ist sie außerdem Referentin für Grundsatzfragen der Digitalpolitik im Bundeskanzleramt.
Frau Professorin Paschke, sind Sie gut an der TU Braunschweig angekommen?
Ich bin sehr herzlich von der Universitätsleitung und der Fakultät aufgenommen worden und habe auch im Vorfeld meines Wechsels viel Hilfsbereitschaft und Wertschätzung erfahren. Das freut mich sehr. Gleichzeitig macht auch bei Professoren die Uni-Bürokratie nicht Halt: Ich musste erst einmal schriftlich eine Online-Kennung beantragen. Da musste ich schon schmunzeln! Sollte jemand zufällig noch ein Onboarding-Handbuch für Professor*innen finden – ich suche noch danach.
Warum haben Sie sich für die TU Braunschweig entschieden?
Aus zwei Gründen: Erstens, die TU Braunschweig bietet für mich als interdisziplinär forschende Wissenschaftlerin ein exzellentes Umfeld. Hier kommt sehr gute Forschung fakultätsübergreifend zusammen. Gerade im Grenzbereich von Recht, Technik, Ökonomie und Gesellschaft und mit Blick auf die Herausforderungen der Digitalen Transformation ist das entscheidend und eine seltene Kombination. Zweitens gibt mir die Leitung des Instituts für Rechtswissenschaften die Gelegenheit, meine Ideen und Konzepte für innovative Lehrformate umzusetzen. So möchte ich das Institut in den kommenden Jahren zu einem der modernsten in Europa ausbauen, was die rechtswissenschaftliche interdisziplinäre Lehre betrifft.
Womit genau beschäftigen Sie sich in Ihrer Forschung?
Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Derzeit diskutieren wir wieder über ein generelles Tempolimit in Deutschland. Eine solche Regulierung hindert mich faktisch aber nicht daran, – regelwidrig – mit 180 km/h auf der Autobahn zu fahren. Autonome Fahrzeuge könnten unterdessen vom Hersteller oder der Zulassungsbehörde von vornherein so eingestellt werden, dass sie maximal 130 km/h auf deutschen Straßen fahren und ich als Fahrer nicht mehr selbst über die Geschwindigkeit entscheiden kann. Solche Konzepte automatisierter Rechtsdurchsetzung sind eine mögliche Folge der digitalen Transformation.
Die rasante Technologieentwicklung führt dazu, dass Geschäfts- und Verwaltungsprozesse neu gedacht und gestaltet werden müssen. Dies ist immer wichtiger für den Staat, erfolgt aus Effizienzgründen in der Wirtschaft und betrifft damit auch die Zivilgesellschaft. Meine Forschung widmet sich den Rechtsfragen der Digitalisierung, speziell aus dem Blickwinkel des Staats- und Verwaltungsrechts, aber auch darüberhinausgehend: Wer entscheidet? Wer ist verantwortlich? Wie können berechtigte Interessen angemessen berücksichtigt und Diskriminierung verhindert werden? Im Ergebnis geht es um die Mitgestaltung an einem Ordnungsrahmen für die digitale Welt, der nachhaltig und gemeinwohlorientiert den Menschen dient.
Was umfasst das Technikrecht und wo spielt es eine Rolle?
Das Technikrecht ist ein Sammelbegriff für alle Rechtsfragen, die mit dem Einsatz traditioneller Technik oder neuer Technologien einhergehen. Hierbei stellen sich viele für die Wirtschaft, aber auch für unseren Alltag relevante Fragen. Zum Beispiel: Wer haftet für Schäden, die beim Einsatz technischer Geräte entstehen? Wie gestaltet man technische Umgebungen so, dass die Interessen aller Betroffenen bestmöglich gewahrt werden? Das Spektrum reicht von einzelnen technischen Geräten wie einer Lieferdrohne über automatisierte Fertigungsprozesse in der Industrie bis zur Gestaltung der digitalen Verkehrsinfrastruktur in einer Smart City.
Was hat Sie dazu bewogen, in diesem Bereich zu forschen?
Ich gehöre zur ersten Generation, die wie selbstverständlich mit digitalen Medien und all den damit verbundenen Chancen und Risiken aufgewachsen ist und bin damit ein digital native. Während mein Alltag also längst von Smartphones, sozialen Netzwerken und Chat-Diensten geprägt war, wurde die Digitalisierung weder in der Schule noch im Großteil meines Studiums thematisiert. Das bedeutete: Wir digital natives haben dort nicht über die systemischen Veränderungen nachgedacht, die wir alle selbst erleben. Jetzt sind wir daher gezwungen, sozusagen „vorwegzudenken“ und das nachzuholen. Seit 2010 befasse ich mich deshalb inzwischen mit den Rechtsfragen in diesem Bereich. Das ist eine einmalige Möglichkeit des aktiven Gestaltens, die mich jeden Tag von Neuem fasziniert. Die Interdisziplinarität der Forschung in dem Bereich ist für mich bereichernd, da am Ende eines Projekts häufig etwas Greifbares entsteht. Außerdem werden mir durch die verschiedenen Sichtweisen auf einen Forschungsgegenstand neue spannende Zusammenhänge gezeigt. Das zwingt mich dazu, meine eigenen Erkenntnisse zu überdenken und zu hinterfragen. Umgekehrt bringe ich selbst eine Perspektive ein, die Techniker und Informatiker häufig nicht kennen.
Sie leiten auch die Forschungsstelle Mobilitätsrecht. Welche Fragestellungen stehen dort im Vordergrund?
Je nach Ausprägung der Mobilität widmet sich die Forschungsstelle ganz unterschiedlichen Fragestellungen. Wir schauen aufs Fliegen genauso wie auf alles, was auf der Schiene passiert, auf Wasserstraßen genauso wie denen aus Asphalt. Außerdem differenzieren wir danach, ob Menschen oder Güter transportiert, vorranging Daten erzeugt und Prozesse optimiert werden. In aktuellen Projekten geht es vor allem um neue Mobilitätsformen, etwa im Bereich der Mikromobilität, also mit motorisierten Kleinst- und Leichtfahrzeugen. Außerdem befassen wir uns mit den Rechtsfragen, die automatisierte Fahrfunktionen und die damit korrespondierenden Mobilitätskonzepte und -dienstleistungen aufwerfen.
Was beflügelt Sie als Wissenschaftlerin?
Ich liebe es, Neues zu entdecken, einzuordnen und die damit verbundenen Erkenntnisse zu vermitteln, insbesondere an Studierende und Fachkolleginnen oder auch der Öffentlichkeit. Diskussionen wie die um E-Scooter oder autonome Fahrzeuge betreffen ja jeden und jede. Vor allem freut es mich, wenn ich Menschen von meiner Arbeit überzeugen kann, die zunächst gegenüber der Digitalisierung bestimmter Prozesse skeptisch eingestellt sind. Wenn für diese Menschen der Mehrwert meiner Forschung durch eigenes Erleben spürbar wird, etwa in ihrer Stadt oder am Arbeitsplatz, dann macht mich das glücklich.
Ein Ausblick auf die Zukunft: Was sind Ihre Pläne für Ihre Forschung oder in der Lehre?
Ich möchte ein bundesweit einzigartiges Forschungszentrum etablieren, das Technik rechtskonform, aber eben auch innovativ mitgestaltet und die Digitalisierung in Deutschland aktiv mitprägt. Ich bin überzeugt davon, dass die TU Braunschweig als Ort von interdisziplinärer Forschung mitten in Deutschland hier alle Chancen hat, auch in Zukunft Talente zu gewinnen und auszubilden, um weiterhin eine starke Marke innovativer und praxisorientierter Forschung im Bereich Technikgestaltung zu sein.