Wege zum Heil – wie aktuell ist das Gesundheitsbild des Mittelalters? Im Gespräch mit Professorin Regina Toepfer
„Heil und Heilung – die Kultur der Selbstsorge in der Kunst und Literatur des Mittelalters“ war der Titel einer interdisziplinären Tagung, die Mitte Oktober in Heidelberg stattfand. Professorin Regina Toepfer, Abteilung Linguistik und Mediävistik am Institut für Germanistik der TU Braunschweig, hat mit ihrem Heidelberger Kollegen Prof. Tobias Bulang die Tagung organisiert. Ihr Thema hat uns neugierig gemacht. Kann das Heilsbild des Mittelalters noch etwas beitragen zu unserem heutigen Gesundheitskonzept? Prof. Toepfer hat unsere Fragen beantwortet.
Frau Professorin Toepfer, Stichworte wie Selbstsorge oder Selbstfürsorge bzw. Achtsamkeit erscheinen uns heute sehr trendy. In ihrer interdisziplinären Tagung in Heidelberg haben Sie gezeigt, dass diese Themen bereits im Mittelalter gelebt wurden. Was bedeutete Selbstsorge damals?
Selbstsorge war schon in der Antike ein zentrales Thema und bedeutete, dass man sich selbst um sein Wohlergehen kümmerte. Im Mittelalter bezog sich die Selbstsorge vor allem auf die Seele, weniger auf den Körper. Selbstsorge war Heilssorge. Die Menschen sorgten sich, nach ihrem Tod in den Himmel zu kommen. Deshalb achteten sie darauf, gute Werke zu tun und fromm zu leben.
Gab es auch im Mittelalter einen Körperkult?
Der Körper spielte in der christlich-mittelalterlichen Religion eine entscheidende Rolle. Die Menschlichkeit Jesu wurde betont, etwa indem man Maria als stillende Mutter darstellte. Die Menschen glaubten an eine leiblich-körperliche Auferstehung der Toten, und sie verehrten die körperlichen Überreste von Heiligen.
Viele Menschen suchen heute ihr Heil in spirituellen Erfahrungen und alternativen Methoden. Welche Rolle spielte damals die spirituelle Dimension?
Spirituelles Heil und körperliche Heilung gehörten untrennbar zusammen. Christus galt als der wahre Arzt, als himmlischer Medicus, der von jeder Krankheit heilen kann. Deshalb sind in medizinischen Handschriften neben Rezepten für Arzneimittel auch viele Gebetsformeln überliefert.
Für hohe Positionen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft scheint körperliche Fitness heute eine wichtige Voraussetzung zu sein. Das konnte man gerade im US-Wahlkampf erleben, wo ein Schwächeanfall der Kandidatin für immens viel Aufregung sorgte. Wie sah das damals aus?
Krankheit wurde im Mittelalter unterschiedlich bewertet. Im höfischen Umfeld war eine körperliche Schwäche noch problematischer als heute. Ein Herrscher sollte nicht nur fit sein, sondern das Wohlergehen seines Reiches verkörpern. War der König krank, erschien das ganze Land schwach. Im religiösen Bereich dagegen verstand man Krankheit als Weg zum Heil. Fromme Menschen pflegten Kranke oder nahmen ihre eigene Krankheit bereitwillig an, um sich durch ihr Leiden Christus anzunähern.
Können wir vom Mittelalter etwas über unsere Gesundheit lernen?
Natürlich hat das medizinische Wissen in den vergangenen Jahrhunderten große Fortschritte gemacht. Trotzdem können wir vom Mittelalter lernen, mit Gesundheit und Krankheit angemessener umzugehen. Erstens ist es wichtig, Gesundheit ganzheitlich zu verstehen. Körper und Geist müssen als eine Einheit betrachtet werden. Zweitens kommt es auf ein ausgewogenes Verhältnis von Aktivität und Gelassenheit an. Im Mittelalter gingen die Menschen davon aus, dass sie für ihr Heil mitverantwortlich waren. Sie wussten aber auch, dass sie sich nicht selbst von allen Übeln heilen können. Eine solche Einstellung kann entlastend sein und fördert damit zugleich die Gesundheit.