25. Mai 2020 | Magazin:

Eisbär im Camp Arktis-Expedition: Falk Pätzold entdeckt die Fährte eines frühmorgendlichen Besuchers im Forschungslager

Dr. Falk Pätzold vom Institut für Flugführung der Technischen Universität Braunschweig gehört zum Forschungsteam der MOSAiC-Expedition in der Arktis. An Bord der „Polarstern“, die eingefroren im Meereis um den Nordpol driftet, ist der Tagesablauf fest strukturiert. Die Arbeit auf dem Eis kann die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den ganzen Tag beanspruchen. Für Abwechslung sorgen neugierige Besucher, Fußballspiele auf der Scholle und die Driftgeschwindigkeit von Eis und Schiff. Falk Pätzold berichtet darüber in einem Logbuch in Form von WhatsApp-Nachrichten:

Die Hubschrauber-Schleppsonde „HELiPOD“ des IFF vor der „Polarstern“. Zusätzlich zu atmosphärischen Messungen wird die Eisoberfläche dokumentiert, Aerosole gemessen und der Einfluss von Wolken analysiert. Bildnachweis: Falk Pätzold/TU Braunschweig

[03.05.2020] Die Driftrichtung und Driftgeschwindigkeit des Eises und damit der Polarstern ändern sich ständig. Es werden Wetten angenommen, was in der kommenden Woche Spannendes passieren wird. Die Längsrichtung des Schiffs hat sich praktisch nicht verändert und variiert leicht zwischen 85° und 90°. Die „Polarstern“ ist in den vergangenen vier Wochen soweit Richtung Süden gedriftet wie während der starken Märzdrift in zwei Tagen.

[26.04.2020] Der Eisbär, der vor drei Tagen hier war, hat Spuren hinterlassen, die an den Tagen danach zusammengetragen werden konnten. Da er kam, als hier sehr früher Morgen war, wurde sein Marsch am Schiff vorbei nur am Ende von Menschenaugen überwacht. Hier gibt es zwar eine 360°-Kamera auf dem Schiff, die im 20-Minuten-Rhythmus Bilder speichert, aber da hatte noch keiner nachgeschaut. Zuvor ist er von Westen kommend durch den sogenannten „OpticTransect“ gelaufen, dessen Betreten für Menschen strengstens verboten ist. In diesem „OpticTransect“ wird regelmäßig an verschiedenen Stellen der Albedo-Wert durch Vergleich von einfallender zu reflektierter Strahlung manuell bestimmt. Das dauert nicht lange und gehört zu meinen Aufgaben. Die Spuren des Eisbärs hatten aber keinen nennenswerten Einfluss. Zu erkennen war, dass er nicht geradlinig durchs Camp gezogen ist, sondern eher wie ein kleines Kind im Zick-Zack-Kurs sich alles angeschaut hat. Schäden wurden keine berichtet, das heißt er war satt. Wegen möglicher hungriger Besucher ist die Lagerung von Lebensmitteln draußen strengstens untersagt.

Apropos Zick-Zack-Kurs: Die Driftgeschwindigkeit ist sehr unterschiedlich. Sie war letzte Woche sehr hoch mit bis zu 1,3 km/h. Seither verlangsamt sie sich stetig und wir sind jetzt wieder bei normalen 0,2 km/h. Die Driftgeschwindigkeit spürt man nicht, sondern erkennt sie nur mit instrumenteller Hilfe. Jedoch bilden sich immer bei Änderungen der Driftrichtung und starker Zunahme der Geschwindigkeit Risse im Eis. Die Kollegen, die bei hohen Driftgeschwindigkeiten das Unterwasserfahrzeug oder andere Gerätschaften ins Wasser lassen, haben dann schon kräftig zu kämpfen.

Bereit für seinen ersten Einsatz: der HELiPOD des Instituts für Flugführung am 10. Mai. Bildnachweis: Christian Rohleder, Creative Commons CC BY-SA 3.0 DE

[19.04.2020] Kurz zur Frage, wie das Leben hier zeitlich organisiert ist: Es gibt einen festen Tagesrhythmus diktiert durch die Uhr, geprägt durch den Wochenrhythmus und Feiertage. Tagesrhythmus: 7.30 Uhr Frühstück, 11.30 Uhr Mittagessen, 15.30 Uhr Kuchen mit warmen Getränken, 17.30 Uhr Abendessen. Die Arbeitszeiten auf dem Eis richten sich danach und sind in die Slots 9 bis 11.30 Uhr, 13 bis 15.30 Uhr und 15.30 Uhr bis 17.30 Uhr unterteilt. Vom strengen Takt der Mahlzeiten muss man sich nicht treiben lassen. So lasse ich das Frühstück immer weg, es sei denn, es geht für mich vormittags raus. Wenn sich das Abendessen gut aufwärmen lässt, findet man dieses sowie weitere Leckereien auch später noch in der Mannschaftsmesse. Die Arbeit auf dem Eis ist nicht auf zwei bis 2,5 Stunden beschränkt. Manche Aktionen dauern von 9 bis 17.30 Uhr. Abends gibt es zudem das eine oder andere Meeting. Gelebt wird nach der Uhr an der Wand. Seit der Zeitumstellung gilt hier dieselbe Uhrzeit wie in Deutschland.

Gleich geht’s los: Die Hubschrauber-Schleppsonde HELiPOD wird nach oben gezogen. Bildnachweis: Christian Rohleder, Creative Commons CC BY-SA 3.0 DE

Die Arbeitszeit an Bord ist für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht wirklich reguliert. Sonntagvormittags soll aber Freizeit sein. Die Crew hingegen unterliegt dem Arbeitsrecht auf See. In der Regel arbeitet sie von 8 bis 17.30 Uhr mit 1,5 Stunden Mittagspause. Die Unterstützung der Crew ist beispielsweise erforderlich, wenn etwas mit Kränen bewegt werden sollen, Schiffseinrichtungen nicht funktionieren oder etwas aus der Werkstatt benötigt wird. Donnerstags (=Seemannssonntag) und sonntags gibt es nach dem Mittagessen Eis. Das hilft bei der zeitlichen Orientierung. Montag bis Freitag hat abends jeweils einer der drei Shops offen, wobei diese Shops praktisch Laderaumtüren mit Durchreiche sind.  Dieser feste Rhythmus wird höchsten von Feiertagen unterbrochen. Ostersonntag wurde zum Mittagessen extra Leckeres serviert und auch die passende Deko angedeutet. Nachmittags gab es einen zweistündigen Osterspaziergang. Andere haben versucht zu angeln. Abends gab’s Gegrilltes. Montagvormittag war frei.

HELiPOD in Action – das erste Mal während MOSAiC! Bildnachweis: Christian Rohleder, Creative Commons CC BY-SA 3.0 DE

Da die Zeit hier nicht übermäßige Abwechslung bietet, gibt es einige Freizeitaktivitäten. So treffen sich bei passenden Wetterbedingungen abends Leute für den Hiking Club und wandern 1 bis 1,5 Stunden durch die Gegend. Vergangenen Sonntag gab es bei milden -6°C abends ein Fußballspiel, das in Ermangelung eines Referees nicht abgepfiffen wurde, sondern erst nach 1 Stunde und 15 Minuten (ohne Pause) zu Ende war, weil die Ersten umgefallen sind – jede Kuhwiese wäre besser bespielbar gewesen. Bei allen Outdoor-Aktivitäten muss selbstredend ein Bear Guard dabei sein.

Noch ein paar Infos zur Drift: Diese läuft nicht kontinuierlich, Richtung und Geschwindigkeit ändern sich oft. Aus der Web-App geht das nicht so im Detail hervor. Der Driftweg lässt sich auf die vorherrschende Windrichtung zurückführen. Aktuell wird sehr warme Luft von Süden herangeführt. Das soll sich ab morgen wieder anders entwickeln.

[07.04.2020] Gestern Nachmittag gab es Besuch von „da draußen“: Ein Aufklärungsflugzeug der Dänischen Luftwaffe, eine Gulfstream 5, hat einen Kreis in 300 Metern Höhe über uns gezogen. Der französische Hubschrauberpilot hier an Bord hat der Besatzung Kaffee und Kuchen angeboten, sollten sie hier landen. Das Wetter, vor allem der Wind, war in der vergangenen Woche insgesamt sehr ruhig, sodass keine neuen größeren Risse im Eis aufgetaucht sind, sondern die vorhandenen wieder zufrieren. Die Temperaturen und damit die Sichtweiten wechseln wiederum rasch. Gestern Abend hat es geschneit und es war kurzzeitig -12°C warm. Heute Morgen waren schon wieder knapp -30°C bei feinem Sonnenschein.

[01.04.2020] Laut offizieller Darstellung ist die Polarstern im Eis festgefroren. Das mag man sich vielleicht vorstellen wie einen Ast, der im Winter im Dorfteich eingefroren ist. Nur trifft diese Vorstellung nicht auf die Situation hier zu, wie treue Leser von Nansens Tagebuch in der WebApp bereits erfahren haben. Das Eis ist, abhängig von Wind und Gezeiten, in Bewegung. Das Schiff wird wie ein Korken dazwischen hin und her gedrückt. Das geht mal lautlos vonstatten, meist aber mit Tönen unterschiedlicher Art und Lautstärke. Diese lassen sich in etwa den Vorgängen draußen zuordnen: Leises Brummeln zeigt an, dass das Schiff langsam rollt. Querneigungen von 5° in beide Richtungen in stündlichem Wechsel sind durchaus normal. Bei lautem tiefknurrendem Geknirsche wird das Schiff rückwärts gerückt. Die Bewegungsgeschwindigkeit ist zwar meist niedrig, in der Größenordnung von einem Meter pro Minute, aber unaufhaltsam. Überraschungen sind nicht ausgeschlossen, denn die Eissituation ist komplex. Nach fünf bis 30 Minuten ist es meist wieder vorbei.

Bis Ende Februar war die Polarstern mit jeweils drei Leinen an Bug und Heck an der Scholle festgemacht und hat sich kaum bewegt. Seit es ab Anfang März starke Rissbildungen gibt, ist sie jedoch nicht so einfach an der Scholle zu halten. Zu hohe Kräfte auf die Eisanker ziehen diese heraus oder lassen die Scholle dort brechen. Auch Taue sind bereits gerissen. Mit der Schollenrandlage und einer permanent leichten Rotation des gesamten Eissystems wirken auf die Polarstern entsprechend Scherungskräfte. Vor zwei Wochen mussten auch mal die Antriebsmaschinen gestartet werden, um die Polarstern an der Scholle zu halten. Auch wurde erwogen, sie auf die andere Seite der Hauptscholle „umzuparken“. Das Manöver wurde allerdings abgesagt, weil sich inzwischen sehr hoher Druck im Eis aufgebaut hatte. Bewegt sich die Polarstern gegenüber der Scholle, kann das die Stromversorgung zu den Geräten auf dem Eis kappen. Tagsüber wurden aus Sicherheitsgründen mehrfach alle Arbeiten auf dem Eis unterbrochen.

Nicole Geffert