25. Mai 2020 | Magazin:

Spurenlesen im Gewässer-Schlamm Dr. Anja Schwarz zur Bedeutung von Wasser in der Stadt der Zukunft

Wasser hat in urbanen Räumen eine jahrtausendealte Geschichte: Städte entstanden vor allem dort, wo ausreichend Wasser vorhanden war – an großen Flüssen oder Seen. Ohne eine ausreichende Wasserversorgung funktioniert auch die Stadt der Zukunft nicht. Welche Bedeutung Wasser für die Stadt von morgen hat und wie der Blick auf die Vergangenheit von Gewässern in der Zukunft helfen kann, berichtet Dr. Anja Schwarz vom Institut für Geosysteme und Bioindikation der Technischen Universität Braunschweig.

Dr. Anja Schwarz bei der Feldarbeit in Tibet auf dem See Nam Co. Bildnachweis: Nicole Börner/TU Braunschweig

Ihr Forschungsschwerpunkt ist die Paläolimnologie. Was genau verbirgt sich dahinter?

Paläolimnologinnen und Paläolimnologen beschäftigen sich mit der Geschichte bzw. Vergangenheit von Seen. Wir versuchen zum Beispiel zu klären, wie sich die Wasserqualität in der Vergangenheit verändert hat oder welchen Einfluss der Mensch auf ein Gewässer hatte. Auch Klimaänderungen können wir ablesen.

Wie machen Sie das?

Wir untersuchen speziell die Seeablagerungen, die sogenannten Sedimente. Diese bergen wir mit verschiedenen Bohrtechniken und schauen uns dann an, welche Organismenreste in den Sedimenten vorhanden sind. Daran können wir die Organismenzusammensetzung rekonstruieren und untersuchen, wie sich diese über die Zeit verändert hat. Diese Organismenreste in einer Probe geben über die Bedingungen zu einer bestimmten Zeit Auskunft, als sich diese Organismen in der Schicht ablagerten. Am Ende ist es quasi wie ein Buch, das man aufschlägt. Im Idealfall können wir die gesamte Entwicklung des Gewässers nachvollziehen.

Kann man durch den Blick in die Vergangenheit auch etwas für die Zukunft ablesen?

Die Erforschung der Vergangenheit kann der Schlüssel für die Abschätzung der zukünftigen Entwicklung sein, vielleicht auch der Entwicklung der Stadt, die um das Gewässer herum liegt. Dort knüpft unsere Forschung an den Forschungsschwerpunkt „Stadt der Zukunft“ an. Wir wollen wissen, wie sich die Gewässer in Städten entwickeln, wenn es wärmer und trockener wird. Man kann anhand der Sedimente untersuchen, ob es bereits in der Vergangenheit solche trockenen Phasen gegeben hat und wie das Gewässer darauf reagierte. Daraus lassen sich Prognosen für die Zukunft erstellen. Gerade wurde passend zu dem Thema ein interdisziplinäres DFG-Projekt bewilligt, das zum Ziel hat, die mittelalterliche und frühneuzeitliche Stadtentwicklung von Bad Waldsee in Oberschwaben zu rekonstruieren.

Entnahme einer Tiefenwasser-Probe aus dem Nam Co. Bildnachweis: Nicole Börner/TU Braunschweig

Das Institut, an dem Sie arbeiten, forscht weltweit, aber auch hier in der Region und am Bodensee. Konnten Sie bereits herausfinden, ob es ähnliche Dürreperioden schon in der Vergangenheit gab?

In unseren weltweiten Projekten entdecken wir immer wieder Beispiele für trockene und feuchte Phasen. Wir können aus unseren Untersuchungen gut ableiten, ob es Seespiegelschwankungen gab, also ob Gewässer flacher geworden sind. Das muss nicht unbedingt immer klimatische Ursachen haben. Wir müssen verschiedene Parameter in die Interpretation mit einbeziehen. Das Institut für Geosysteme und Bioindikation arbeitet sehr stark interdisziplinär: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schauen nicht nur nach den Organismenresten, sondern auch nach bestimmten chemischen Parametern. Ebenso wird anhand von Isotopen-Merkmalen bestimmt, ob das Klima trockener oder feuchter geworden ist. Die Reaktionen der Organismen können auch auf zukünftige Entwicklungen übertragen werden.

Welche Bedeutung hat Wasser für die Stadt und die Stadt der Zukunft?

Gewässer sind Lebensadern einer Stadt, aber Wasser hat auch ganz unterschiedliche Nutzungsinteressen. Zunächst muss einmal die Trinkwasserversorgung in der Stadt gesichert sein. Stadtgewässer nutzen Stadtbewohnerinnen und -bewohner vor allem zur Erholung und zum Transport.

Die Sicherstellung des Wasservorrats in einer guten Qualität ist besonders wichtig. Das ist auch eine der großen Herausforderungen für die Zukunft, wenn man bedenkt, dass Bevölkerungszahlen ansteigen, sich Städte zunehmend verdichten und die Folgen des Klimawandels spürbar werden. Es wird trockener, aber ebenso kann es auch Hochwasser geben, was besonders für Küstenstädte relevant ist.

Können Sie Städte nennen, in denen die Wasserversorgung bereits jetzt zu Problemen führt?

In Südafrika hat es in den vergangenen Jahren weit unterdurchschnittlich geregnet. Kapstadt könnte die erste Metropole der Welt sein, die kein Wasser mehr zur Verfügung hat. Schon jetzt wird der Bevölkerung nur noch 50 Liter Wasser pro Tag und Person zugeteilt.

In Jakarta, Hauptstadt Indonesiens, gräbt sich die Stadt praktisch selbst das Wasser ab. Hier saugt die Bevölkerung zunehmend Grundwasser als Trinkwasser ab. Das führt dazu, dass sich langsam Hohlräume bilden und die darüber liegenden Schichten absinken und damit auch die gesamte Stadt. Bei Hochwasser kann das Meer viel schneller Stadtteile überschwemmen, so das Salzwasser in die Grundwasserleiter eindringt und die Trinkwasserqualität verschlechtert.

Aber auch in Deutschland waren die vergangenen Sommer sehr trocken. Auf dem Rhein war dadurch die Binnenschifffahrt stark eingeschränkt oder gar nicht möglich. Und die Innerste-Talsperre im Harz, die innerhalb des Talsperren-Verbundes wichtig für die Wasserversorgung unserer Region ist, erreichte 2018 einen Tiefststand.

Technikerin Daniela Misch bereitet die Messgeräte zur Probenahme am Spielmannsteich vor. Bildnachweis: Anja Schwarz/TU Braunschweig

Sie untersuchen aktuell am Spielmannsteich in Braunschweig, wie man die Wasserqualität verbessern könnte. Gibt es schon erste Ergebnisse?

Das Projekt hat der ansässige Angelverein initiiert. Das Problem am Spielmannsteich: Bereits seit vielen Jahren herrscht dort eine sehr starke Nährstoffbelastung. Dadurch kommt es ganzjährig zu einer hohen Cyanobakterien-Entwicklung. Blaualgen sagt man leichthin dazu, auch wenn es eigentlich keine Algen sind. Die Bakterien führen zu einer starken Trübung und insgesamt zu einer Artenverarmung. Deshalb wurde im Teich ein Ultraschallgerät installiert. Die Schallwellen sollen dazu führen, dass sich die Cyanobakterien schlechter entwickeln können. Damit wirken sie der Trübung entgegen. So kann das Licht wieder tiefer in das Wasser eindringen, Wasserpflanzen können sich stärker entwickeln, Fische fühlen sich wohler, so dass insgesamt die Vielfalt im Spielmannsteich erhöht wird.

Wie helfen die Ultraschwellen bei der Bekämpfung der Bakterien?

Die meisten Cyanobakterien bilden kleine Kolonien oder Fäden, die durch die Ultraschallwellen gestört werden können – zumindest bei einigen dieser Arten. Das führt dazu, dass die Bakterien auf das Sediment absinken. Momentan sehen wir jedoch leider noch keine positiven Effekte.

Am Spielmannsteich hat uns aber auch wieder unser Blick in die Vergangenheit geholfen: Wir haben uns gefragt, wie es überhaupt zu der Belastung im Teich kam. War es ein einmaliges Ereignis? In diesem Zusammenhang hatten wir die Baumaßnahmen am Autobahnkreuz im Blick. Durch Sedimentuntersuchungen haben wir jedoch festgestellt, dass der Spielmannsteich schon von „Haus aus“ nährstoffbelastet war, sich das Problem aber nach und nach noch verschärft hat. Deshalb sind wir jetzt auf Spurensuche nach den Ursachen.

Wie entsteht eigentlich eine hohe Nährstoffbelastung?

Die Oker hat in der Vergangenheit häufig ihren Verlauf geändert. Die früheren Ablagerungen, sogenannte Auesedimente, befinden sich heute im Einzugsgebiet des Spielmannsteiches. Diese sind sehr nährstoffreich. Wenn das Grundwasser, das den Spielmannsteich speist, mit solchen Auesedimenten in Verbindung kommt, werden Nährstoffe in den See gebracht. Damit ist das Problem auch recht schwierig zu beheben.

Grundsätzlich haben wir bei fast allen Standgewässern in Braunschweig ähnliche Probleme: Je flacher die Gewässer – der Spielmannsteich ist zum Beispiel noch nicht einmal drei Meter tief – desto geringer ist auch das Vermögen, eine Nährstoffanreicherung zu kompensieren. Das Selbstreinigungsvermögen ist größer, wenn die Gewässer ein größeres Wasservolumen besitzen. Neben dem Spielmannsteich haben wir in Braunschweig weitere flache Gewässer, zum Beispiel im Bürgerpark. Diese Gewässer sind auch sehr stark eutrophiert, zu erkennen an der Gewässertrübung.

Technikerin Daniela Misch (l.) und Dr. Anja Schwarz (r.) auf dem Spielmannsteich beim Monitoring Ende März. Bildnachweis: Anja Schwarz/TU Braunschweig

Die Wasserqualität ist also in diesen Seen nicht besonders gut?

Ja, in den flacheren Seen ist das leider der Fall. Dagegen ist im Südsee oder im Ölpersee die Wasserqualität völlig in Ordnung. Auch die Fließgewässer, wie Oker, Schunter und Wabe, haben Güteklasse im Bereich 2 bis 3 auf einer siebenstufigen Skala. Die Gewässer werden regelmäßig überprüft und überwacht.

Dagegen wurde in einer Masterarbeit an unserem Institut leider bereits Mikroplastik in der Oker nachweisen. Die Studentinnen fanden heraus, dass Kläranlagen mögliche Quellen sind. Ebenso Regenwasser mit dem Abrieb von Autoreifen, das von den Straßen über die Kanalisation in die Gewässer geleitet wird.

Sowohl im Wasser als auch im Sediment haben wir unter dem Mikroskop kleine Plastikkügelchen sehen können, die beispielsweise in Kosmetika enthalten sind.

Wie sieht für Sie die Stadt von morgen aus?

Ich wünsche mir, dass man den Individualverkehr mit dem Auto möglichst stark einschränkt und Platz für die Bewohnerinnen und Bewohner schafft. Schön wäre es, wenn sich alle ökologisch in der Innenstadt bewegen – mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Rädern und Lastenfahrrädern. Wasserwege sollten genutzt werden, aber nachhaltig und ökologisch betrieben mit Elektromotoren oder anderen innovativen Antrieben. Es sollte alles so gestaltet werden, dass sich die Stadt nachhaltig und ökologisch entwickeln kann und die Qualität der Gewässer für die folgenden Generationen gesichert wird.

Städte können Keimzellen sein, wenn es darum geht, umzudenken oder Wandel herbei zu führen. Da Städte gut mit öffentlichen Verkehrsnetzen durchzogen sind, könnte von dort aus eine Umgestaltung initiiert werden. Natürlich muss sichergestellt werden, dass jeder versorgt werden kann. Stück für Stück kann man dies auch aufs Land erweitern. Bislang ist es dort noch schwierig, auf das Auto zu verzichten. Aber letzten Endes kommen wir in der Zukunft nicht darum herum.