1. April 2020 | Magazin:

Bild des Monats: Lebende Zellfabriken Aus den Instituten für Festkörpermechanik und für Bioverfahrenstechnik

Auf den ersten Blick könnte es die Graphik einer Wärmebildkamera sein. Tatsächlich zeigt unser Bild des Monats April aber eine lebende Zellfabrik unter dem Mikroskop. Entstanden ist das Bild im Rahmen einer Forschungskooperation des Instituts für Festkörpermechanik und des Instituts für Bioverfahrenstechnik der TU Braunschweig.

Lebende Zellfabrik unterm Mikroskop: Tiefenkodierte Darstellung eines filamentösen Biopellets des Bakteriums Actinomadura namibiensis (Durchmesser ca. 150 µm). Bildnachweis: Markus Böl/TU Braunschweig

Filamentöse, also fadenförmig wachsende Mikroorganismen wie Pilze oder Bakterien der Gattung Actinomyceten werden in der Biotechnologie als lebende Zellfabriken eingesetzt und kultiviert, um beispielsweise wertvolle Enzyme, organische Säuren oder pharmazeutische Wirkstoffe herzustellen. Je nachdem, unter welchen Bedingungen diese Mikroorganismen kultiviert werden, bilden sie unterschiedliche Formen (Morphologien) aus. Ihre fadenförmigen Zellen (Hyphen) können als Myzele wachsen, in denen jede Hyphe vom Nährmedium umgeben ist, oder aber dichte, pelletartige Strukturen bilden, in denen sich die Hyphenagglomerate zu einem meist kugelförmigen Pellet zusammenlagern.

Das Bild des Monats zeigt die Struktur eines derartigen Pellets. Mithilfe eines Konfokalmikroskops, einem speziellen Lichtmikroskop, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Institute für Festkörpermechanik und für Bioverfahrenstechnik die Hyphenstruktur eines Biopellets des Actinomyceten-Bakteriums Actinomadura namibiensis sichtbar gemacht. Die Farbkodierung gibt dabei Aufschluss über die Position der Hyphen: blaue Hyphen befinden sich nahe am Mikroskop-Objektiv, rote sind weiter entfernt.

Kompression von filamentösen Pellets

Eine Eigenschaft von filamentösen Mikroorganismen besteht darin, dass ihre Lebensfähigkeit und Produktivität der Hyphen eng an die Morphologie des Pellets und vor allem an die Dichte der Hyphen geknüpft sind. Durch Änderungen der Kultivierungsbedingungen, wie beispielsweise durch Zugabe von Salz, wird ihre Morphologie maßgeblich beeinflusst. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass durch die Salzzugabe auch die Pelletsteifigkeit erheblich verändert wird. Die Forscherinnen und Forscher der Institute für Festkörpermechanik und für Bioverfahrenstechnik führten Kompressionsexperimente mithilfe eines Mikromanipulators durch. Das ist eine Messeinrichtung, mit der Kräfte und Wege im Mikronewton- bzw. Mikrometerbereich an einzelnen Biopellets aufgenommen werden können. Dabei wurden Biopellets zwischen zwei Plättchen eingespannt und die von der Hyphenstruktur ausgeübte Kraftantwort über dem Plattenabstand bestimmt. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen wurden kürzlich in der Fachzeitschrift Biochemical Engineering Journal veröffentlicht.

Mikromechanisches Kompressionsexperiment an einem einzelnen Pellet (Durchmesser ca. 100 µm). Die Verformung nimmt von links nach rechts zu. BIldnachweis: markus Böl/TU Braunschweig

Actinomadura namibiensis

Als Teil seines Stoffwechsels produziert das Bakterium A. namibiensis die antiviralen Wirkstoffe Labyrinthopeptin A1 und A2. Labyrinthopeptin A1 zeigt eine antivirale Aktivität gegen den menschlichen Immunschwäche-Virus (HIV) und den Herpes-simplex-Virus (HSV). Darüber hinaus wurden synergistische Effekte mit anderen antiretroviralen Standardmedikamenten gefunden, was Labyrinthopeptin A1 zu einem vielversprechenden Kandidaten für die Entwicklung eines neuen Breitbandantibiotikums macht. Im Gegensatz dazu zeigt Labyrinthopeptin A2 eine Aktivität gegen neuropathischen Schmerz.