„Auch für die letzten verschatteten und besonders kritischen Bereiche haben wir ein Konzept“ 2024 wird das TU-Forschungsfahrzeug RAION vollautomatisiert als Shuttle eingesetzt
Der RAION ist das jüngste Mitglied in einer Familie von Forschungsdemonstratoren für das autonome Fahren, die am Institut für Fahrzeugtechnik der Technischen Universität Braunschweig entsteht. Der Name zeigt bereits, wie das Fahrzeug eingesetzt werden soll: „Mit dem „Research vehicle for Automated and Intelligent driving in ON-street applications“ verlassen wir das Labor und erproben den Realeinsatz von neuen autonomen Fahrzeugkonzepten. Bereits 2024 soll RAION als Shuttle am Braunschweiger Forschungsflughafen zum Einsatz kommen. Professor Roman Henze und Projektleiter Torben Hegerhorst vom Institut für Fahrzeugtechnik, angesiedelt am Niedersächsischen Forschungszentrum Fahrzeugtechnik (NFF) im Forschungsfeld „Automatisiertes und vernetztes Fahrzeug“, erzählen uns mehr dazu.
Herr Professor Henze, was unterscheidet RAION von den bisherigen Forschungsfahrzeugen, etwa TEASY 3?
Der maßgebliche Unterschied besteht in dem Fahrzeugkonzept und damit auch dem Anwendungsfall. Die bisherigen Fahrzeuge – wie unser Flaggschiff, der TEASY 3 – basieren auf herkömmlichen PKW und adressieren damit die Individualmobilität. RAION hingegen ist als autonomes Shuttle konzipiert, um mehrere Personen in einem ÖPNV-ähnlichen Szenario auf kurzen Strecken im urbanen Raum zu transportieren.
Könnten Sie uns etwas über die Entwicklung des Fahrzeugs erzählen?
Gestartet sind wir am Institut für Fahrzeugtechnik mit einem Rolling Chassis, das alle wesentlichen Komponenten wie Antrieb, Batterie, Fahrwerk etc. in sich aufnimmt und damit als Basis für den Versuchsträger RAION dient. Die Nutzung einer solchen Plattform bietet uns maximale Flexibilität, was die Erprobung neuer Komponenten wie umfelderfassende Sensorik, angeht. Das ermöglichte es meinem Team, zum einen den futuristischen Aufbau des RAION aufzusetzen und zum anderen das Fahrzeug mit unserem automatisiertem Fahrsystem auszustatten, das eine Weiterentwicklung des TEASY 3-System ist.
Herr Hegerhorst: Das Forschungsfahrzeug nutzt auch Künstliche Intelligenz. Welche Aufgaben übernimmt sie hier?
Das Thema Künstliche Intelligenz bzw. Artificial Intelligence (AI) ist auch im Bereich des autonomen Fahrens von großer Bedeutung und steckt auch schon im Namen des RAION. An unserem Institut kommt Künstliche Intelligenz an verschiedenen Stellen unserer Fahrfunktion, aber vorrangig im Bereich der Perzeption, also der Umfeldwahrnehmung, zum Einsatz. Ein etabliertes Beispiel ist die Verarbeitung von Kamerabildern und die Erkennung von Objekten, z.B. von anderen Verkehrsteilnehmern wie Fußgängern. Aber auch bei der Interpretation von Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer kommen maschinelle Lernverfahren zum Einsatz.
Wozu dient die 360-Grad-Sensorik?
Damit sich ein autonomes Fahrzeug sicher auf der Straße bewegen kann, muss es seine Umwelt kennen und das passiert genau mit der umfelderfassenden Sensorik. Dadurch, dass wir das Umfeld rund um das Fahrzeug mit Laserscannern und Kameras erfassen, bekommen wir ein fast vollständiges Bild der Umgebung. Auch für die letzten verschatteten oder besonders kritischen Bereiche haben wir ein Konzept, das Informationen aus intelligenter Infrastruktur nutzt.
Wie orientiert sich das Fahrzeug auf der Straße? Lernt es vor dem Einsatz die Straßenkarte oder gibt es Schilder am Straßenrand mit Zeichen?
Die Lokalisierung des Fahrzeuges ist eine essentielle Aufgabe, die sicher gemeistert werden muss. Daher kommt hier eine Vielzahl an Verfahren zum Einsatz. Neben einer hochgenauen digitalen Karte der Umgebung werden auch die erfassten markanten Umfeldinformationen wie Schilder, Häuser oder Bäume genutzt. Ergänzt wird dies um eine satellitengestützte Lokalisierung und Eigenbewegungsschätzung – ähnlich der heutigen Navigation mit dem Smartphone.
Wenn von autonomen Fahrzeugen die Rede ist, werden sie verschiedenen Leveln zugeordnet. RAION ist ein Level-4-Fahrzeug. Was bedeutet das?
Level 4 beschreibt den Grad an Autonomie des Fahrzeuges. Man gliedert das autonome Fahren von Level 0, in dem das Fahrzeug vollständig manuell bewegt wird, bis hin zu Level 5, in dem das Fahrzeug vollständig autonom jedes mögliche Fahrziel erreichen kann – vergleichbar mit einem Robo-Taxi. Weit verbreitet sind heutzutage Systeme des Level 2, dazu zählt etwa ein Spurhalteassistent. Aber auch erste Level-3-Systeme, bei denen sich der Fahrer oder die Fahrerin vom Verkehrsgeschehen abwenden darf, haben kürzlich die Zulassung erhalten.
Mit unserem RAION zielen wir hingegen auf Level 4 – man spricht dann auch vom „vollautomatisiertem Fahren“. Hierbei agiert das Fahrzeug unter bestimmten Bedingungen, wie z.B. einer festgelegten Route, vollständig autonom und der Mensch ist komplett von der Fahraufgabe entbunden.
Professor Henze: Ab Mitte 2024 soll RAION auf der Hermann-Blenk-Straße am Braunschweiger Forschungsflughafen regelmäßig zum Einsatz kommen, welche Aufgabe wird das Fahrzeug übernehmen?
Hinter unserer Forschungsvision und -roadmap steht das aus eigenen Ressourcen initiierte „Circle2Circle“-Projekt. Dabei wird RAION zwischen zwei Kreisverkehren entlang der Hermann-Blenk-Straße verkehren und den autonomen Personentransport unter Realbedingungenen erproben. Ziel ist es, das Niedersächsische Forschungszentrum Fahrzeugtechnik (NFF) mit anderen Einrichtungen wie dem Forschungsflughafen oder dem Forschungsparkhaus zu verbinden.
Wird RAION nach der Initialisierung selbständig, ohne menschlichen Eingriff, die Fahrten übernehmen und z.B. zum Feierabend an eine Ladebox ranfahren? Oder anders gefragt: Wie groß ist der Aufwand, gerade vor dem Hintergrund, dass man einen aktiven Fahrer / eine aktive Fahrerin „einspart“?
Das ist unser Ziel: Wir wollen die technische Machbarkeit eines autonomen Fahrzeuges mit Level 4 ohne Sicherheitsfahrer zeigen. Wie von Ihnen angesprochen, ergeben sich hiermit natürlich auch viele Fragestellungen rund um die eigentliche Fahrt, wie z.B. das autonome Laden. Auch hierzu haben wir Forschungsaktivitäten, die aktuell im Kontext des autonomen Parkens im Forschungsparkhaus in Braunschweig erforscht und erprobt werden. Neben dem selbstständigen Anfahren von Ladestationen wird hier auch die Anwendung von Laderobotern untersucht, die selbstständig zum Fahrzeug kommen um dieses zu laden.
Herr Hegerhorst: Welche Daten können Sie auf diesem Testabschnitt sammeln und für welche kritischen Fragen werden sie in folgenden Forschungsprojekten eingesetzt?
Wir gewinnen hier eine Vielzahl an verschiedensten Daten. Neben den offensichtlichen Erfahrungen zur Verbesserung der Algorithmen planen wir auch Nutzerstudien durchzuführen, um das Verhalten des Fahrzeuges den Bedürfnissen der Fahrgäste anzupassen. Diese Daten sind auch für eine spätere kommerzielle Anwendung relevant, um sicherzustellen, dass die technischen Entwicklungen nicht am Bedarf der Nutzer*innen vorbeigehen.
Wie sicher ist das Fahrzeug? Welche Sicherheitsvorkehrungen haben Sie getroffen? Gibt es z.B. eine Art externes Kontrollcenter?
Unser Safety-Konzept ist aufgrund der aktuellen Wettbewerbslage noch nicht veröffentlicht. Wir können aber so viel verraten, dass wir mit zweifach redundanter Intelligenz auf dem RAION arbeiten und in kritischen Situationen Unterstützung durch ein „drittes Auge“ in der Infrastruktur nutzen werden.