Molekulare Uhren entschlüsseln den Ursprung der einzigartigen Tierwelt Madagaskars
Lemuren und Tenreks, Minichamäleons und Riesenschlangen, Giftfrösche und Buntbarsche: Die Tierwelt Madagaskars ist einzigartig, sehr vielfältig und hoch bedroht. Die viertgrößte Insel der Welt gleicht einem faszinierenden Freiluftmuseum: Nirgendwo sonst auf der Erde findet man so viele Endemiten, das heißt Arten, die nur hier und nirgendwo sonst vorkommen. Den Grund dafür können Wissenschaftler jetzt besser verstehen.
Wie aber sind diese exotischen Tiere überhaupt nach Madagaskar gekommen? Dies war lange eine völlig ungeklärte Frage, denn Madagaskar ist bereits seit der Kreidezeit, also seit etwa 90 Millionen Jahren, von allen anderen Kontinenten getrennt. Und Fossilien aus der Kreidezeit zeichnen das Bild einer Urwelt, die nichts mit den heutigen Madagassischen Tieren zu tun hatte: Dinosaurier und Beuteltiere, Lungenfische und Knochenhechte, pflanzenfressende Krokodile und Riesenkröten besiedelten damals die Insel.
Viele Arten wanderten vor 60 bis 70 Millionen Jahren ein
Forscher der Technischen Universität Braunschweig beschäftigen sich seit vielen Jahren mit dem Ursprung der Fauna Madagaskars. Noch vor kurzem galt dieser als eines der größten Rätsel der Biogeographie. Dieses Rätsel kann nun als gelöst gelten. In gleich zwei parallel erscheinenden Studien im angesehenen Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA“ (PNAS) berichten Forscherteams unter Beteiligung der TU Braunschweig über genetische und statistische Ergebnisse zur Besiedlungsgeschichte Madagaskars.
Insbesondere die molekulargenetischen Daten aus Braunschweig gaben dabei den Ausschlag: Mittels so genannter molekularer Uhren konnte der Ursprung der madagassischen Wirbeltiere durchgehend auf relativ junge Zeiträume datiert werden. „Die Vorfahren der meisten dieser Tiere erreichten Madagaskar vor etwa 60-70 Millionen Jahren, und müssen nach unseren Erkenntnissen über den Ozean verdriftet worden sein.“, so Prof. Dr. Miguel Vences, in dessen Arbeitsgruppe die Studien durchgeführt wurden. „Zum größten Teil stammten diese Tiere aus Afrika, und wie frühe Versionen von Robinson Crusoe wurden sie von großen Wirbelstürmen auf schwimmenden Baumstämmen an die Küsten der Insel gespült“.
Vor 2000 Jahren: Mit dem Menschen kam die gefährlichste Spezies
Die Verdriftungs-Theorie wird auch durch andere Daten gestützt: Denn Besiedlungen durch Vorfahren aus Asien erfolgten hauptsächlich zu jener Zeit, als zwischen Madagaskar und Asien noch eine relativ geringe Meerenge bestand. Und Besiedlungen aus Afrika wurden sehr selten, nachdem die vorherrschenden Winde begannen, in die „falsche“ Richtung zu wehen und somit Tiere eher von Madagaskar nach Afrika als von Afrika nach Madagaskar zu treiben. „Seit 15 Millionen Jahren kamen kaum noch neue Tiergruppen über das Meer nach Madagaskar, so dass die Tierwelt Madagaskars in fast völliger Isolation ihre heutigen Spezialisierungen entwickeln konnte“, so Vences. Entscheidend für die Artenvielfalt war dabei der tropische Regenwald: Nur solche Tiergruppen, die sich an diesen Lebensraum anpassen konnten, fächerten sich in eine große Artenfülle auf.
Ein Wermutstropfen bleibt: Der Mensch dagegen kam erst vor etwa 2000 Jahren nach Madagaskar. In dieser kurzen Zeit schaffte er es, Riesenschildkröten, Riesenlemuren und Riesenvögel auszurotten, und viele andere Tiere in Madagaskar sind durch menschliche Aktivitäten kritisch gefährdet. Dr. Angelica Crottini, eine der Mitarbeiterinnen des Braunschweiger Teams, betont: „Nur durch eine Intensivierung der Naturschutzbemühungen kann diese einzigartige Fauna gerettet werden“.