11. Juli 2023 | Magazin:

Zukunft der Luftfahrt: „Wir brauchen kluge Ingenieursköpfe!“ Ingo Staack ist Professor am Institut für Flugzeugbau und Leichtbau

Im Mai 2023 wechselte Ingo Staack nach über zehn Jahren an einer schwedischen Universität zur TU Braunschweig. Attraktiv waren für ihn der gute Ruf der Luft- und Raumfahrtforschung in Braunschweig und die vernetzte Forschungsumgebung. An der Universität möchte er die Neuausrichtung des Instituts für Flugzeugbau und Leichtbau fortsetzen, das auch am Exzellenzcluster SE2A mit einem Projekt beteiligt ist[1]. Überhaupt hat Professor Staack viele Pläne und bringt dafür eine Menge Begeisterung mit. Wie er nach Deutschland zurückkehrte, woran er forscht und was ihn motiviert, das lesen Sie in den Antworten auf unseren Fragebogen.

Herr Professor Staack, sind Sie gut an der TU Braunschweig angekommen?

Prof. Ingo Staack. Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig

Ja, danke, die Übergangszeit von meiner bisherigen Wirkungsstätte, der Linköping Universität (LiU) in Schweden hier zur TU Braunschweig war eine sehr stressige, aber auch schöne Zeit. Neben all den beruflichen Dingen muss man ja auch noch einige private Dinge regeln wie z.B. Wohnungssuche, Um- und Abmeldungen. Ich bin am ersten Mai nach Braunschweig geflogen, habe meine Wohnung bezogen, ein Fahrrad gekauft und stand am zweiten Mai um 8 Uhr im Institut. Sie kennen nicht zufälligerweise jemanden, der ein Segelboot oder temporär eine Wohnung in Linköping bräuchte?

Warum haben Sie sich für die TU Braunschweig entschieden?

Nach 14 Jahren an der gleichen Universität wollte ich nochmal etwas Neues sehen. Nun ist es ja nicht so, dass tagtäglich eine Professorenstelle für Flugzeug(vor)entwurf ausgeschrieben wird! Das sind einmalige Gelegenheiten, die man sich nicht gerne entgehen lässt. Und die Kombination der Luft- und Raufahrtexpertise innerhalb der TU Braunschweig mit dem Forschungsökosystem aus Forschungsflughafen, DLR, der Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB), Luftfahrtbundesamt (LBA) und der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) ergeben ein sehr aktives, interessantes, renommiertes und international etabliertes Luftforschungsumfeld.

Welche Unterschiede sind Ihnen zwischen Schweden und Deutschland aufgefallen?

Um ehrlich zu sein, bin ich noch gar nicht zum Essen gekommen. Aber mir ist aufgefallen, dass die TU Braunschweig im Vergleich zur LiU anders organisiert und aufgebaut ist. Das liegt sicherlich einerseits an der technologieoffenen Denkweise der Skandinavier und zum anderen in der diametral aufgebauten Organisationsform der beiden Universitäten; kurz gesagt, ich wechselte von der jüngsten schwedischen Universität (von 1975) zur ältesten in Deutschland (1745). An der LiU war ich Teil von 450 Mitarbeitern im Institut für Management und Engineering, jetzt sind wir am IFL (Institut für Flugzeugbau und Leichtbau) ein Team von momentan circa 35 Personen. Momentan ist dadurch alles anders und ungewohnt. Was besser und schlechter ist, kann ich wohl erst in ferner Zukunft bewerten.

Womit genau beschäftigen Sie sich in Ihrer Forschung?

Oh, wir beschäftigen uns mit der Zukunft des Fliegens, hauptsächlich mit dem zivilen Lufttransport aber auch Spezialanwendungen wie z.B. Flugzeugen zur Waldbrandbekämpfung, Rettungsmissionen oder unbemannten Luftfahrzeugen (UAVs). Allerdings bauen wir (noch) keine Flugzeuge selbst, sondern machen hauptsächlich Technologiebewertungen und analysieren zukünftige Konfigurationen und die daraus entstehenden Designkonsequenzen (z.B. Konfiguration, Gewicht, Größe, Performance und Kosten). Sozusagen Papier-flieger, äh, -tiger.

Was hat Sie dazu bewogen, in diesem Bereich zu forschen?

Die Neugier, die Faszination am Fliegen, insbesondere dem motorlosen Segelflug, und an der Konstruktionslehre im Allgemeinen. Letzteres sieht man sehr schön an alten Redewendungen wie z.B. „Wissenschaft und Kunst[2], wobei mit Kunst die Ingenieurskunst gemeint ist (z.B. die Wasserkunst im Harz!) und nicht der heute gebräuchliche Kunstbegriff im Sinne einer darstellenden und visuellen Kunst. Wir wissen nun seit genau 120 Jahren, wie man Motorflugzeuge konstruiert und sind – dank stetiger technologischer Weiterentwicklung – noch lange nicht am Ende einer faszinierenden Entwicklungskette angelangt! Um diese Erfolgsgeschichte trotz der heutigen Herausforderungen (globale Erderwärmung, nachhaltige Gesellschaft) fortsetzen zu können und uns im internationalen Wettbewerb zu behaupten, brauchen wir auch in Zukunft kluge Ingenieursköpfe!

Was war Ihr schönstes Erlebnis als Wissenschaftler?

Oh, schwer zu sagen! Forschung und Lehre beinhalten so viele Herausforderungen und Möglichkeiten, dass es schwierig ist, ein schönstes Erlebnis zu definieren. Als Teamplayer ist es sehr schön zu sehen, was man gemeinsam z.B. in einem Forschungsprojekt erreichen kann, wenn alle tatkräftig mit anpacken. Persönlich ist es sehr erfüllend, wenn man mit sich selbst nach einer Präsentation oder Vorlesung zu 100% zufrieden war (was nicht oft vorkommt!), wenn ein Projektantrag bewilligt wird oder ein Projekt erfolgreich abgeschlossen werden kann. Aber am schönsten ist es wohl, wenn ein Doktorand seine Promotion erfolgreich abgeschlossen hat, auch wenn da oft wieder ein weinendes Auge dabei ist, weil dann die Person oft die Gruppe verlässt.

Prof. Sebastian Heimbs (Leiter des IFL), Präsidentin Angela Ittel und Prof. Ingo Staack. Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig

Ein Ausblick auf die Zukunft: Was sind Ihre Pläne?

Definitiv eine Fortsetzung der begonnenen Neuausrichtung, Erneuerung und Reorganisation des Instituts für Flugzeugbau und Leichtbau (IFL) in einem ganzheitlichen Ansatz zusammen mit Prof. Sebastian Heimbs als Institutsleiter. Gemeinsam mit unserem internationalen, jungen und dynamischen Team arbeiten wir Hand in Hand, um das IFL auf die zukünftigen Herausforderungen und Bedürfnisse in Forschung und Lehre auszurichten. Dazu gehören neben allgemeinen Herausforderungen wie z.B. „New Work“-Arbeitsformen die digitale und international vernetzte Lehre, ein neues Drohnenlabor für Forschung und Lehre, die Modernisierung der Experimentierhalle und der Mitarbeiterarbeitsplätze, die Schaffung einer guten Lernumgebung für unsere Studierenden, eine sichere IT-Infrastruktur und vieles mehr.

Ein gemeinsamer Forschungsschwerpunkt ist natürlich die Nachhaltigkeit und zukünftige emissionsfreie Luftverkehrsszenarien. Um dies zu bewerkstelligen, müssen einerseits Technologiemöglichkeiten (z.B. neue faserverstärkte Werkstoffe, Konstruktionsprinzipien und Fertigung) und Risiken (z.B. Wasserstofftank und Crashverhalten) in High-Fidelity-Simulationen untersucht werden. Zum anderen müssen makroskopisch die globalen Wirkungsketten und deren Einflüsse bzw. Emissionen und Kosten betrachtet werden; dies wird als Lebenszyklusanalyse bezeichnet.

Neben all diesen Themen sind für uns auch das veränderte Ingenieursumfeld durch neue Technologien – Stichwort Künstliche Intelligenz (AI) – die Wahrnehmung und Akzeptanz der Technik in der Gesellschaft (Stichwort Flugscham und Fridays for Future) und als wichtigster Punkt die Herausforderung, mehr Mädchen und Frauen für die Luft- und Raumfahrt in Lehre und Forschung zu begeistern, von Bedeutung.

Was möchten Sie den Studierenden mit auf den Weg geben?

Träume dein Leben – lebe deinen Traum! Man sollte sich auf seine Stärken konzentrieren und nicht (zu sehr) auf Lebenslaufoptimierer oder Jobprognosen hören. Man wird nur Experte in dem, was man gerne macht. Aber als junger Mensch weiß man oft noch nicht, was einem später einmal Spaß machen wird. Deshalb ist es gut und richtig, mit einer offenen Grundhaltung verschiedene Dinge auszuprobieren und für sich selbst den richtigen Weg zu finden. Ich habe mich beispielsweise während meines Studiums an der TU München dem aktiven Bauen, Konstruieren und (Er-)Fliegen in der Akademischen Fliegergruppe (Akaflieg) gewidmet, was mir sehr viel zum Verständnis der Luftfahrt beigetragen hat. Die Praxis ist die perfekte Ergänzung zur Theorie und toppt jedes Fachbuch!

Was möchten Sie noch hinzufügen?

Vielleicht die Erkenntnis, die sich einem eröffnet, wenn man längere Zeit in einem anderen Land und Kulturkreis verbracht hat: eine andere Sprache und eine andere Einstellung ist so wertvoll und hält einem selbst den Spiegel vor! Ich hoffe, dass ich meine skandinavisch geprägte Einstellung konservieren und zumindest teilweise an die TU Braunschweig transferieren kann. Wenn wir alle etwas mehr fika, lagom, sunft vernuft und konsensorientiert wären, würden wir uns gesellschaftlich (insbesondere im MINT-Bereich) viel leichter, besser und effektiver tun!

Vielen Dank.


[1] ICA B5 JRG „Long-range aircraft configurations and technology analyses“
[2] Im Logo der Königlichen Universität Stockholm, KTH, gegründet 1827.