Wider die „Hochwasserdemenz“ Professor Kai Schröter ist neuer Leiter der Abteilung Hydrologie, Wasserwirtschaft und Gewässerschutz des LWI
Hochwasserrisiken, Hochwasservorhersagen und -warnungen gehören zu den Forschungsthemen von Professor Kai Schröter, dem neuen Leiter der Abteilung Hydrologie, Wasserwirtschaft und Gewässerschutz des Leichtweiß-Instituts für Wasserbau (LWI). Am 1. April trat er die Nachfolge von Professor Günter Meon an, der in den Ruhestand gegangen ist. Weitab vom Wasser, hoch oben in seinem Büro an der Beethovenstraße in Braunschweig haben Bianca Loschinsky und Heiko Jacobs mit ihm über Warn-Apps, Klimawandel und „Hochwasserdemenz“ gesprochen.
Herr Professor Schröter, vielen Dank, dass Sie sich sofort zum Antritt Ihrer neuen Leitung Zeit nehmen. Haben Sie schon „Oberwasser“, konnten Sie sich bereits etwas einrichten an Ihrem neuen Platz?
Wie Sie sehen, sind die Regale noch etwas leer. Mit dem Start des Semesters ist hier natürlich viel los. Aber ich hatte Glück, dass es in meiner Abteilung einen nahtlosen Übergang gab. Mein Vorgänger, Herr Professor Günter Meon, war bis zuletzt da und hat mich im Vorfeld ganz großartig unterstützt und ist auch weiterhin mit Rat und Tat da. Ebenso erhalte ich in der Abteilung tolle Unterstützung vom Team, das mich sehr freundlich empfangen hat, genauso wie die anderen Abteilungen des LWI und die Fakultätsleitung. Ich habe also das Gefühl, hier sehr willkommen zu sein!
Zu Ihren Hauptthemen gehört das Hochwasserrisikomanagement. Vergangenes Jahr kam dieses Thema durch die Katastrophe im Ahrtal jedem ins Bewusstsein. So eine Katastrophe hat ja mehrere Seiten, neben den präventiven Maßnahmen und den unmittelbaren Rettungsmaßnahmen hat hier vor allem das Warn-System, die Kommunikation versagt. Gehört das Kommunikationsmanagement auch zu Ihren Forschungsbereichen?
Ja, die Kommunikation von Risiken ist natürlich ein wichtiger Baustein des Hochwasserrisikomanagements. Ebenso die Übersetzung der Informationen, damit die Menschen ganz konkret wissen, was zu tun ist. Die Katastrophe im Ahrtal mit der extrem hohen Anzahl von Todesopfern hat noch einmal deutlich gemacht, wie wichtig und zentral das ist, gerade bei sehr dynamischen Ereignissen.
Die Kommunikation umfasst über die reine Information hinaus auch den Austausch von Daten verschiedener beteiligter Akteur*innen. Hier müssen Daten und Informationsflüsse zusammengeführt sowie zugänglich gemacht werden. Wie man Systeme so aufstellen kann, dass Informationen nicht auf der Strecke bleiben, damit befassen wir uns auch.
Jetzt ist ein Hochwasserereignis per se erst einmal ein Einzelereignis. Sie sprechen konkret von hydrologischen Extremen in Zusammenhang mit den Auswirkungen des Klimawandels. Wie kann man Wetter-Einzelereignisse mit den Veränderungen des Klimas in Relation bringen? Die Wucht und Häufigkeit der Einzelereignisse nimmt ja zweifelslos zu.
Das ist sicherlich eine Aussage, die man unterschreiben kann. Andererseits treten Extremwetterereignisse auch ohne Klimawandel auf, weil sie Teil der natürlichen Variabilität im Wasserhaushalt sind, den wir betrachten. Aber wenn sich der Planet erwärmt, was mittlerweile erwiesen ist, hat man in der Atmosphäre ein höheres Potenzial, Wasser zu speichern und somit auch ein größeres Potenzial für Regen. Gleichzeitig entsteht eine größere Verdunstung über den Ozeanen. Damit steigt wiederum die Möglichkeit, dass solche Extremniederschläge eintreten.
Es gibt außerdem Hinweise, dass sich durch den Klimawandel Wetterlagen verstärkt ausprägen, die dazu führen, dass Niederschlagsereignisse wie 2021 länger an einer Stelle stehen bleiben. Umgekehrt können anhaltende Wetterlagen auch Dürren auslösen, wie wir es in den vorhergehenden Jahren gesehen haben.
Untersuchungen, inwieweit der Klimawandel die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten solcher Extremereignisse und deren Intensität beeinflusst, werden als Attributierung von Extremereignissen zum Klimawandel bezeichnet. Auf Grundlage von Modellsimulationen kann man diesen Zusammenhang berechnen und auswerten. Für das Ereignis an der Ahr gibt es bereits eine Studie, die zeigt, dass ein solches Ereignis durch den Klimawandel deutlich wahrscheinlicher ist und die Intensität zugenommen hat.
Wurde die Studie vor oder nach dem Hochwasser im Ahrtal gemacht?
Sie wurde kurz danach gemacht. Das ist natürlich auch ein wichtiger Baustein für die Kommunikation. Denn der Klimawandel ist oft nicht so greifbar. Es sind schleichende Veränderungen und Prozesse. Wenn man jedoch die Information geben kann, dass diese Katastrophe konkret mit dem Klimawandel in Zusammenhang steht, ist das sehr hilfreich.
Klassische Informationssysteme wie Pegelmessungen haben im Ahrtal versagt: Die Pegelstation ist schlicht weggeschwemmt worden, was der Krisenstab erst mit einiger Verzögerung festgestellt hat. Gibt es hier innovative Möglichkeiten, Datenlücken auch während des Extremereignisses zu schließen und Messdaten abzusichern?
Das ist in der Tat ein großes Problem, zumal es ohnehin die Tendenz gibt, dass Messstellen zurückgebaut werden. Dabei sind solche Beobachtungsdaten für die operationelle Wasserwirtschaft, in diesem Fall für den Katastrophenschutz, extrem wichtig, aber natürlich auch für uns Wissenschaftler*innen. Hier gibt es Ansätze, Daten und Informationen aus verschiedenen Quellen zusammenzuführen, um ein besseres Gesamtbild zu erhalten. Beispielsweise aus der Fernerkundung, aber auch zunehmend aus den sozialen Medien.
Interessante Entwicklungen gibt es zudem im Bereich der Low-Cost-Sensoren, deren kostengünstige Systeme man über einen größeren Raum verteilen kann.
Der letzte Bundes-Warntag 2021 ist ausgefallen, gleichzeitig spielen Warn-Apps eine neue Rolle, dezentral Hinweise an die Bevölkerung zu geben. Spielen die Prozesse der Katastrophenwarnung für Ihre Arbeit eine Rolle?
Die Informationen der Warn-Apps kommen auch zentral, zum Beispiel über das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe für die Warn-App NINA. Oder auch über den Deutschen Wetterdienst mit der Warnwetter-App. Diese spielen jedoch immer zusammen mit den klassischen Warnsirenen oder dem Cell-Based-Broadcasting. Das sind alles wichtige Warnwege, um Menschen zu erreichen. Hierbei muss jedoch sichergestellt werden, dass solche Warnungen in sogenannte „Impact“-Warnungen übersetzt werden: Gefährdete Menschen müssen wissen, wo und wann Überflutungen stattfinden und wie man darauf reagieren muss.
An welcher Stelle wird für die Menschen in den betroffenen Gebieten formuliert, was zu tun ist?
Auch das ist ein Teil der Risikokommunikation: den Menschen eine sogenannte Verhaltensvorsorge mit auf den Weg zu geben. In Zeiten des Kalten Kriegs war zum Beispiel jedem und jeder klar, was bei einer atomaren Bedrohung zu tun ist. Und dies muss man den Menschen auch für Ereignisse wie Starkregen oder Hochwasser klarmachen. Und dann müssen es die Betroffenen wiederholen und üben. In Köln gibt es zum Beispiel regelmäßig Hochwasser-Schutzübungen.
Die Hochwasserwarnung ist Ländersache, aber der Katastrophenschutz vor Ort ist kommunale Aufgabe. Dort kann es einen Bruch in der Informationskette geben. Ein Beispiel: Die Hochwasservorhersage-Zentrale sagt, am Pegel Müsch werden wir einen Wasserstand fünf Meter über dem Mittelwasser haben. Dann kann sich der Landrat vielleicht gar nicht vorstellen, was das konkret bedeutet.
Wenn wir noch einmal aufs Ahrtal schauen: Sind Sie wirklich optimistisch, dass da politische Veränderungen in Gang kommen?
Hochwasserrisikomanagement und Hochwasservorsorge allgemein ist eine Daueraufgabe. Nach der medialen Aufmerksamkeit werden Lösungen beschlossen, wie das Cell-Based-Broadcasting, das helfen soll, die Warnungen zu verbessern. Sirenen werden wiederaufgebaut. Aber über die Zeit wird vieles wieder vergessen. „Hochwasserdemenz“ ist hier das Stichwort. Das ist aber menschlich ganz normal: Probleme, mit denen man nicht unmittelbar konfrontiert ist, werden unwichtiger. Deshalb ist es wichtig, durch Kommunikation immer wieder klar zu machen, dass die Gefahr weiterhin vorhanden ist und dass auch untersucht wird, wie ein solches Extremereignis an anderer Stelle aussehen würde.
Ein anderes Thema ist die Verfügbarkeit der Ressource Wasser. Hier trifft neben dem Klimawandel und dem für die die Allgemeinheit genutzten Trinkwasser auch die Nutzung durch Firmen eine Rolle. Welche Auswirkungen erwarten Sie auf Landwirtschaft einerseits und Biodiversität andererseits?
Mit zunehmendem Bedarf steigt der Druck auf die natürlich vorhandenen Ressourcen. Gerade die Dürrejahre 2017 und 2018 haben gezeigt, dass es auch in einem wasserreichen Land wie Deutschland Grenzen der Verfügbarkeit gibt. Dabei ist nicht nur die Menge, sondern auch die Qualität von großer Bedeutung für die Nutzbarkeit. Diese Zusammenhänge zu verstehen und den sicheren Handlungsspielraum für die Zukunft abzustecken, welche Nutzungsmengen man einer Firma tatsächlich zuweisen darf, sind große Herausforderungen für die Wasserwirtschaft. Hier ist dann auch immer mehr das Zusammenspiel von Oberflächen- und Grundwasser in Bezug auf Menge und Qualität wichtig. Gerade diese Interaktion, wie man Grundwasser vermehrt auch zur Speicherung von Oberflächenwasser nutzen kann, um die Umverteilung und das Management der Ressourcen zu unterstützen, ist auf jeden Fall auch ein Teil unserer Arbeit.
Ein Ausblick auf die Zukunft der Abteilung Hydrologie, Wasserwirtschaft und Gewässerschutz: Was sind Ihre Pläne für Ihre Abteilung im LWI? Mit welchen Themen starten Sie?
Es ist eine Herausforderung, dass wir einerseits für eine nachhaltige Entwicklung die zukünftige Verfügbarkeit von Wasser in ausreichender Menge und Qualität sicherstellen und dass wir andererseits die Risiken gegenüber hydrologischen Extremen und den Folgen des Klimawandels lindern müssen. Diese beiden Herausforderungen prägen meinen Leitgedanken für die Forschung, die ich hier gern an der TU Braunschweig voranbringen würde: Das eine ist das Wissen über die komplexen Abhängigkeiten – Rückkopplung- und Nutzungskonflikte in den hydrologischen Mensch-Umwelt-Systemen – zu erweitern und dafür Methoden und Werkzeuge für das Monitoring und die Modellierung, aber auch das integrierte Management von wasserwirtschaftlichen Systemen zu entwickeln. Das möchte ich mit drei Schwerpunkten umsetzen:
Das eine sind Systemanalysen, also Grundlagen für die Entwicklung anpassungsfähiger wasserwirtschaftlicher Systeme zu schaffen, damit man auf zukünftige Entwicklungen durch flexible Betriebsstrategien reagieren kann. Das erfordert ein integriertes Wassermanagement für multifunktionale ländliche und urbane Landschaften. Ein Beitrag dafür kommt aus dem systemorientierten Monitoring. Die Idee ist hier, gezielt Datenlücken zu schließen – mit neuen Messmethoden oder Sensoren oder neuen Datenquellen. Außerdem möchte ich die Integration von Datenquellen und die Interoperabilität zwischen Daten und Modellen und Nutzer*innen dieser Daten verbessern. Das Ganze fließt dann in eine integrierte Modellierung ein, in ein übergeordnetes Gesamtmodellkonzept. Diese Modelle können uns unterstützen, die Systeme besser abzubilden und relevante und wichtige Informationen bereitzustellen, um diese Systeme besser zu managen. Hier kommen auch Machine Learning, hybride Modellansätze mit klassischen physikalisch-basierten Modellen, aber auch das Konzept digitaler Zwillinge, zum Tragen. In welchen Projekten, sich das dann konkret umsetzen lässt, wird sich das noch zeigen.