„Warum provoziert der Stern in der Sprache einen Aufschrei?“ Psycholog*in Sabrina Saase zum Gendern
Studenten, StudentInnen, Student:innen, Student*innen, Studierende, Student/in oder Studentys? Sind diese Schreibweisen Ausdruck einer sich verändernden Gesellschaft? Sind sie politisch motiviert? Und wer bestimmt überhaupt, wie geschrieben wird? Über gendergerechte Sprache wird momentan viel diskutiert. Wir möchten diese Debatte aufgreifen und haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich mit der deutschen Sprache in ihrer Forschung auseinandersetzen, und weitere Mitglieder der TU Braunschweig gefragt, was für sie gutes Deutsch ist, wie und ob Sprache gerecht sein und welche Werte sie erfüllen kann. Ein Beitrag von Sabrina Saase, Doktorand*in am Institut für Psychologie.
*Wir greifen nach den Sternen im Universum – Warum provoziert der Stern in der Sprache einen Aufschrei?*
Als queere Psycholog*in habe ich die TU Braunschweig nicht ohne Grund für meine Promotion gewählt: Sie steht für Innovation und technischen Fortschritt. Im Forschungsbereich der SFU Berlin „Embracing Ambiguity – Vielfalt, Empowerment und intersektionale Kompetenz“ arbeiten wir zum Umgang mit Ambiguitäten – also Widersprüchlichkeiten, Mehrdeutigkeiten und Vielfältigkeiten. Ich arbeite zu den Auswirkungen von Diskriminierungen und Diskriminierungsprävention. Besonders das Sicht- und Erfahrbarmachen von Vielfalt erhöht Ambiguitätstoleranz und erleichtert es Menschen mit Widersprüchen, positiv und wertschätzend umzugehen und dadurch Diskriminierungen zu reduzieren.
Beim Thema gendergerechte Sprache im Kontext von Universitäten tauchen häufig Ambiguitäten auf. Universitäten vertreten wissenschaftliche Ideale, suchen nach (universellen) Gültigkeiten und neuen Entdeckungen. Bei gendergerechter Sprache jedoch werden mitunter sowohl Erkenntnisse von Grundlagenforschung als auch das Potential sprachlicher Neuerungen ignoriert. Wir kreieren Techniken, um Sterne im Weltall zu erforschen, je näher dran desto besser. Der Gender-Stern in der alltäglichen Sprache, näher geht es kaum, ist ein innovatives Symbol von Partizipation und Antidiskriminierung. Sprache verdeutlicht gut erkenntnistheoretisches Wissen und Vorgehen.
Spätestens seit der linguistischen Wende Anfang des 20. Jahrhunderts, ist die große Bedeutung von Sprache für das Denken und Handeln klar und sollte deshalb für antidiskriminierendes Verhalten von Universitäten nicht vernachlässigt werden. Sprache war schon immer ein Versuch Unsagbares auszudrücken, Dialog zu ermöglichen und war schon immer Veränderungen unterworfen. Kaum ein Kind kann heute noch in Archiven wissenschaftliches Material in altdeutscher Sprache entschlüsseln und die Neue deutsche Rechtschreibung, an die ich mich in der Schule widerwillig gewöhnen musste, versucht ganze Buchstaben wie das ß zu verwerfen – mit umstrittenem Mehrwert.
Die Einführung des Gender-Sterns in der Sprache jedoch ist die Umsetzung von grundgesetzlich verankerter Antidiskriminierung aller Geschlechter – und vielen Menschen zunehmend ein Anliegen. Denn das generische Maskulinum ist nicht neutral, sondern schließt aus. Das zeigt die Grundlagenforschung dazu und wird veranschaulicht durch ein Zitat einer Schwarzen Therapeutin in den Interviews meiner Promotion: „Wenn ich an Therapeuten denke, denke ich nicht an, weiß nicht, an mich […]“.
Interdisziplinär wurde nachgewiesen, dass es mehr als nur zwei Geschlechter gibt. Aus meiner neurowissenschaftlichen Forschung weiß ich, dass die Unterschiede innerhalb binärer Geschlechtergruppen oft größer sind als zwischen ihnen. Es handelt sich um aufgefrischtes Wissen aus dem Biologieunterricht Klasse 7 – Meiose und Mitose, Geschlechtsorgane entwickeln sich aus dem gleichen Zellmaterial – Geschlecht ist ein dimensionales Merkmal.
Von einer Universität erwarte ich Wissen und Kompetenzen, die über Sekundarstufe-I-Wissen hinausgehen. Wenn wir schon nicht in der Lage sind, die Kategorie Geschlecht grundsätzlich zu hinterfragen, dann sollte doch zumindest die Sprache den vielfältigen Gegebenheiten von biologischem und sozialem Geschlecht Rechnung tragen. Geschlechtervielfalt und die soziale Dimension von Geschlecht sind spätestens seit den 80er Jahren kein Novum mehr.
Spätestens seit der #Aufschrei Debatte mit Beginn Anfang 2013 und der internationalen #Me too Debatte seit Mitte 2017 ist auch klar, dass Sexismus im Alltag, wozu auch Universitäten gehören, immer noch ein Thema ist. Heute im Jahr 2021 sollte deshalb, um den Folgen von Minderheitenstress (Meyer 2003) zu entgegnen, im Sinne von Antidiskriminierung und Innovation nach den Potentialen sprachlicher Veränderungen geforscht werden. Dabei geht es auch darum, Sprache nachhaltiger und partizipativer zu gestalten, um möglichst vielfältigen Studierenden eine profunde wissenschaftliche Ausbildung zu ermöglichen und deren Talente zu nutzen. Diskriminierungsbedingten unfairen psychischen Belastungen, mit physischen Auswirkungen bis hin zu erhöhten Suizidraten, aufgrund von Geschlechtlichkeit kann so begegnet werden.
Auch über 100 Jahre nachdem Studieren nicht mehr nur ein cis-männliches Privileg an deutschen Universitäten darstellt, gibt es ein geschlechtliches Ausdünnen der wissenschaftlichen Karriere. Besonders MINT-Fächer suchen immer wieder gerade in den alten Bundesländern nach nicht cis-männlichen Nachwuchswissenschaftler*innen. Hierfür ist das gendergerechte Sternchen in der Sprache eine einfache Möglichkeit, Studierenden aller Geschlechter, also transgeschlechtlichen, intergeschlechtlichen, weiblichen und männlichen Personen, zu zeigen, dass sie an unserer Universität, der TU Braunschweig, willkommen sind, bestmöglich gefördert werden und eine vielversprechende Zukunft als Wissenschaftler*innen diverser Disziplinen haben.
Dazu gehört auch, dass auf Abschlussurkunden z.B. Diplom Ingenieur*in oder Doktor*in steht sowie dass bei Universitätsstatistiken Geschlecht im Sinne des Personenstandsgesetzes als divers, weiblich, männlich und weitere abgefragt wird. Genderneutrale Anrede wie Guten Tag, Hallo, Liebe*r oder Sehr geehrte*r sind inklusiv, wenn das soziale Geschlecht nicht bekannt ist. Im Sinne von Inklusion, Ambiguitätstoleranz und Innovation plädiere ich also für eine Offenheit für Neues, wobei Widersprüche nicht als störend empfunden werden, sondern als Neugierde stiftend und als Motor für wissenschaftliches Erkenntnisinteresse.
Doktorand*in TU Braunschweig in Kooperation mit Sigmund Freud PrivatUniversität Berlin. Vortragstätigkeit an der TUBS z. B. „Aha-Effekte aus psychologischer Forschung zu Diversität“ bei der TU-Night 2019 und „Queering and Intersectionalizing Psychotherapy“ bei Psychologie am Abend.