7. Juni 2021 | Magazin:

Produktives Spielen mit Sprache Literaturdidaktiker Thomas Kronschläger zum Gendern

Studenten, StudentInnen, Student:innen,  Student*innen, Studierende, Student/in oder Studentys? Sind diese Schreibweisen Ausdruck einer sich verändernden Gesellschaft? Sind sie politisch motiviert? Und wer bestimmt überhaupt, wie geschrieben wird? Über gendergerechte Sprache wird momentan viel diskutiert. Wir möchten diese Debatte aufgreifen und haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich mit der deutschen Sprache in ihrer Forschung auseinandersetzen, und weitere Mitglieder der TU Braunschweig gefragt, was für sie gutes Deutsch ist, wie und ob Sprache gerecht sein und welche Werte sie erfüllen kann. Ein Beitrag von Thomas Kronschläger, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Germanistik, Abteilung Didaktik der deutschen Sprache und Literatur.

Thomas Kronschläger vom Institut für Germanistik, Abteilung Didaktik der deutschen Sprache und Literatur. Bildnachweis: Max Fuhrmann/TU Braunschweig

Was ist für Sie gutes Deutsch?

Am Deutschen kann so viel gut sein: Es kann schön sein, wie in dem Wort ‚ersprießlich‘, es kann präzise sein, wie in dem Satz: „Der blaue Stift, der neben dem roten Stift auf der grünen Tischplatte liegt, wurde am 12.2.2003 um 15:32:45 produziert und ist am hiesigen Institut seit Ende 2003 durchgehend in Verwendung.“, es kann zum Spielen einladen „Blumento-pferde“ und mit Pathos aufgeladen werden „Gekommen bin ich, Euch zu klagen von der…“ es ist vielfältig, weil es so viele Dialekte gibt, dann ist sie ‚leiwand‘ bis ‚knorke‘. Vor dem Versuch, „Gutes Deutsch“ zu definieren, muss also stets die Frage stehen: Gut wofür? Gut für welche Personengruppe/ für welche Personen? Gutes Deutsch wäre folglich nicht automatisch leicht verständliches Deutsch: Sprache ist kein Packpapier, in das ich Informationen lediglich einwickle, die die andere Person dann nur mehr entpacken muss. Landläufig wird unter „Gutem Deutsch“ auch korrektes Deutsch verstanden. Natürlich gibt es amtliche Vorgaben für Orthographie und derlei Belange, aber das behandelt die Frage auch nicht erschöpfend: Ein Text, der alle Normen erfüllt, muss nämlich noch lange nicht gut sein.

Wie lässt sich Ihr Sprachverständnis wissenschaftlich verorten?

In meiner Beschäftigung mit Literatur und ihrer Vermittlung ist mir der Blick auf Sprache, ihre Beschaffenheit, Wirkweisen und Vielfalt ihrer Spielarten immer wichtig. Dabei sind wesentliche Aspekte zum Beispiel die Versprachlichung von Merkmalen wie Geschlecht, Ethnie, Alter, etc. Immer wieder setze ich mich auch damit auseinander, wie für Situationen (seien diese amüsant, traumatisch oder langweilig) Wörter und Ausdrucksweisen gefunden werden, die bei der Lektüre Wirkung erzielen. Sprache kann – was sehr produktiv ist – Irritation hervorrufen, Aufmerksamkeit auf bestimmte Zusammenhänge lenken oder einfach spielerische Freude auslösen. Diese Aspekte interessieren mich bei meiner Arbeit, sie begeistern mich aber auch immer wieder aufs Neue.

Soll/kann Sprache gerecht sein? Welche Werte soll/kann Sprache erfüllen? Und warum?

Kübra Gümüşay formuliert dazu in ihrem Buch Sprache und Sein „Sprache ist genauso reich und arm, begrenzt und weit, offen und vorurteilsbeladen, wie die Menschen, die nutzen.“ Sie sagt aber auch mit Tucholsky, dass Sprache eine Waffe sein kann, ergänzt aber, dass sie ebenso ein Werkzeug sein kann: „Sprache kann unsere Welt begrenzen – aber auch unendlich weit öffnen.“ Durch die Art und Weise, wie wir uns ausdrücken.

Ähnlich wie literarische Texte kann auch das Nachdenken über Sprache ein Ansatzpunkt für Diskussionen sein. Ausgehend von sprachlichen Ungerechtigkeiten sprechen wir schon einige Jahrzehnte lang über Ungerechtigkeiten im menschlichen Zusammenleben. Luise Pusch hat schon vor langer Zeit kritisiert, dass, wenn ein männlicher Sänger in einem Chor mit 99 Sängerinnen mitsingt, diese hundert Menschen plötzlich zu hundert Sängern werden. Das wäre jetzt eine sprachliche ‚Ungerechtigkeit‘, die weder den gedachten noch real existierenden Sängerinnen Leid zufügen würde.

Aber es fällt auf, dass es da systemische Unterschiede gibt: Die Linguistin Maria Pober hat zu Asymmetrien im Sprachsystem geforscht und festgestellt, dass diese Asymmetrien bei näherer Betrachtung ein bestimmtes – präfeministisches – Frauenbild zugrunde liegen haben: So findet sich bspw. in Wörterbüchern, die sonst nur die männliche Form angeben, der Eintrag für ‚Person, die das eigene Kind tötet‘, dennoch stets als weiblich: Es steht dort also Kindesmörderin und nicht Kindesmörder.

Was sagt uns das? Wir können das als Aussage zur conditio humana begreifen und untersuchen. Weiters könnten wir aus ähnlichen Analysen erkennen, dass wir Held, Arzt und ähnliche Begriffe männlich konnotieren und könnten sagen: „So ist die Gesellschaft. Der Mensch ist nun mal sexistisch“. Das ist auch immer wieder ein produktiver Ausgangspunkt für Diskurse, bspw. um Fragen der Diskriminierung. Weiters aber könnten wir feststellen, dass Menschen auch danach streben, sensibel und kreativ mit Sprache umzugehen und sehen, dass wir unendlich viele Möglichkeiten haben, uns auszudrücken und uns damit stets neu als Gesellschaft denken können. Ich plädiere hier immer für das produktive Spielen mit Sprache, das immer neue Überschreiten von Grenzen, denn – um es mit dem Sprachphilosophen Ludwig Wittgenstein zu sagen: Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt.

Weitere Informationen:

Entgendern nach Phettberg im Überblick:
www.researchgate.net/publication/343974830_Entgendern_nach_Phettberg_im_Uberblick