3. Oktober 2017 | Magazin:

Bürger fragen, Forscher antworten:
Radioaktiver Abfall – was nun? Ergebnisse und Tendenzen aus fünf Jahren „ENTRIA“-Forschung vorgestellt

„Radioaktiver Abfall – was nun?“ – fragte das interdisziplinäre „ENTRIA“-Forschungsteam und lud zum öffentlichen Projektabschluss am 29. und 30. September 2017 in das Haus der Wissenschaft ein. Zur Diskussion standen die Ergebnisse aus fünf Jahren Forschungsarbeit des Verbundes. Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung arbeiteten bei „ENTRIA“ erstmalig in Deutschland Naturwissenschaftler, Techniker, Juristen, Sozialwissenschaftlern und Ethiker gemeinsam daran, Lösungen für das komplizierte und viel diskutierte Problem zu finden.

Wettstreit der Argumente

Das Format dieser Veranstaltung war so ungewöhnlich wie das Projekt selbst: Rund 70 Besucherinnen und Besucher sahen sich am Abend des 29. September 2017 in der Aula der Carolo-Wilhelmina in einen amerikanische Gerichtsfilm versetzt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des „ENTRIA“-Forschungsverbundes trugen in Plädoyers und Gegenreden Argumente für oder gegen Optionen zur Entsorgung hoch radioaktiver Reststoffe vor. Sollte man derart gefährliche Stoffe einfach vergraben oder ist es besser, sie an der Oberfläche zu belassen? Vielleicht werden künftig Methoden entwickelt, diese unschädlich zu machen oder zu nutzen? Doch wer passt darauf auf? Darf man künftigen Generationen diese Lasten aufbürden? Also doch besser möglichst tief in ein Bergwerk einbringen und verschließen. Aber wenn etwas schief geht? Was dann?

Verhandlung ohne Urteil

Anders als vor Gericht, kann der „Angeklagte“, der radioaktive Abfall, nicht befragt werden. Es wird auch kein „Urteil“ gefällt. „Es gibt in dieser Frage keinen Königsweg, keine wissenschaftliche Wahrheit“, erklärt Clemens Walther. Aber beim Lösen des Problems sind viele Sachverhalte zu bedenken und – das wurde schnell klar – diese liegen nicht nur im technischen Bereich, sondern genauso im Bereich des Rechts, der Ethik, der Sozialwissenschaften. „Jeder kann und soll sich seine eigene Meinung bilden“, ergänzt der Physikprofessor von der Leibniz Universität Hannover.

Befragen Sie „ENTRIA“!

Prof. Klaus-Jürgen Röhlig vom Institut für Endlagerforschung der TU Clausthal führt in den „ENTRIA“-Forschungsverbund ein. (Bildnachweis: TU Clausthal)

Der Samstag startet mit Dunkelheit. Genauer: in einem Kurzfilm wird die Problematik der Entsorgung radioaktiver Abfälle visualisiert, bevor „ENTRIA“-Sprecher Professor Klaus-Jürgen Röhlig von der Technischen Universität Clausthal die in Deutschland einmalige Forschungsplattform vorstellt. „ENTRIA“ sind circa 70 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus elf Universitäten und Forschungsinstituten aus Deutschland und der Schweiz. Das Besondere: sie stammen aus unterschiedlichen Disziplinen, wie Recht, Strahlenschutz, Ethik, Ingenieurswissenschaften. „Wir mussten erst einmal eine gemeinsame Sprache finden. Dann aber begann ein faszinierender Prozess interdisziplinären Arbeitens und Verstehens“, erklärt Professor Röhling.

Speeddating und Diskussionsrunden

Wissenschafts-Speeddating, unter anderem mit Prof. Harald Budelmann vom IBMB der TU Braunschweig, zum Thema Zwischenlagerung. (Bildnachweis: ENTRIA)

Über hundert interessierte Teilnehmerinnen und Teilnehmer nutzen die Gelegenheit, befragten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Speedating zu den drei beforschten Entsorgungsoptionen und diskutierten die verschiedene Aspekte der Entsorgung, wie in Kleingruppen. „Wohl jeder Anwesende nimmt hier ganz neue Sichtweisen auch auf scheinbar altbekannte Fragen mit“, fasst Professor Walther zusammen. „Die Herausforderungen und Chancen, ja vielleicht sogar die unbedingte Notwendigkeit interdisziplinären Arbeitens wurde schnell deutlich.“

Welche Forschung braucht es in Zukunft?

Eine große Frage stellten die Forscherinnen und Forscher an den Schluss der Veranstaltung: Welche Forschung braucht es in Zukunft? Den Bedarf sehen das Forschungs-Team wie auch das Publikum vor allem an Arbeiten zur langzeitigen Zwischenlagerung, aber auch zu Behältern und dem technischen Monitoring. Und die Ergebnisse müssen kontinuierlich in verständlicher Sprache mit der Öffentlichkeit diskutiert werden. „Auch und besonders mit der junge Generation“, so ein teilnehmender Schüler, „da wir ja schließlich die Lasten erben werden“. Das hatte auch Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel in einem Grußwort thematisiert und das große Interesse des Landes an einer weiteren Förderung des Verbundes „ENTRIA“ zum Ausdruck gebracht.