7. September 2020 | Magazin:

Mit harten und weichen Projektilen Interview mit einem Großgerät: Das XPS

Einzigartig, hoch talentiert aber auch äußerst anspruchsvoll: Mit dem XPS, einem Röntgen-Photoelektronen-Spektrometer, beherbergt das Nanometrologiezentrum LENA eine echte Diva. Vier Institute sind Dauergäste, um ihre Proben vom XPS auf ihre chemischen Details prüfen zu lassen. Unsere externe Redakteurin Dörte Saße blieb hartnäckig und bekam schließlich ein Interview mit dem viel gefragten Großgerät.

XPS: „Das bin ich in meinem Labor im LENA. Für das Foto habe ich mich extra herausgeputzt.“ Bildnachweis: Markus Hörster/TU Braunschweig

Guten Morgen, XPS, wie würden Sie sich beschreiben und was machen Sie überhaupt?

Danke der Nachfrage. Frei nach Professor Bömmel in der Feuerzangenbowle: Ich bin „ene jroße schwarze Maschin‘, die hat vorn e Loch“. Genau so bin ich auch: eine große mehrteilige Maschine, mein Hauptteil ist raumhoch, aber ganz in weiß mit roter Kante. Und mit Loch vorne, da kommt die jeweilige Probe rein. Meist ist sie so fingernagelgroß. Kann aber auch viel kleiner sein. Weiter hinten in mir feuert dann die Photonen-Quelle auf diese Probe – und danach erarbeitet meine Analyse-Einheit ultrapräzise, welche Elemente drin waren. Das – und Aussagen über die chemische Umgebung, Bindungszustände  und Oxidationsstufen – sind die wichtigsten Fragen für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, ohne mich bekommt man die Probenbestandteile nur sehr umständlich heraus. Und die Elemente sind auch danach noch vorhanden, denn ich arbeite zerstörungsfrei.

Aber in Ihnen feuert doch eine Kanone auf die Probe, macht die denn gar nichts kaputt?

Nein. Oder na ja, vielleicht ein ganz wenig. Meine Photonenkanone schießt Röntgenstrahlung – also Lichtteilchen mit sehr hoher Energie – auf die Atome der Probe, so dass dort Elektronen in den inneren Atom-Orbitalen angeregt werden und sich herauslösen. Diese einzelnen Elektronen fehlen natürlich hinterher. Aber das kann ich ausgleichen und berücksichtigen. Wenn ich dann also von diesen Elektronen die Bewegungsenergie messe – und das kann mein Analysator sehr genau –, dann kenne ich indirekt die Art des Atoms, das Element, aus dem es gekommen ist. Metall oder Halbleiter, kein Problem. Organische Proben gehen auch.

Für mein Innenleben gab es übrigens gleich zweimal einen Nobelpreis: Zum ersten Mal 1921 an Albert Einstein, der hatte nämlich letztendlich diesen schon länger entdeckten „äußeren photoelektrischen Effekt“ mit seiner Theorie von Lichtquanten theoretisch erklärt. Und dann 1981 an den Schweden Kai Siegbahn, der in Feinarbeit die Photoelektronenspektroskopie über Jahrzehnte hin zu einer handhabbaren Untersuchungstechnik entwickelt hatte. Meine Vorfahren stammen also aus dem hohen Norden.

Und was ist das Besondere an Ihnen hier am LENA? Wie lang stehen Sie eigentlich schon in Braunschweig?

Im Frühjahr 2019 war ich fertig aufgebaut – in zwei Räumen, extra für meine Einzelteile geplant. Passgenau, sozusagen. Denn ein Gerät wie mich gibt’s so nicht zweimal auf der Welt: Ich bin ein XPS mit Extras, vielen Extras! Die kann jeder dazubestellen, aber meine breite Auswahl macht mich individuell. Soll heißen, zusätzlich zum klassischen Röntgenphotoelektronenspektrometer mit Aluminium-Anode als monochromatische Strahlungsquelle beherberge ich noch eine zweite Anode aus Silber. Somit kann meine Strahlung in einem noch viel breiteren Energiebereich anregen, bei rund 1500 eV ebenso wie bei rund 3000 eV. Und – fast hätte ich’s vergessen – ich kann nicht nur klassisches XPS mit Röntgenstrahlung, sondern obendrein noch UPS mit ultravioletter Strahlung! Da ist die Anregungsenergie dann etwas geringer, so dass ich damit eher die Valenzelektronen betrachte, also die auf den äußersten Atom-Orbitalen. Und dann trage ich noch ein ganz teures Spezialfeature: die SEM/AES/SAM-Einheit, bei der die Oberfläche mit Elektronen beschossen wird. Aber das erkläre ich am besten ein andernmal …

Einfacher nachzuvollziehen ist, dass meine Vorkammer dank eines Magazins gleich mehrere Probenträger aufnehmen kann. Man pumpt also nur einmal zum Vakuum runter und analysiert dann ziemlich viele Proben nacheinander weg. Wenn alles exakt auf die jeweilige „Befüllung“ eingestellt ist, könnte ich bei hoher Auslastung das Programm rund um die Uhr abarbeiten. Zur Not auch ferngesteuert aus dem Homeoffice.

XPS: „Hier sieht man meine Vorkammer, in die das Probenmagazin hineinkommt. Sobald die Proben drin sind, pumpe ich die Luft aus der Kammer, damit es weitergehen kann in …“ Bildnachweis: Markus Hörster/TU Braunschweig

„… meiner dauervakuumierten Hauptkammer. Aus dieser Perspektive käme die Probe dann von rechts auf meinen Probenhalter in der Bildmitte.“ Bildnachweis: Markus Hörster/TU Braunschweig

„Hier sieht man meinen Probenhalter von der Seite. Gut zu erkennen: Die beiden kleinen Kupferstangen, die so steckerähnlich ausschauen. Sie sorgen dafür, dass die Probe beim Kippen nicht wegrutscht.“ Bildnachweis: Markus Hörster/TU Braunschweig

„Ein guter Blick auf meine Argon-Cluster-Kanone, die links aus meiner Verschalung rausguckt. Als Extraeinbau sprengt sie die Dimensionen meiner Standardmaße. Ich bin eben ein besonderes XPS.“ Bildnachweis: Markus Hörster/TU Braunschweig

Wie lange dauert so ein Analyse-Durchlauf denn?

Das ist ganz unterschiedlich! Erstens hängt es immer von der Probe ab und davon, was die Forschenden darüber wissen wollen. Geht es nur um die Oberfläche oder soll eine Schichtung erkannt werden – und wie groß ist die Probe überhaupt? Ist es ein normaler Scan, um die Elemente zu erkennen, oder ein Detail-Scan mit mehreren Durchläufen, um die Bindungszustände oder Oxidationsstufen herauszufinden? Zudem kann ich die Proben auch noch um die Drehachse kippen und dann ihre Oberfläche nicht nur senkrecht von oben beschießen, sondern auch winkelabhängig. Je stärker wir kippen, desto geringer ist die Eindringtiefe. Doch durch schrittweises Drehen der Probe erforsche ich dann für die äußeren 10 Nanometer (Millionstel Millimeter), welche Elemente oder etwa Bindungszustände sich dort wie anordnen.

Und zweitens kommt es drauf an, wie viele unterschiedliche Proben auf einem Proben-Träger sitzen: Manchmal sind es bis zu fünfzehn, manchmal aber auch nur eine oder zwei. Also, jeder Scan dauert ein paar Minuten, aber selbst beim ganz einfachen klassischen Durchlauf geht man manchmal drei- bis viermal drüber.

Und wie tief unter der Oberfläche dürfen die Elektronen sitzen, damit die Röntgenstrahlung sie noch erreicht?

Üblicherweise so zehn Nanometer. Aber dann habe ich ja noch ein Spezialwerkzeug an Bord: eine Argoncluster-Kanone. Damit kann ich nach jedem Mess-Durchlauf ein Stück Oberfläche abrasieren – „etching“ im Fachjargon – und mich so Stück für Stück zu einem Tiefenprofil einer Probe vorarbeiten. Argoncluster heißt das, weil die Kanone entweder „hart“ mit einzelnen Argon-Atomen schießt – oder „weich“ mit Clustern aus mehr als 3000 solcher Atome, um die oberste Schicht vergleichsweise sanft abzutragen. Das hilft auch, wenn etwa ein empfindliches Metall an der Luft oxidiert ist, Titan zum Beispiel – dann heißt es Oxidschicht abtragen, bevor ich die reine Oberfläche mit Lichtteilchen beschieße. Kanone, Schießen, Schichten zerstören; wenn meine Forschenden dann auch noch Kopfhörer tragen und die „Fernbedienung drücken“, ist es ein bisschen wie beim Gaming …

Wahlweise können die Forschenden ihre empfindlichen Proben aber auch im speziellen Transportbehälter mit Schutzatmosphäre anliefern, der passt genau auf meinen Zugang. Und obendrein, wer hätte es gedacht, arbeite ich auch bei Minustemperaturen von 100° unterm Gefrierpunkt sowie bei bei Hitze von bis zu 800° Celsius. Ach so, und außerdem kann ich Bilder von den Proben erstellen – also zum Beispiel nach einer bestimmten Bindungsenergie schauen und dann ein Image erstellen, wo auf der Probe diese zu finden ist.

XPS: „Hier bin ich mit meiner Hauptverantwortlichen zu sehen, Dr. Wibke Dempwolf. An dieser Stelle möchte ich Ihr noch einmal fürs Dolmetschen danken.“ Bildnachweis: Markus Hörster/TU Braunschweig

Bei all den tollen Features und Fähigkeiten – haben Sie eigentlich auch Macken?

Na ja, sagen wir, ich bin etwas empfindlich gegen Verschmutzung. Die Proben, die ich untersuchen will, müssen schon im Vakuum stabil bleiben und sich nicht in meinem ganzen Innenraum verteilen – sonst ist tagelanges Putzen angesagt. Oder besser, Ausheizen. Deshalb auch weht in mir immer ein laues Lüftchen, wenn die Vorkammer geöffnet ist. Ein steter Stickstoff-Strom hält aus dem Innenraum alle unerwünschten Moleküle fern. Und trotzdem verbleiben bei jedem Messvorgang immer ein paar Teilchen drin, so dass die Performance ganz langsam wieder schlechter wird. Deswegen gilt es gut zu planen: Die besten Bedingungen, also direkt nach dem „Großreinemachen“, brauchen die Halbleitertechnik und Hochfrequenztechnik, dann kommen die Polymere und die Partikel der Partikeltechnik.

Wenn Ihr mich also optimal auslasten wollt, liebe Forschende, dann meldet Eure Proben frühzeitig an! Am besten schon, bevor Ihr sie produziert. Ach so, und noch ’ne Macke: Ich bin ganz schön laut im Betrieb! Wer mich bedient, kann seine Ohrenschützer auch gut brauchen.

Und wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Einsatz in Braunschweig?

Och, ich kann nicht klagen. So langsam kommen die Menschen dahinter, was sie mit meinen Fähigkeiten alles anstellen können. Mein Bedienungsteam hat sich schon gut eingefuchst, dabei sind noch nicht mal alle meine Besonderheiten in Betrieb, Corona hat uns etwas ausgebremst. Aber wir haben es sogar hingekriegt, Pulver zu analysieren, ohne dass es uns vom Vakuum auseinander gerissen wird!

Was mir besonders gefällt: Bei den vier Instituten auf dem Campus, die mich vor allem nutzen – Technische Chemie, Partikeltechnik, Halbleitertechnik und Hochfrequenztechnik – kommen schon ganz unterschiedliche Aufgaben auf mich zu. Wichtig ist immer, dass die Forschenden vorher wissen, was sie eigentlich genau wissen wollen. Je genauer die Fragestellung, desto besser kann ich Antworten liefern …

Autorin: Dörte Saße