26. Oktober 2023 | Magazin:

Feuer für die Forschung Erster großer Brandversuch im Zentrum für Brandforschung erfolgreich

Hoch lodern die Flammen an der Holzfassade. In wenigen Minuten greifen sie auf eine weitere Etage über. Dicker Rauch breitet sich rund um das Gebäude aus. Zum Glück ist der Brand im Originalmaßstab an dem vierstöckigen Haus ein Versuch. Das erste große Experiment in der Versuchshalle des neuen Zentrums für Brandforschung (ZeBra) der Technischen Universität Braunschweig. Hinter der dunklen Fassade des Forschungsbaus am Campus Ost können die Wissenschaftler*innen das Brandverhalten neuartiger Bauweisen mit nachwachsenden Rohstoffen und von Produkten der Energiewende erforschen und so zur verbesserten Brandsicherheit beitragen, damit künftig noch mehr Holzbau in Städten möglich ist.

Wie entwickelt sich ein Brand bei einer solchen Fassade und welchen Einfluss haben Dämmstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen auf die Brandbekämpfung? Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig

Am Versuchstag ist die Spannung unter den Wissenschaftler*innen und den Feuerwehrleuten förmlich zu spüren. Wird der Brand im ersten Obergeschoss wie geplant in die Außenwand und über die Fensteröffnungen auf die Fassade übergreifen? Funktionieren alle Messinstrumente? Wann ist der richtige Zeitpunkt, um mit dem Löschen zu beginnen? Und wie lässt sich der Brand am besten löschen?

Professor Jochen Zehfuß, Sprecher des Zentrums für Brandforschung (ZeBra). Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig

Für das Experiment im Realmaßstab ist das Brandhaus in der Versuchshalle in den vergangenen Tagen vorbereitet worden. Über drei Stockwerke des vierstöckigen Fassadenprüfstandes haben die Mitarbeiter*innen des Zentrums für Brandforschung eine Holzfassade angebracht – und zwar mit verschiedenen Konstruktionen: Die offene Holzschalung ist auf einer Seite vertikal angeordnet, in zwei weiteren Bereichen horizontal. Eingefügt wurden außerdem horizontale Brandsperren aus Blech, die nach der Muster-Holzbaurichtlinie vorgeschrieben sind. Versteckt hinter der Holzfassade befinden sich unterschiedliche Dämmungen aus nachwachsenden Rohstoffen: Holzfaser, Seegras und Hanf. Durch einen sogenannten Hinterlüftungsspalt und eine Gipsfaserplatte ist die Fassadenbekleidung von der Dämmung getrennt. Feuchte kann damit gut abtransportiert werden. „Aber im Brandfall ist das natürlich kritisch, weil dort die Flammen eindringen können und eventuell ein Kamineffekt entsteht, also das Feuer noch zusätzlich angefacht wird“, erklärt Professor Jochen Zehfuß, Leiter des Zentrums für Brandforschung.

Immer mehr mehrgeschossige Gebäude aus Holz

Wie sich ein Brand bei einer solchen Fassade entwickelt und welchen Einfluss Dämmstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen auf die Brandbekämpfung haben, das wollten die Verbundpartner des Forschungsprojekts HoBraTec – darunter die Feuerwehr Hamburg – mit diesem Brand untersuchen. Und natürlich auch, wie das Feuer an Holzfassaden in großen Höhen und innerhalb von Holzkonstruktionen am besten gelöscht werden kann. Denn Dämmstoffe aus nachwachsenden Rohstoffe, die in den meisten Bundesländern bislang nicht innerhalb tragender oder raumabschließender Bauteile größerer Gebäude zugelassen sind, können innerhalb der Konstruktion schwelen und große Mengen an giftigen Gasen freisetzen. Ein solcher Brand ist jedoch nur schwer zu erkennen und von der Feuerwehr daher schlecht zu löschen. Deshalb bietet das neue Zentrum für Brandforschung beste Möglichkeiten, um die Erkenntnisse aus klein- und mittelmaßstäblichen Versuchen im Maßstab 1:1 zu überprüfen.

Alexander Wellisch, Projektleiter der Feuerwehr Hamburg. Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig

Für die Feuerwehr sind diese Experimente wichtig, da der Holzbau im urbanen Raum zunehmend an Bedeutung gewinnt. Erst vor wenigen Jahren wurden die bauordnungsrechtlichen Voraussetzungen geschaffen, um Gebäude bis zur Hochhausgrenze von 22 Metern aus Holz zu errichten. „Hierdurch ändern sich die Rahmenbedingungen für den Feuerwehreinsatz grundlegend“, so Alexander Wellisch, Projektleiter der Feuerwehr Hamburg. „Neben einer höheren Brandintensität muss in zunehmendem Maße mit der Entstehung von Bränden innerhalb der Konstruktion gerechnet werden. Insbesondere bei der Verwendung von Dämmstoffen aus nachwachsenden Rohstoffen, die im Kontext der Nachhaltigkeit zunehmend nachgefragt werden, rechnen wir mit schwer detektierbaren Bränden innerhalb von Bauteilen. Wir wollen auf Grundlage der im Rahmen des Forschungsprojektes HoBraTec gewonnenen Erkenntnisse Brandbekämpfungsmethoden und -techniken für Gebäude in moderner Holzbauweise entsprechend optimieren.“

Großgeräte in Versuchshalle einzigartig in Europa

Mit dem Institut für Baustoffe, Massivbau und Brandschutz arbeiten die Verbundpartner des Forschungsprojektes HoBraTec (Hochschule Magdeburg-Stendal, Institut für Brand- und Katastrophenschutz Heyrothsberge, Feuerwehr Hamburg) seit vielen Jahren zusammen. Für ihre Untersuchungen bietet das Zentrum für Brandforschung ideale Voraussetzungen: Mit seinem Fassadenprüfstand bis zwölf Metern Höhe und einem Großkalorimeter für Freibrandversuche, wie zum Beispiel von Elektrofahrzeugen, Bussen oder auch von Hochvoltspeichern, ist das ZeBra einzigartig in Europa. Hier können Brände im Realmaßstab mit einer Wärmefreisetzungsrate bis zu 20 Megawatt simuliert, detailliert vermessen und analysiert werden. Die Brandleistung des Holzfassaden-Versuchs lag bei etwa zehn Megawatt. Zum Vergleich: Herkömmliche Pkw setzen bei einem Brand rund fünf Megawatt Wärme frei.

Über drei Stockwerke des vierstöckigen Fassadenprüfstandes haben die Mitarbeiter*innen des Zentrums für Brandforschung eine Holzfassade angebracht – mit verschiedenen Konstruktionen. Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig

Im Raum im ersten Stock, in dem das Feuer entfacht wird, wurden Messinstrumente angebracht, um beispielsweise die Temperatur an verschiedenen Punkten zu erfassen und die Wärmeentwicklung feststellen zu können. Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig

Im ersten Stock wurde das Feuer an drei Holzkrippen entzündet. Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig

Schnell wird der Brand in den Fenstern sichtbar. Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig

Das Feuer schlägt durch die Fensteröffnungen auf die Holzfassade über und erfasst schließlich auch die Fassade im zweiten Obergeschoss. Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig

Für die Feuerwehr sind diese Experimente wichtig, da der Holzbau im urbanen Raum zunehmend an Bedeutung gewinnt. Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig

Damit in einer geschlossenen Versuchshalle solche Brandexperimente durchgeführt werden können, müssen die Rauchgase aufgefangen werden. Das passiert mit einer riesigen Abzugshaube, die die Brandgase absaugt und filtert. Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig

Ein Teil des Brandes ist bereits mit Wasser gelöscht worden. Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig

Einige Glutnester sind noch erkennbar. Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig

Damit in einer geschlossenen Versuchshalle solche Brandexperimente durchgeführt werden können, müssen die Rauchgase aufgefangen werden. Vor dem Experiment wird eine riesige Abzugshaube Richtung Brandhaus verschoben. Mit bis zu 70 Kubikmeter pro Sekunde saugt die zwölf mal zwölf Meter große Haube die Brandgase ab und filtert sie. Über Messtrecken im Abgasstrom können die Wissenschaftler*innen die freigesetzten Gase analysieren und über die Sauerstoffreduktion auf die Wärmefreisetzungsrate schließen.

Vom Versuch zum Simulationsmodell

Alle erfassten thermophysikalischen und chemischen Parameter werden später als Eingangsdaten für Simulationsmodelle genutzt. „Neben der experimentellen Forschung ist unser Ziel, unsere Modelle zu verbessern, die Prognosen für Brandverläufe aufzeigen. Denn solche Großversuche sind natürlich spektakulär, aber auch sehr teuer und aufwendig“, sagt Professor Zehfuß.

Deshalb haben die Wissenschaftler*innen in dem Raum im ersten Stock, in dem das Feuer entfacht wird, Messinstrumente angebracht, um beispielsweise die Temperatur an verschiedenen Punkten zu erfassen und die Wärmeentwicklung detektieren zu können. „An den Fensteröffnungen waren außerdem Strömungsmesser installiert, um die Zu- und Abluftgeschwindigkeit der Luft im Brandgeschehen zu messen“, erläutert Versuchsleiter Jan-Gabriel Scheller. Für die beiden Versuche an zwei Tagen wurden insgesamt 530 Messfühler angebracht.

Neue Anforderungen an den Brandschutz

An drei Holzkrippen wird an diesem Tag das Feuer entzündet. Schnell wird der Brand in den Fenstern sichtbar, schlägt durch die Fensteröffnungen auf die Holzfassade über und erfasst schließlich auch die Fassade im zweiten Obergeschoss. Etwa eine halbe Stunde warten die Feuerwehrleute ab, bis ihr Einsatz beginnt. Dies entspricht dem Zeitraum, der bis zum Start der Löscharbeiten in der Realität zu erwarten ist. Auch wenn die Retter*innen in Hamburg spätestens acht bzw. zwölf Minuten nach der Alarmierung vor Ort sein sollen, ist der 30-Minuten-Zeitraum bis zur Brandbekämpfung anzunehmen, da zunächst die Rettung von Menschen im Vordergrund steht.

Zum Schluss durchdringen die Feuerwehrleute mit einem neuartigen Bohrlöschgerät die Außenwand und sprühen Löschschaum, um auch letzte Glimmbrände zu beenden. Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig

Zuerst öffnen die Feuerwehrleute die Tür zum Raum im ersten Stock, in dem der Brand begonnen hat und löschen hier mit Wasser. Von außen setzen sie zum Löschen der Fassade ein konventionelles Strahlrohr ein. Zum Schluss durchdringen die Feuerwehrleute mit einem neuartigen Bohrlöschgerät die Außenwand und sprühen Löschschaum in die sogenannte Hinterlüftungsebene, um auch letzte Glimmbrände zu beenden. Nach rund eineinhalb Stunden sind die Löschversuche abgeschlossen, der Einsatz für die acht Feuerwehrleute aber nicht beendet. Jetzt geht es an die Öffnung der Bauteile, um die Auswirkungen des Brandes zu untersuchen. Die Auswertung des Versuchs durch die Verbundpartner des Forschungsprojektes HoBraTec steht noch bevor: Was muss bei einem solchen Brand unter Beteiligung von Dämmstoffen aus nachwachsenden Rohstoffen beachtet werden? Wie kann er am besten erkannt und gelöscht werden? Da auch in Hamburg der urbane Holzbau großen Zuspruch findet und ganze Quartiere in Holzbauweisen geplant werden, möchte sich die Feuerwehr Hamburg auf die zu erwartenden Einsatzszenarien bestmöglich vorbereiten. „Zudem wollen wir die Grenzen des Feuerwehreinsatzes erforschen, um die Anforderungen an den vorbeugenden Brandschutz präziser bestimmen zu können“, sagt Alexander Wellisch.

Auch für das Zentrum für Brandforschung sind dies die wichtigen Themen, die es zu untersuchen gilt. Denn bei allen Änderungen im Bauwesen, wie ein verstärkter Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen, neue digitale Bauweisen und innovative Energiespeicher im Gebäude, muss natürlich auch die Brandsicherheit gewährleistet werden.

Rund zehn Großversuche werden pro Jahr im ZeBra stattfinden. Der nächste bereits im November – dann mit anderen Einsatztechniken.