3. März 2020 | Magazin:

Eisbrechen für Fortgeschrittene Ankunft am Nordpol: Falk Pätzold über seine Reise zur Arktis-Expedition

Angekommen am Ziel: Dr. Falk Pätzold vom Institut für Flugführung der Technischen Universität Braunschweig hat auf dem russischen Versorgungseisbrecher „Kapitan Dranitsyn“ die „Polarstern“ erreicht. Einen ganzen Monat waren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des dritten Fahrtabschnitts der Forschungsexpedition MOSAiC mit der „Kapitan Dranitsyn“ unterwegs. Ursprünglich geplant war eine zweiwöchige Anreise. Am 28. Februar um 12:20 Uhr (MEZ) legte der Eisbrecher schließlich an – 970 Meter von der „Polarstern“ entfernt an derselben Eisscholle. Wie die Reise bis dahin verlief, berichtet Falk Pätzold in einem Logbuch in Form von WhatsApp-Nachrichten:

Das MOSAiC-Team der dritten Etappe auf der „Kapitan Dranitsyn“. Die Stimmung ist gut trotz der Verspätung. Bildnachweis: Alfred-Wegener-Institut (CC-BY 4.0)

[21. Februar, 07:57 h] Insgesamt gestalten sich die letzten 200 Kilometer der anfänglich 2.000 Kilometer Luftlinie zur „Polarstern“ arg zäh. Ein Grund für die aktuelle Verzögerung: das feste Meereis. Der „Kapitan Dranitsyn“ könnte der Sprit für die Heimwärtstour ausgehen, da Eisbrechen keine sehr energetisch effiziente Fortbewegungsart ist. Ein anderer Eisbrecher wird demnächst hinterhergeschickt, der die „Dranitsyn“ auf dem Rückweg auftankt.

[23. Februar, 02:21 h]  Das Rumpeln durchs Eis fühlt sich an, als würde man kurz vorm Durchbrechen der Schallmauer stehen. Der Blick aus dem Fenster mit der in Schrittgeschwindigkeit vorbeizuckelnden Eislandschaft heilt von diesem Gedanken und produziert das Bild von platten Reifen auf allen Achsen. Kurzzeitig beliebter Gag, wenn das Schiff mal wieder spürbar zum Stehen kam: „Der Ausstieg ist in Fahrtrichtung rechts.“ Funktioniert aber nicht bei Nicht-Bahnkennern.

[24. Februar, 00:00 h] (Schiffs-)Mitternachtsreport: Nachdem die vergangenen Tage wegen Bewölkung immer recht dunkel waren, sehen wir jetzt direkt vor uns die Venus in der Richtung, die so etwas wie Norden ist. Es fühlt sich so kurz vor der Drehachse als unpassende Richtungsangabe an. Und gleich 10° rechts daneben wirft der Polartag schon seine Dämmerung ganz schwach in die dunkle Szenerie, nachdem sie sich vor wenigen Stunden auf der anderen Seite davon geschlichen hat. Eine fast ganztägige Dämmerung. Die vom Kunstlicht und der monotonen Eisszenerie geplagten Augen laben sich an diesem zarten, leisen Farbenspiel. Leider sind die Brückenfenster in die Premiumrichtung gerade etwas arg verschmutzt. Derweil frischt der Wind auf über 100 km/h aus östlicher Richtung auf. Davon merkt man hier drinnen jedoch direkt nichts.

Ankunft! Der Versorgungseisbrecher „Kapitan Dranitsyn“ ist in unmittelbarer Nähe der „Polarstern“ eingetroffen. Bildnachweis: Alfred-Wegener-Instiut / Michael Gutsche (CC-BY 4.0)

[24. Februar, 14:34 h] +++ 88°N geknackt, 55 nautische Meilen von der „Polarstern“, Böen bis 45 m/s +++

[26. Februar, 07:28 h] Seit heute Abend ist das Transpondersignal der „Polarstern“ zu empfangen und vermutlich auch anders herum, sodass Koordinaten, Kurs und Entfernung nun in Echtzeit auf beiden Schiffen zu verfolgen sind. Hatte ich schon von der Kartendarstellung des Schiffsnavis berichtet, das seit dem 85° Breitengrad nur noch Längengradänderungen darstellt?

[26. Februar, 13:41 h] Gerade findet der erste Austausch von Wissenschaftlern und Crew-Mitgliedern zwischen „Polarstern“ und „Dranitsyn“ mit dem Hubschrauber statt. Dabei werden ein paar Leute transferiert, die den weiteren Austausch anschieben sollen. Die „Kapitan Dranitsyn“ hat derweil noch knapp 30 nautische Meilen vor sich und soll – nach heutigem Stand – bis auf 1 km an die Polarstern ran.

Eisbrechen für Fortgeschrittene, gilt nicht für Speiseeis: Falls mal ein Riss im Eis auftaucht (klassischerweise nicht mehr als 1 m breit), fährt man seinen Eisbrecher nicht direkt hinein, denn dann steckt man gleich wieder fest. Man fährt besser 2- 4 Schiffsbreiten daneben, denn dann kann das zu knackende Eis seitlich ausweichen und demzufolge auch einfacher brechen.

Auch beim Sport auf dem Eisbrecher ein erfolgreiches Team. Bildnachweis: Alfred-Wegener-Institut / Michael Gutsche (CC-BY 4.0)

[26. Februar, 14:02 h] Aus dem sozialen Leben auf der „Kapitan Dranitsyn“:

+ In einem Aufenthaltsraum mit Theke steht ein Kaffeeautomat, der zwar sehr lange braucht, aber es hat ja keiner wirklich Stress.

+ Ein kleines Grüppchen (outdoor coffee club)  geht mit dem so länger erwarteten Kaffee zu dessen Verzehr nach draußen. Bei -25°C ist es nach wenigen  Augenblicken auch egal, wenn man dann schon eine Viertelstunde auf die anderen gewartet hat.

+ Heute Nachmittag gab es Apfelkuchen. Und natürlich überlegt man sich, ob damit schlechte Nachrichten oder ein nicht so tolles Abendessen angekündigt werden?!

Endlich! Mit der „Kapitan Dranitsyn“ ist auch die Dämmerung zur Eisscholle gekommen. Bildnachweis: Alfred-Wegener-Institut / Folke Mehrtens (CC-BY 4.0)

[27. Februar, 00:23 h] Seit anderthalb Stunden ist die „Polarstern“ in einer Entfernung von ca. 17 nautischen Meilen zu sehen. Sieht sehr unwirklich aus, wo doch sonst alles um uns herum frei von menschlichen Zeichen zu sein scheint. Nicht einmal Kondensstreifen sind am Himmel zu sehen. Heute hat neben der inzwischen im Westen stehenden Venus ein Satellit recht hell geleuchtet. Jedenfalls schaut das Ziel der Reise aus wie ein Baustrahler aus großer Entfernung im Nebel.

Alle hier scharren inzwischen mit den Hufen und es ist schon fast etwas hektisch, obwohl der Startschuss noch auf sich warten lassen wird. Mit etwas Glück sind wir morgen Abend an der Polarstern, und danach beginnt das Umladen. Vorhergesagte -35°C mit Windchill -50°C sind dabei kalte Aussichten.

In den vergangenen Wochen haben wir die Polarkleidung bei unterschiedlichen Außentemperaturen testen können. Man bekommt recht schnell die Rückmeldung, wenn man sich vergriffen hat: entweder durch beißende Kälte oder ein Bad im eigenen Saft.