Ein Ökosystem von Fachkräften für den Quantencomputer Professor Rainer Müller im „Quantum Valley Lower Saxony“
In rund fünf Jahren soll er einsatzbereit sein: der Quantencomputer made in Niedersachsen. 400 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind an der Entwicklung des neuartigen Rechners beteiligt. Auch Professor Rainer Müller, Leiter der Abteilung Physik und Physikdidaktik im Institut für Fachdidaktik der Naturwissenschaften, gehört zum Team von „Quantum Valley Lower Saxony“ (QVLS) . Welche Rolle die Physikdidaktik in dem Projekt spielt und warum „Quantum Education“ wichtig ist, hat er Bianca Loschinsky erzählt.
Das Ziel des „Quantum Valley Lower Saxony“ ist es, einen Quantencomputer mit 50 Qubits bis 2025 zu entwickeln. Wie sind Sie dabei als Physikdidaktiker eingebunden?
Im Moment wird auf allen Ebenen, auf denen ich tätig bin – europäisch, national, aber auch im Projekt Quantum Valley Lower Saxony – die Ausbildung von Fachkräften als ein ganz wichtiges Element angesehen. Denn wenn wir erst einmal einen solchen Quantencomputer haben, nützt es nichts, wenn er irgendwo steht, und niemand weiß etwas damit anzufangen. Wir brauchen Fachkräfte, die die Quantencomputer entwickeln, designen, aber auch bedienen können. Die Fachkräfte, die wir in fünf Jahren brauchen, müssen wir jetzt ausbilden. Deshalb spielt „Quantum Education“ eine entscheidende Rolle. Man braucht ein ganzes „Ökosystem“ von Fachkräften, die alle dazu beitragen, dass wir am Ende eine funktionierende Infrastruktur im Quantentechnologie-Bereich haben.
Momentan sind es Physik-Arbeitsgruppen, die Prototypen bauen. Um richtige, funktionsfähige Geräte zu bauen, brauchen wir jedoch auch Ingenieurinnen und Ingenieure; um die Quantencomputer programmieren zu können, benötigen wir Informatikerinnen und Informatiker. Und so geht es weiter. Ingenieurinnen und Ingenieure werden in diesem Zusammenhang hoffentlich auf Anwendungsideen kommen, die wir als Physiker überhaupt nicht haben. In der Breite der Anwendungen benötigen wir ganz neue Ideen. Als in den 1940er-Jahren der Transistor erfunden wurde, hat wohl kaum jemand an Internet und Smartphone gedacht. Und dennoch hat es sich dahin entwickelt. Wir benötigen also Fachkräfte, die sich kreative Gedanken machen.
Das heißt konkret, Sie überlegen sich, wie Studierende, aber auch Schülerinnen und Schüler besser ausgebildet werden können?
Tatsächlich muss ganz neu gedacht werden. Völlig klar ist: Man kann Ingenieurinnen und Ingenieuren nicht die Form von Quantenphysik-Vorlesung anbieten, die die Physikerinnen und Physiker erhalten. Das hat ein viel zu hohes mathematisches Niveau und führt auch in eine andere Richtung. Historisch ist die Bezugswissenschaft der Quantenmechanik immer die Chemie gewesen. In diesem Gebiet ist es die Informatik. Es geht um Informationsverarbeitung. Da müssen wir uns ganz neue Konzepte ausdenken. Und das haben wir uns im „Quantum Valley Lower Saxony“ auf die Fahnen geschrieben, zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen der Fakultät für Elektrotechnik, Informationstechnik, Physik und der Universität Hannover.
Warum gibt es eigentlich diesen Hype um den Quantencomputer?
Dieser Hype hat sich in den vergangenen drei, vier Jahren entwickelt. Die Quantenmechanik ist noch die gleiche wie 1926. Die Idee des Quantencomputers wurde um 1995 geboren. Jetzt zeichnet sich ab, dass man die Entwicklung eines Quantencomputers tatsächlich innerhalb von fünf bis zehn Jahren schaffen kann. Ganz entscheidend hat dazu das EU-Flagship-Projekt „Quantum Technologies“ beigetragen, das die Entwicklung in Richtung Anwendungen orientiert hat. An dem Projekt sind Industriepartner beteiligt; es sollen Produkte entstehen und natürlich auch Geld damit verdient werden. Dieser Impetus hat die Entwicklung so beschleunigt, dass das Feld geradezu explodiert.
Professor Andreas Waag vom Institut für Halbleitertechnik der TU Braunschweig sagt: „Wir haben in Niedersachsen ausgezeichnete Voraussetzungen, um einen Quantencomputer weltweit führend voranzubringen.“ Wieso ist das so?
Das Problem beim Bau eines Quantencomputers ist die Skalierbarkeit. Es gibt jetzt schon Quantencomputer mit wenigen Qubits. So heißen die Basiselemente, die nicht nur 0 oder 1 sein können wie die herkömmlichen Bits, sondern alles dazwischen oder keines von beiden. Die Skalierbarkeit ist das Entscheidende, nämlich 50 echte Qubits zu erreichen. Das hört sich jetzt gar nicht so viel an: von 5 auf 50. Aber wenn man das alles mit komplizierten Laseraufbauten macht, auch noch im Vakuum, und alles einzeln angesteuert werden muss, ergibt sich doch ein enormer Aufwand. Durch den Ansatz des QVLS-Teams um die Quantenoptik-Experten Piet Schmidt und Christian Ospelkaus (LUH und PTB) und Andreas Waag (TU Braunschweig) mit Mikro-Ionenfallen und der Miniaturisierung der elektronischen Ansteuerung auf einen Chip erhält man diese Skalierbarkeit. Deshalb sind wir sehr optimistisch, dass wir hier in Niedersachsen mit die besten Voraussetzungen haben.
Quantenphysik ist ein Thema, das nicht nur von Schülerinnen und Schülern als schwierig empfunden wird. Was genau ist das Schwierige?
Unsere Sprache ist nicht für die Quantenphysik gemacht. Wenn ich sage, ein Qubit ist weder im Zustand 1 oder 0, sondern in einem Überlagerungszustand aus beiden, dann kann man sich darunter nicht viel vorstellen. Man muss in Experimenten und Versuchsaufbauten illustrieren, was es eigentlich bedeutet. Sie kennen vielleicht das Paradoxon von Schrödingers Katze (1935): Eine Katze, die weder tot noch lebendig ist, sondern auch in einem Überlagerungszustand. Da sieht man ganz plastisch, dass man keine Chance hat, sich ein Bild davon zu machen. Für die Schulen versuchen wir Argumentationshilfen zu bilden. Wir haben das Konzept der „Wesenszüge der Quantenphysik“ entwickelt (im Englischen „reasoning tools“ genannt, was vielleicht der bessere Begriff ist): Hilfen, um angemessen über Quantenphysik in Worten zu sprechen. Das wird inzwischen an vielen Schulen angewandt und dringt auch zunehmend in die Lehrpläne ein. Das neue niedersächsische Kerncurriculum ist in der Hinsicht sehr fortschrittlich. Ich bin auch überzeugt, dass in den nächsten zehn Jahren Quanteninformation in die Kerncurricula einziehen wird.
Schülerinnen und Schüler würden jetzt fragen, warum sie sich überhaupt damit auseinandersetzen müssen?
Die Quantenphysik ist wichtig, weil sie unser Weltbild grundlegend verändert hat. Das Bild aus der klassischen Physik, das aus der newtonschen Physik und der Planetenbewegung kommt, ist vollkommen deterministisch. Wenn ich die Anfangszustände kenne, kann ich für alle Zeiten Vorhersagen treffen. Das heißt: Alles ist durch den Anfangszustand festgelegt.
Die Quantenmechanik dagegen sagt: Es gibt objektiven Zufall in der Natur. Bei einem radioaktiven Kern, der eine Halbwertzeit von einem Tag hat, ist es tatsächlich zufallsbestimmt, ob dieser nach einem Tag zerfallen ist oder nicht. Es gibt keine verborgenen Variablen, die es determinieren würden. Das hat man erst in den vergangenen 30 Jahren richtig verstanden. Für Schülerinnen und Schüler ist es sehr spannend, dass es ständig objektiven Zufall in der Welt gibt und sich mit dieser Dichotomie „Alles ist bestimmt – überhaupt nichts ist bestimmt“ auseinanderzusetzen.
Begeistern kann man in der Schule auch mit Quantenkryptografie, eine Verschlüsselungstechnik. Jeder kennt das „https“ im Browserfenster, „s“ steht für „secure“. Diese Transportverschlüsselung könnte künftig durch Quantencomputer geknackt werden. Auf der anderen Seite stellt die Quantenmechanik Verfahren bereit, um mit bestimmten Protokollen, die leicht verständlich und nachvollziehbar sind, Information sicher zu übertragen. Das ist etwas, das die Schülerinnen und Schüler interessanter finden als beispielsweise Kernphysik. Der Quantencomputer ist das neue „rocket science“. Wenn man weiß, was ein Quantencomputer ist und was er macht, kann man damit glänzen!
Wie können Lehrkräfte Quantenphysik am besten erklären?
Ich habe dazu den milq-Lehrgang entwickelt, der die Wesenszüge der Quantenphysik vermittelt. Die erste Argumentationshilfe zum statistischen Verhalten heißt zum Beispiel: „In der Quantenmechanik sind im Allgemeinen nur statistische Vorhersagen möglich.“ Über Einzelereignisse in der Quantenphysik können wir also im Allgemeinen keine Aussagen machen. Erst wenn wir es oft genug wiederholen und viele Ereignisse betrachten, gibt es statistische Gesetzmäßigkeiten. Diese sind gut reproduzierbar. Auf diese Weise gibt es gute und empirisch erprobte Möglichkeiten, auch die modernen Aspekte der Quantenphysik in der Schule zu unterrichten.
Wie kann man Schülerinnen und Schüler bzw. Studieninteressierte für Physik und Quantenphysik begeistern?
Der Lehrplan sollte abbilden, wie vielfältig Physik eigentlich ist. Und: Schülerinnen und Schüler sollten nicht erst in der Oberstufe mit dem Thema Quantenphysik konfrontiert werden. Man könnte bereits in der Mittelstufe anknüpfen und Inhalte aus der Quantenphysik vermitteln – ohne viel Mathematik, sondern auf das neue Weltbild orientiert. In Bayern gab es das schon einmal als Lehrplaninhalt, und das hat recht gut funktioniert.
Um einmal Werbung in eigener Sache zu machen: Wir bieten für Schulklassen Master Classes Moderne Physik an. Das ist ein Projekt im Rahmen des Exzellenzclusters QuantumFrontiers, über das wir Schülerinnen und Schüler zu uns ins LENA einladen. Dabei experimentieren die Jugendlichen selbst und erschließen sich so Themen der modernen Physik. Natürlich im Rahmen der Schullehrpläne. Das soll Interesse für das Fach wecken. Die Schülerinnen und Schüler erfahren in den Master Classes etwas über die Forschungsprojekte von QuantumFrontiers und können sich die Labore anschauen, in denen die echte Forschung passiert.