12. Juni 2014 | Magazin:

Die Seele ist ein Organ, das auch krank werden kann

450 in Forschung, Lehre und Ausbildung tätige Psychologinnen und Psychologen trafen sich vom 28. bis zum 31. Mai an der Technischen Universität Braunschweig zum Symposium Klinische Psychologie und Psychotherapie. Sie diskutieren aktuelle Themen und Tendenzen in ihrem Arbeitsgebiet. Zeit für eine kurze Zwischenbilanz der beiden Gastgeber und lokalen Organisatoren, Prof. Dr. Nina Heinrichs und Prof. Dr. Kurt Hahlweg von der Abteilung für Klinische Psychologie, Psychotherapie und Diagnostik der TU Braunschweig. Der Niedersachsenprofessor und seine Nachfolgerin stehen exemplarisch für den Generationenwechsel in ihrem Fach und das Motto der Tagung „Tradition und Aufbruch“.

Schwerpunkte des Braunschweiger Profils sind unter anderem die Behandlung von Traumata und Depressionen, dem Leiden an eingebildeter Hässlichkeit (körperdysmorphe Störung) und die neue Kinder- und Jugendpsychotherapie. Etwa jedes fünfte Kind zeigt heute psychische Auffälligkeiten. Nicht immer handelt es sich dabei um Störungen, die therapiert werden müssen. Bei etwa jedem zehnten jungen Menschen gibt es, so die beiden Psychologen, Handlungsbedarf. Steigt der Anteil an psychisch kranken Kindern und Jugendlichen?

„Auch wenn es nach der Statistik auf den ersten Blick so aussehen mag: Nicht jede Störung tritt heute häufiger auf als früher“, erläutert Prof. Heinrichs, „und man soll nicht anfangen, zu viel zu pathologisieren. Wir haben heute oftmals vor allem bessere Möglichkeiten, das Auftreten von Störungen statistisch zu erfassen.“

Chronische seelische Störungen haben gravierende Auswirkungen auf das Gesundheitssystem, und diese finden in Deutschland immer mehr Beachtung. Schwere Depressionen etwa können zu langer Arbeitsunfähigkeit führen, vergleichbar mit Krebserkrankungen. Dass sich frühzeitige Kurzzeittherapien hier nicht nur auf die Gesundheit des Einzelnen, sondern auch auf die Kosten für das Gesundheitssystem positiv auswirken, hat eine frühere Studie der TU Braunschweig belegt.

Somatische und psychische Erkrankungen strikt zu trennen sei heute überholt, erläutert Prof. Hahlweg. „Wenn Diabetes-Patienten zum Beispiel zusätzlich an einer Depression erkranken, sinken ihre Chancen auf Gesundung immens. Ein anderes Beispiel ist der innere Antrieb, sich durch Sport und gute Ernährung fit und gesund zu erhalten.“ Um seine Lebensweise nicht nur mit guten Vorsätzen, sondern nachhaltig zu ändern, benötige man vor allem seelische Stärke.

Dass Psychotherapie auch außerhalb von Störungen Gutes bewirken kann, zeigt eine Langzeitstudie zur Partnerschaftsberatung am Institut. Gemeinsam mit Münchner Psychologen hatten die Braunschweiger „Ein partnerschaftliches Lernprogramm (EPL)“ entwickelt. Bei Paaren, die vor der Hochzeit das Programm gemeinsam absolviert hatten, gab es nach 25 Jahren eine Scheidungsrate von acht Prozent. Die durchschnittliche Rate insgesamt sowie bei Paaren in einem anderen Programm gleichen Umfangs liegt dagegen bei 30 Prozent, erläutert Hahlweg.

Trotz langer Wartezeiten in der dem Institut angegliederten Psychotherapieambulanz sind die Psychologen zufrieden mit der Versorgung in Deutschland. „Wir haben hier das beste Versorgungssystem überhaupt“, meint Hahlweg. „Von 25 Milliarden Euro jährlich für ambulante Heilkunde werden zwei Milliarden für Psychotherapie eingesetzt. Das ist viel besser als in anderen westlichen Staaten, wo oftmals vorrangig in die medikamentöse Behandlung von Störungen investiert wird.“

Kontakt:

Institut für Psychologie
Abteilung für Klinische Psychologie, Psychotherapie und Diagnostik
Humboldtstr. 33
38106 Braunschweig
Telefon: +49-531-391-2855

https://www.tu-braunschweig.de/psychologie/abt/klinische