28. Oktober 2021 | Magazin:

Adaptation without Borders Professor Eckart Voigts zur internationalen Ringvorlesung

„Adaption kann helfen, Grenzen zu überwinden und Brücken zu bauen“, sagt Professor Eckart Voigts vom Institut für Anglistik und Amerikanistik. „Nur in Übersetzung, Adaption und Transformation werden ältere Texte überleben.“ Die Ringvorlesung „Adaptation without Borders“ bringt Wissenschaftler*innen aus Europa, den USA, Indien und Korea zusammen, die ihre unterschiedlichen Sichtweisen zum aktuellen Stand der Adaptation Studies vorstellen und Einblicke in ihre Forschung geben. Professor Voigts wird gemeinsam mit Dr. Maria Marcsek-Fuchs am 2. November in die Reihe einführen, die Macbeth mit Memes verbindet.

Professor Eckart Voigts vom Institut für Anglistik und Amerikanistik. Bildnachweis: Florian Bült/TU Braunschweig

Herr Professor Voigts, am 2. November startet die Ringvorlesung „Adaptation without Borders“. Bei dem Begriff „Adaption“ denkt man wahrscheinlich zuerst an die Verfilmung eines Literaturklassikers, die man im Vergleich mit dem „Original“ für wenig gelungen hält. Um was genau geht es bei den „Adaptation Studies“?

Ja, ursprünglich ging es bei den Adaptation Studies tatsächlich um die klassische Literaturverfilmung. Die Haltung „Ich habe das Buch gelesen und dann die Verfilmung gesehen: Das Buch war besser“ bezeichnet auch die üblichen Vorbehalte gegenüber Adaptionen. Da hat sich jedoch viel in unseren Rezeptionsgewohnheiten geändert – heute sehen die Menschen mit großer Wahrscheinlichkeit erst die Verfilmung, bevor sie im Anschluss (hoffentlich) auch das Buch lesen. Außerdem fassen wir heute den Begriff wesentlich weiter als früher. Unsere Stichworte sind Intertextualität, Intermedialität, Appropriation, Übersetzung, Transformation und Remix: Vor allem in der digitalen Welt geht es hin und her zwischen den Gattungen und Medien, zwischen Twitter, TV, Comics, Theater, aber auch Tanz, Fotografie, Lyrik und vielem mehr.

Nicht zuletzt: Der unbestritten wichtigste Autor der Weltliteratur, Shakespeare, ist der Ober-Adapteur überhaupt. Wer glaubt, „Romeo und Julia“ oder „Macbeth“ seien originale Dichtungen, liegt komplett daneben: Bei „Macbeth“ wildert er in Holinsheds Chroniken Schottlands von 1587 und für „Romeo und Julia“ lagen ihm das Langgedicht von Arthur Brooke von 1562 und jede Menge Varianten in anderen Sprachen für seine Adaption zur Verfügung. Auch Shakespeare bediente sich also an einem existierenden Reservoir von Erzählungen und adaptierte sie für die Bühne. Kein Wunder, dass es umgekehrt Shakespeare und seine Stücke nicht nur in Film und TV, sondern auch als Vlogs, Webseries und Memes gibt.

Kann Adaption das Überleben von Erzählungen sichern?

Der Begriff stammt ja aus der Biologie und es stimmt: Damit Erzählungen überleben, müssen sie sich anpassen. Veränderungen sind notwendig und unausweichlich. Der „Beowulf“, ein altenglisches Epos, entstanden irgendwann im Frühmittelalter vor dem 11. Jahrhundert, ist in Runenschrift erhalten – damit kann kaum jemand etwas anfangen. Zum Glück gibt es viele Übersetzungen, zum Beispiel von Nobelpreisträger Seamus Heaney und auch Verfilmungen, beispielsweise 2007 von Robert Zemeckis mit Angelina Jolie. Über die Qualität der Interpretation lässt sich trefflich streiten, gerade auch in diesem Fall – aber so bleibt ein altenglisches Epos, das nur in einem Exemplar überhaupt überliefert ist, auch nach mehr als einem Jahrtausend  noch im öffentlichen Bewusstsein.

Der Titel der Ringvorlesung heißt „Adaptation without Borders“. Welche Grenzen werden hier überschritten beziehungsweise existieren nicht? Welche Bereiche werden in den Vorträgen untersucht?

Alle vortragenden Wissenschaftler*innen lehren jenseits von Deutschland, unter anderem auch in Korea und Indien. Uns war es wichtig auf die globale Dimension der Adaption einzugehen, auf die notwendigen Prozesse von Anknüpfung, Aneignung und Hybridisierung von Erzählungen zwischen Sprachen und Kulturen. Natürlich eint die englische Sprache alle Vortragenden und viele kommen auch aus den USA und Großbritannien. Denn traditionell ist die Adaptionsforschung anglo-amerikanisch geprägt.  Hier sitzen immer noch überwiegend die finanzkräftigen Medienunternehmen, die den Markt mit populären Erzählungen versorgen. Das ändert sich zwar derzeit, auch hier gibt es sehr viel mehr Diversität, aber gerade dabei entstehen viele Konflikte. Das Stichwort ist „Cultural Appropriation“, die oft gedankenlose Aneignung fremden Kulturguts. Auch so etwas gehört in das Feld der Adaptation Studies.

Auf welche Vorlesung freuen Sie sich am meisten? Und warum?

Bitte zwingen Sie mich nicht, hier einzelne Vorlesungen hervorzuheben. Ich freue mich sehr, dass wir viele renommierte Forscher*innen im Feld gewinnen konnten. Ich bin schon gespannt, wie Kamilla Elliott, die gerade erst das Standardwerk „Theorizing Adaptation“ bei Oxford UP veröffentlicht hat, Adaptation und Apps zusammenbringt oder wie Julie Sanders Global Shakespeares liest. Auch Thomas Leitchs Titel zur Adaptions-Extase macht mich sehr neugierig. Nicht zuletzt freue ich mich auf die Beiträger*innen, die sich auf den weiten Online-Weg aus Indien und Südkorea zu uns begeben und hoffe, dass wir die teils erheblichen Zeitverschiebungen in den Griff kriegen.

Wieso könnte die Vorlesungsreihe auch für Interessierte anderer Fachbereiche und Fakultäten spannend sein?

Vieles von dem, was wir sehen, hören und lesen, unterliegt spannenden Prozessen der Adaption – manchmal offen, oft jedoch auch verdeckt. Denken wir an die Kontoverse um rassistische Begriffe in Astrid Lindgrens Kinderbuchklassiker „Pippi Langstrumpf“. Wieviel Veränderung verträgt dieser Text aus den 1940er Jahren, wenn wir ihn heute mit unseren Kindern lesen? Gibt es überhaupt ein Urheberrecht auf literarische Figuren – eine Debatte, die zum Beispiel im Fall von Sherlock Holmes sehr kontrovers geführt wurde? Sollten Holmes und James Bond heute nicht vielleicht von Frauen gespielt werden? Warum ist die südkoreanische Serie „Squid Game“ plötzlich ein globales Phänomen auf Netflix und wie verändert sie sich durch Untertitel oder Synchronisation? Und was reizte Akira Kurosawa so an Shakespeare? Dürfen Fans alles mit Harry Potter und „Star Trek“ veranstalten, was sie wollen? Wie sollte ein Glossar für Texte, die aus dem Arabischen ins Deutsche übersetzt wurden, aussehen und wer braucht so etwas wozu?

Warum werden im türkischen Kino Remakes von Friedkins „Exorzist“ gedreht und in Bollywood von Christopher Nolans „Memento“? Wie verhält sich Frank Herberts Science Fiction Klassiker „Dune“ zu David Lynchs Verfilmung von 1984, der Serie von 2000 und dem Remake, das gerade in den Kinos läuft? Sind GIFs eine Art Minikino und was passiert mit Literatur in Tiktok, Etsy und Instagram? Mit solchen und vielen anderen Fragen beschäftigen sich zurzeit die Adaptation Studies.

Wir leben in bewegten Zeiten, die Welt rückt zusammen, aber auch wieder auseinander. Nicht nur Menschen bewegen sich, sei es aus Zwang oder freiwillig, sondern auch Kulturen und damit Kulturtexte. Die Reihe soll den Blick dafür schärfen, dass mit den Adaptation Studies ein kultur- und medienwissenschaftliches Feld zur Verfügung steht, dass sich seit langer Zeit mit der Bewegung zwischen Texten, Medien und Kulturen beschäftigt. Adaption kann helfen, Grenzen zu überwinden und Brücken zu bauen. Nur in Übersetzung, Adaption und Transformation werden ältere Texte überleben. Und genau hier liegt ein besonderer Reiz der Adaptionsforschung, denn sie bringt immer Vergangenes und Gegenwärtiges zusammen.