25. November 2020 | Presseinformationen:

Besser gewappnet gegen den Tsunami TU Braunschweig untersucht Forschungslücken von Baurichtlinien

Völlig zerstörte Einfamilienhäuser, ineinander verkeilte Schiffe zwischen Gebäuden, meterhohe Trümmer vor den Toren einer Lagerhalle, unterspülte Mauern – der durch ein Erdbeben ausgelöste Tsunami vom 28. September 2018 traf die indonesische Stadt Palu mit voller Wucht. Wissenschaftler der Technischen Universität Braunschweig, aus Kanada, USA und Japan haben die Schäden vor Ort dokumentiert und die Auswirkungen auf Infrastruktur und Gebäude untersucht. Ziel ihrer Studien ist es unter anderem, in Baurichtlinien die Bemessungsansätze für Tsunami-sichere Städte zu verbessern.

Der Erdbeben-Tsunami mit einer Welle zwischen etwa zwei und sieben Metern verwüstete weite Teile der Stadt Palu und andere Orte an der Küste. Vor Ort sahen die Wissenschaftler, wie durch die Flutwelle die Waren mehrerer Lagerhallen großflächig verteilt wurden und sich an tragenden Gebäudestützen anhäuften. Dadurch waren die Säulen stark belastet und stürzten oftmals ein.

Diese Ansammlungen von Trümmerteilen, auch als „Debris Dam“ bezeichnet, sah das Forschungsteam in Palu ebenso bei Schiffen: So drückte der Tsunami zwei ineinander verzahnte Boote zwischen zwei Gebäude. Diese hydrodynamische Belastung wurde über die Schiffe auf die Gebäude weitergeleitet und gleichzeitig der Wasserstand vor den Schiffen erhöht. „Beide Effekte führen zu einem Anstieg der Bauwerksbelastungen, der bisher noch nicht in den Baurichtlinien berücksichtigt wurde und daher weiter untersucht werden muss“, so Clemens Krautwald, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leichtweiß-Institut für Wasserbau (LWI) der TU Braunschweig, der gemeinsam mit seinem kanadischen Kollegen Jacob Stolle einen Monat nach der Tsunami-Katastrophe für die Felduntersuchungen nach Asien reiste.

Grundlage sind die amerikanischen Baurichtlinien „Minimum Design Loads and Associated Criteria for Buildings and Structures“ (ASCE 7-16, 2017) der American Society of Civil Engineering (ASCE). Sie gelten weltweit als Maßstab für die Bemessung von tsunami-sicheren Bauwerken. Forschungslücken und offene Fragestellungen zu Belastungen von Bauwerken durch Tsunami decken die Wissenschaftler in zwei kürzlich in Fachzeitschriften erschienenen Veröffentlichungen auf.

Kolkbildung an Stahlbetonkonstruktionen

So wirken sich nicht nur umherschwimmende Trümmer und mögliche hydrodynamische Belastungen auf die Standfestigkeit von Bauwerken nach einer solchen Katastrophe aus. Als weiteres Problem nennt Clemens Krautwald die Kolkbildung, also die Entstehung einer wassergefüllten Vertiefung, an Gebäudestrukturen. Das betrifft zum Beispiel Stahlbetonkonstruktionen, die in Palu zwar überwiegend intakt blieben, jedoch nach dem Tsunami weniger stabil waren, da tragfähiger Boden verloren ging.

Auskolkungen an Gebäudeecken, umströmten Pfeilern und hinter überströmten Mauern haben die Wissenschaftler in Indonesien vermessen. Dabei konnten die Forschenden beobachten, dass Gebäudestrukturen unterschiedlich im Boden verankert waren, je nach Bodenzusammensetzung. „Während einer Tsunamiüberschwemmung wird ein hoher Druck aufgebaut, der sich auf das Wasser in den Poren im Boden überträgt. Fällt der Druck aufgrund des vorübergegangenen Tsunamis abrupt ab, muss der Boden diesen überschüssigen Druck abbauen. Nachteilige Bodenzusammensetzungen können den Druckabbau verhindern, sodass verstärkt Erosionen oder Kolkungen entstehen“, so Clemens Krautwald.

Versuche im Großen Wellenkanal

Diese Prozesse können zwar in Felduntersuchungen beschrieben und deren Schäden begutachtet, jedoch nicht immer mit verlässlichen Messwerten belegt werden. Sie sind jedoch notwendig, um zu wissen, wie tief beispielsweise die Pfeiler einer Brücke in den Boden gebaut werden müssen.

Wissenschaftliche Untersuchungen zu derartigen Fragestellungen erfordern die Wiederholbarkeit der Prozesse in großskaligen Versuchseinrichtungen, beispielsweise im Großen Wellenkanal (GWK) des Forschungszentrums Küste (FZK) der TU Braunschweig und der Leibniz Universität Hannover.

Deshalb hat ein internationales Forschungsteam, bestehend aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Leichtweiß-Instituts für Wasserbau der TU Braunschweig, des Ludwig-Franzius Instituts der Leibniz Universität Hannover sowie der University of Ottawa in Kanada, Experimente zur Kolkbildung bei Tsunami um pfeilerartige Strukturen durchgeführt. Die zeitliche Entwicklung der Porenwasserdrücke und der Kolktiefen während einer tsunamiähnlichen Überschwemmung stellt eine Forschungslücke dar, die mit diesem Forschungsvorhaben weiter untersucht wird.

In einem Magazin-Beitrag gibt es Einblicke in die Versuche mit Tsunami-ähnlichen Wellen inklusive Videos:
https://magazin.tu-braunschweig.de/m-post/tsunami-im-wellenkanal/