Wie autonomes Fahren unsere Arbeitswelt und die Wirtschaft verändert Interview mit Prof. Simone Kauffeld und weiteren NFF-Experten
Das autonome Fahren wird Veränderungen in vielen Lebensbereichen nach sich ziehen – insbesondere aber in der Wirtschaft, etwa in der Produktion, in Geschäftsprozessen und natürlich auch in der Arbeit von Beschäftigten. Wir haben dazu mit Prof. Simone Kauffeld (Institut für Psychologie), Prof. Thomas Vietor (Sprecher des Niedersächsischen Forschungszentrums Fahrzeugtechnik, NFF) und Prof. David M. Woisetschläger (Institut für Automobilwirtschaft und Industrielle Produktion) sowie mit Prof. Roman Henze (Institut für Fahrzeugtechnik) gesprochen.
Wie stufen Sie diesen Wandel durch die Einführung des autonomen Fahrens ein?
Prof. Thomas Vietor: Das autonome Fahren wird viele Veränderungen verursachen, wird aber nicht in einem Schritt kommen. Es wird zwischen fünf verschiedenen Stufen unterschieden, von denen heute bereits drei im Kraftfahrzeug realisiert sind, das heißt, ein Kunde kann diese bei einem neuen Fahrzeug erwerben. Neben der Straße darf aber auch die Schiene für automatisierten Verkehr nicht vergessen werden. Auch hier gibt es die unterschiedlichen Stufen, von denen die untersten bereits realisiert sind.
„Ein Teil dieses Wandels wird schrittweise und kontinuierlich erfolgen, es wird aber auch größere Änderungen geben.“ – Prof. Thomas Vietor
Das autonome Fahren kann viele Veränderungen in unserem täglichen Leben bedeuten. Es ergeben sich sehr viele Möglichkeiten. Bereits heute ist es sehr schwer, für den ÖPNV und den Güterverkehr Fahrerinnen und Fahrer zu finden. Hier bietet das autonome Fahren die Möglichkeit Ersatz zu schaffen. Darüber hinaus kann Mobilität auch in ländlichen Regionen ermöglicht werden, wo die Infrastruktur und Einwohneranzahl bisher keinen leistungsfähigen ÖPNV ermöglicht. Auch sind neue Konzepte für die Mobilität realisierbar, bei denen die Innenstädte entlastet werden und die Fahrzeuge wirklich intensiv genutzt werden und nicht wie heute einen großen Teil der Zeit durch Parken wertvolle Flächen belegen.
Ein Teil dieses Wandels wird schrittweise und kontinuierlich erfolgen, es wird aber auch größere Änderungen geben, bei denen eine große Änderung in einem Schritt realisiert wird. Wenn es zum Beispiel gelingt, dass der Fahrer oder die Fahrerin im Fahrzeug selber nicht mehr erforderlich ist, wäre dies ein entscheidender Schritt. Bei den heute bereits verfügbaren Stufen des automatisierten Fahrens erfolgt lediglich eine zeitweise Übernahme des Fahrens vom Fahrer auf das Fahrzeug, es muss also noch eine Fahrerin oder Fahrer im Fahrzeug sein. Zeitnah wird Verkehr in speziellen Bereichen automatisiert wie in Parkhäusern oder in Logistikzentren, also in Bereichen, in denen sich dann keine Personen aufhalten.
Prof. David M. Woisetschläger: Außerdem ist vorstellbar, dass das automatisierte Fahren Geschäftsmodellen wie dem Carsharing zu einem Durchbruch verhelfen wird. Momentan sind die Betriebskosten der Anbieter sehr hoch und auch das Wertversprechen der flexiblen Nutzung nicht ausreichend darstellbar. Mit dem automatisierten Fahren werden Fahrzeuge bedarfsgerechter eingesetzt und somit die Transaktionskosten für Anbieter und Kunden gesenkt werden können.
Welche Schwierigkeiten sind mit der Entwicklung und Einführung des autonomen Fahrens verbunden?
Prof. Vietor: Für Fahrzeuge und die Verkehrsinfrastruktur bedeutet autonomes Fahren eine erhebliche Anpassung. Das Fahrzeug ist mit zusätzlichen Sensoren und Aktoren auszustatten, die das Umfeld wahrnehmen. Dabei fallen sehr große Datenmengen an, die sehr schnell verarbeitet werden müssen. Damit die wahrgenommenen Bilder interpretiert werden können, müssen die zugrundeliegenden Algorithmen trainiert werden, was wiederum sehr umfangreiche Entwicklungsarbeit erfordert. Die erforderliche Speicher- und Prozessorleistung erfordert eine umfangreiche Ausstattung im Fahrzeug selbst oder der Infrastruktur oder in einer Kombination bzw. Aufteilung zwischen Fahrzeug und Infrastruktur.
„Eine offene Frage ist, ob autonomes Fahren zu weniger oder mehr Verkehr führen wird.“ – Prof. David M. Woisetschläger
Prof. Woisetschläger: Eine offene Frage ist, ob autonomes Fahren künftig zu weniger oder mehr Verkehr und den damit zusammenhängenden Belastungen führen wird. Einerseits kann automatisiertes Fahren zu einer deutlich höheren Effizienz der Mobilität – sowohl in ökonomischer als auch in ökologischer Hinsicht – führen. Andererseits ist vorstellbar, dass durch die Technologie insgesamt mehr Mobilität nachgefragt wird.
Welche Bereiche der Arbeits- und Geschäftswelt sind konkret von dem Wandel (Transformation) betroffen?
Prof. Woisetschläger: Hier lassen sich zwei wesentliche Akteursgruppen nennen – diejenigen, die Fahrzeuge entwickeln und diejenigen, die Fahrzeuge einsetzen. Fahrzeughersteller und -zulieferer stehen vor der Herausforderung, die Entwicklung voranzutreiben und dabei nicht den Anschluss zum Wettbewerb zu verlieren. Das ist ein kapitalintensives und risikobehaftet es Unterfangen mit ungewissem Ausgang, insbesondere für diejenigen Unternehmen, die den Wandel – aus unterschiedlichen Gründen – nicht gestalten können.
Prof. Simone Kauffeld: Auch die Nutzung wird zu starken Transformationsbewegungen führen: Heutige Berufsbilder wie Busfahrer, Taxifahrer, etc. werden sich verändern, aber an deren Stelle werden neue Aufgaben treten, bspw. für das Monitoring automatisierter Fahrzeuge im Verkehr, vergleichbar mit den heutigen Fluglotsen. Für die Nutzerinnen und Nutzer autonomer Fahrfunktionen werden zentrale Nutzenbestandteile wie Flexibilität, Bequemlichkeit und Sicherheit zu einem veränderten Kauf- und Nutzungsverhalten führen.
Wie reagieren Unternehmen darauf?
Prof. Roman Henze: Es gibt Fahrzeughersteller und -zulieferunternehmen, Unternehmen der IT-Branche und Start-ups, die stark auf diesen Wandel setzen. Hierbei sind Größe und Ertragskraft wichtige Voraussetzungen, um die Entwicklung finanzieren zu können.
„OEMs wandeln sich vom Automobilhersteller zum Anbieter nachhaltiger Mobilitätsdienstleistungen.“ – Prof. Roman Henze
Gegenwärtiger Ansatz der etablierten Anbieter ist, durch inkrementelle Innovationen die Stufen des automatisierten Fahrens zu erklimmen. Technologiekonzerne verfolgen zum Teil den Ansatz der radikalen Innovation, mit dem Ziel, Technologie für die stufend vollautomatisieren und fahrerlosen Fahrens anbieten zu können. Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie Innovationsprozesse für die Mobilität der Zukunft wurden in der Initialphase stärker vorangetrieben als je zuvor. In Kombination mit den prognostizierten Veränderungen der Kundenanforderungen kommt es zu einem entscheidenden Paradigmenwechsel. Der primäre Geschäftszweig der OEMs wird ausgebaut und wandelt sich vom Automobilhersteller zum Anbieter nachhaltiger Mobilitätsdienstleistungen.
Bei der strategischen Ausrichtung halten die führenden Hersteller an traditionellen Werten fest, gründen aber gleichzeitig eigene Sparten oder sind offen für Allianzen mit starken IT-Playern, die von ihrem umfassenden Know-how in der auf künstlicher Intelligenz basierenden Software und Datenverarbeitung und nutzerorientierten Dienstleistungen profitieren.
Was heißt das für die Beschäftigten, welche zusätzlichen Kompetenzen benötigen sie?
Prof. Kauffeld: In einer Interviewstudie mit 30 ExpertInnen aus der Produktion, Forschung & Entwicklung und der Führungsebene sowie Politik und Beratung wurden 40 fachliche und überfachliche Kompetenzen für den wertschöpfenden Prozess der Automobil- und Zuliefererindustrie identifiziert. In einem Expertenworkshop wurde gefragt, wie wichtig die jeweiligen Kompetenzen für Mitarbeitende in der Automobilindustrie heute und in Zukunft sind. Zukunft in dem Kontext ist 2035 – das EU-Vebrenner-Aus.
„Die Kompetenz, die in Zukunft am meisten an Bedeutung gewinnt, ist das selbstgesteuerte Lernen.“ – Prof. Simone Kauffeld
In Zukunft besonders wichtige Fachkompetenzen sind nachhaltiges Arbeiten in der Kreislaufwirtschaft, Konnektivität (d.h. Kenntnisse der Kommunikationssysteme, z.B. Car to Car oder Car to X), Umgang mit Hochvoltsystemen, Anwendung von additiven und generativen Fertigungsverfahren, elektrochemische Grundlagen, regulatorische Anforderungen und Problemlösungsorientierung.
Handwerkliches Geschick nimmt in Zukunft an Wichtigkeit im wertschöpfenden Prozess der Automobilindustrie ab, aber wird nicht unwichtig. In Zukunft besonders wichtige überfachliche Kompetenzen sind selbstgesteuertes Lernen, virtuelles Planen & Montage, Datenverständnis, Software-Geübtheit, IT-Anwendung, Datensicherheit, diversitätsorientierte Ansätze, Trendverständnis, Innovationstreiben und Vernetzung (d.h. das Ausbauen, Pflegen und Nutzen von persönlichen und beruflichen Kontakten).
Die Kompetenz, die von allen in Zukunft am meisten an Bedeutung gewinnt, ist das selbstgesteuerte Lernen – hier können wir sehr gut ansetzen und unterstützen.
Was kann die Wissenschaft dazu beitragen? Frau Prof. Kauffeld, wo setzen Sie als Expertin der TU Braunschweig an?
Prof. Kauffeld: Die Weiterbildung „VeränderungsMacher*in“ ist ein Beispiel dafür, wie Wissenschaft Wirkung in der Praxis entfalten kann. „VeränderungsMacher*in“ ist ein Format, das Fachkräfte nicht nur mit individuellen Fähigkeiten ausstattet, sondern sie auch dazu befähigt, aktiv Veränderungsprozesse in Unternehmen zu gestalten. Über sechs Monate hinweg vermittelt die Weiterbildung nicht nur theoretisches Wissen, sondern zeigt auch, wie diese Fähigkeiten nahtlos in den organisatorischen Kontext integriert werden können.
Unsere Forschung in der Arbeits- und Organisationspsychologie betont die Bedeutung des Lerntransfersystems. Der Erfolg von Weiterbildungsmaßnahmen hängt demnach nicht nur von individuellen Fähigkeiten ab, sondern auch von einem durchdachten Lerntransfersystem. Sie stellen sicher, dass das erworbene Wissen in den Arbeitsalltag übertragen wird.
Unsere Forschung zeigt deutlich, dass die Gestaltung des organisationalen Arbeitsumfelds entscheidend für den Erfolg von Weiterbildungsmaßnahmen ist. Damit ermöglicht das Format eine enge Verknüpfung von Top-Down- und Bottom-Up-Prozessen, das nicht nur individuelles Lernen fördert, sondern auch die gesamte Organisation aktiv in den Veränderungsprozess einbindet. Um ganzheitliche Transformationsprozesse zu gestalten, ist es von Bedeutung solche ganzheitlichen Formate zu erschaffen und hier kann Wissenschaft einen nachhaltigen, evidenzbasierten und damit wirksamen Ansätze bieten.
Fahrzeuge der Zukunft werden anders gestaltet werden. Der Verkehr der Zukunft wird anders ablaufen. Auf beiden Gebietet forschen wir an der Technik, der Akzeptanz durch den Menschen und an neuen Geschäftsmodellen sowie dem Einfluss auf die Arbeit des Menschen.
Im Niedersächsischen Forschungszentrum Fahrzeugtechnik (NFF) wird das Fahrzeug und die Mobilität der Zukunft erforscht. Beides kann nur gemeinsam mit den unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen aus Technik, Gesellschaft und Recht erfolgen.