Wen lassen Sie vor, wenn Sie an der Kasse Schlange stehen? Supermarkt-Studie testet Bereitschaft, andere Kunden vorzulassen
Im Gegensatz zu selbstlosen Handlungen unter Personen, die in einer Beziehung zueinander stehen, sind einmalige Interaktionen zwischen Fremden nicht durch die Aussicht auf eine Gegenleistung motiviert. Warum also sollte man sich die Mühe machen zu helfen? Um Licht in das evolutionäre Rätsel zu bringen, was eine Kooperation zwischen genetisch nicht verwandten Personen bedingt, untersuchten zwei deutsche Forscher eine allseits bekannte Situation: Schlange stehen an der Kasse eines Supermarktes.
Florian Lange und Frank Eggert von der Abteilung für Psychologische Methodenlehre und Biopsychologie des Instituts für Psychologie der Technischen Universität Braunschweig stellten fest, dass das Verhalten der Kunden untereinander von zwei Variablen abhängt, nämlich dem Kosten-Nutzen-Verhältnis der hilfreichen Handlung und dem Eindruck, den potentiell hilfsbereite Kunden von ihrem Gegenüber haben. Die Studie erscheint im Springer-Journal Human Nature.
Lange und Eggert entwarfen einen Feldversuch, in dem sich zwei männliche Probanden jeweils 60 Mal mit einem für die anderen Kunden gut sichtbaren Produkt in die Schlange an der Supermarktkasse anstellten. In 50 % der Fälle hatten sie eine Flasche Wasser bei sich, in 50 % eine Flasche Bier. Die Reihenfolge der Waren wurde zufällig festgelegt. Jeder Vorgang wurde von einem unabhängigen Beobachter überwacht.
Es stellte sich heraus, dass die anderen Kunden eine größere Bereitschaft zur Kooperation zeigten, wenn der Begünstigte mit einem deutlichen Zeitgewinn rechnen konnte. Die Autoren erklären dies mit einem image-abhängigen Modell der indirekten Reziprozität: Potenzielle Helfer sind eher bereit zu kooperieren, wenn ihr Gegenüber dadurch einen möglichst hohen Nutzen hat. Die Hilfsbereitschaft potenzieller Helfer nahm jedoch signifikant ab, wenn der Testkunde eine Flasche Bier in der Hand hielt. Anderen Studien zufolge werden Biertrinker oftmals als verantwortungslos und charakterlos eingestuft. Die Autoren vermuten, dass die meisten Leute annehmen, dass Biertrinker anderen Personen mit hoher Wahrscheinlichkeit im Gegenzug nicht helfen werden. Daraus schließen Lange und Eggert, dass die Bereitschaft anderen zu helfen größtenteils vom Eindruck abhängt, den man von seinem Gegenüber hat.
Weitere Untersuchungen sind erforderlich um detaillierteres Wissen über die Determinanten menschlichen Verhaltens zu erlangen, insbesondere im Hinblick auf Beobachtbarkeit und unmittelbarere Informationen zur Kooperationsbereitschaft des Begünstigten. Die vorliegende Studie ist jedoch als erster Schritt zu werten und zeigt, dass Hilfe unter Fremden einem Modell indirekter Reziprozität folgt und dass die Feldversuch einen geeigneten methodischen Ansatz zur Untersuchung menschlichen kooperativen Verhaltens darstellt.
(Presseinformation der Springer-Verlag GmbH vom 22. Oktober 2015)
Zur Publikation
Lange, F. et al (2015). Lange, F. et al (2015). Selective Cooperation in the Supermarket. Field experimental evidence for indirect reciprocity, Human Nature. DOI 10.1007s/s12110-015-9240-9
Kontakt
Prof. Dr. Frank Eggert
Florian Lange, M.Sc.
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