29. April 2022 | Magazin:

Realitätsnahe Fahrzeugtests bei Kälte und Klima Vorgestellt: Der neue Klimarollenprüfstand am NFF

Das Niedersächsische Forschungszentrum Fahrzeugtechnik (NFF) vereint Kompetenzen der TU Braunschweig und externer Mitglieder in der Mobilitätsforschung. Es bietet Kontakte in europäische und internationale Netzwerke, starke Verbindungen in die Industrie, unterstützt bei der Projektakquise und bei der Teilnahme an großen Förderprojekten. Darüber hinaus ist in der NFF-Zentrale am Braunschweiger Forschungsflughafen eine komplexe Infrastruktur von Großgeräten zu finden. Die mit 4,9 Millionen Euro bislang größte Investition ist der Klimarollenprüfstand, der gerade vom niedersächsischen Wissenschaftsminister eingeweiht wurde. Der Prüfstand erlaubt Messungen zum Fahrverhalten eines Fahrzeugs anhand zahlreicher Parameter unter zum Teil extremen äußeren klimatischen Bedingungen.

Blick in den neuen Klimarollenprüfstand am NFF in Btraunschweig. Bildnachweis: NFF/ André Walther

Das am NFF errichtete und nun eingeweihte Forschungsgroßgerät „Allrad-Klimarollenprüfstand“ war bereits seit den Anfängen des NFF vorgesehen, um die praxisnahe Wissenschafts-Roadmap des Forschungszentrums zu komplettieren. Nach der Planungsphase und der Auftragsvergabe erfolgte der Baubeginn des Prüfstandes im ersten Quartal 2020. Nach gut anderthalb Jahren Bauzeit wurde die Anlage fertiggestellt und steht seit Ende 2021 den Mitgliedern des NFF für die Gemeinschaftsforschung zur Verfügung.

Prüfstand in einer Strömungs- und Klimakammer

Bei der Anlage, gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), handelt es sich um einen Allrad-Rollenprüfstand, der in eine Strömungs- und Klimakammer integriert ist. Der radindividuelle Antrieb der Prüfstandsrollen mit einer mechanischen Gesamtleistung von 800 kW ermöglicht die Untersuchung beliebiger Antriebstopologien, es können also sowohl front- und heck- als auch allradgetriebe Fahrzeuge aller Antriebsarten (Elektro‑, Hybrid- oder konventionelle Antriebe) untersucht werden. Gleichzeitig ermöglicht ein Strömungskanal die realitätsnahe Fahrtwindumströmung des Fahrzeugs bei Fahrtwindgeschwindigkeiten von bis zu 150 Kilometer pro Stunde. Währenddessen stellt die integrierte leistungsstarke Klimatechnik kontrollierte Umgebungsbedingungen für die Versuche bereit. Die Lufttemperatur im Prüfstand kann so zwischen ‑30 und +40 Grad Celsius genau eingestellt werden. Die Luftfeuchte ist im Bereich bis 95 Prozent (relative Luftfeuchte) einstellbar.

Modernste Technik über drei Stockwerke

Der Gesamtprüfstand erstreckt sich insgesamt über drei Stockwerke: Die Prüfstandsrollen und ihre Antriebsmaschinen sind im Keller untergebracht, die Fahrzeug-Prüfkammer befindet sich im Erdgeschoss und die Umluft- und Klimatechnik hat im ersten Obergeschoss Platz gefunden.

„Der neue Allrad-Klimarollenprüfstand des NFF zeichnet sich gegenüber in der Industrie üblichen Anlagen dadurch aus, dass wir ein besonderes Augenmerk auf die realitätsnahe Nachstellung der Fahrzeugumströmung gelegt haben. Sollte es die Anwendung erfordern, können wir durch die zwischen 2,25 und 2,75 Meter höhenverstellbare Decke der Prüfkammer eine realitätsnahe Unterbodenströmung erzwingen, wie sie auch bei der Fahrt auf der Straße auftritt“, sagt Gerrit Brandes, Teamleiter des Forschungsbereiches „Fahrzeugantriebe und -getriebe“ des Instituts für Fahrzeugtechnik (IfF) der TU Braunschweig, der zusammen mit Dr.-Ing. Gunther Alvermann (ebenfalls IfF) den Aufbau des NFF-Gemeinschaftsprüfstandes geleitet hat.

Teil des Klimarollenprüfstandes: Umluft- und Klimatechnik im Obergeschoss. Bildnachweis: NFF/André Walther

Wichtig für die Erforschung des Thermomanagements bei E-Autos

Die erwähnte Unterbodenströmung ist neben der gleichmäßigen Anströmung des Vorderwagens entscheidend für die Untersuchung des thermischen Verhaltens von E-Fahrzeug-Traktionsbatterien, die bei den meisten Fahrzeugen in den Unterboden integriert sind. „Dem Thermomanagement kommt bei innovativen Fahrzeugantrieben eine besondere Bedeutung zu. Elektrifizierte Fahrzeugantriebe haben zwar einen erheblich besseren Wirkungsgrad als konventionelle Antriebe, die entstehende Abwärme ist aber teilweise erheblich schwerer abzuführen. Außerdem besteht sowohl bei Batterien als auch bei Brennstoffzellen eine ausgeprägtere Temperaturabhängigkeit des Betriebsverhaltens, als dies bei Verbrennungsmotoren der Fall ist. Diese Umgebungseinflüsse können wir jetzt in einer reproduzierbaren Prüfstandsumgebung detailliert untersuchen“, so Gerrit Brandes weiter.

Auch das Kaltstartverhalten verschiedener Antriebssysteme sei ein relevantes Forschungsthema. Mit Hilfe eines sogenannten PEMS (Portable Emissions Measurement System) können darüber hinaus ebenso die Emissionen von Hybridfahrzeugen unter kontrollierten Umgebungsbedingungen ermittelt werden.

Das Themenfeld Thermomanagement erstreckt sich jedoch nicht nur auf den Fahrzeugantrieb und seine Komponenten, sondern spielt ebenso für die Betriebssicherheit, weitere Fahrzeugfunktionen und auch den Klimakomfort der Fahrzeuginsassen eine erhebliche Rolle, sodass der Allrad-Klimarollenprüfstand des NFF institutsübergreifend genutzt wird.