4. Dezember 2019 | Magazin:

Muss ich mich schämen, wenn ich fliege? 5 Fragen an Prof. Jens Friedrichs

Im Rahmen der Public Climate School hat Professor Jens Friedrichs, Sprecher des Exzellenzclusters SE2A und Leiter des Instituts für Flugantriebe und Strömungsmaschinen, über „Flugscham und die Zukunft des Fliegens“ gesprochen. Wir haben nachgehakt und ihm zu diesem Thema fünf Fragen gestellt.

Professor Jens Friedrichs vom Institut für Flugantriebe und Strömungsmaschinen (IFAS) der TU Braunschweig vor einem Flugzeugtriebwerk. Bildnachweis: Marisol Glasserman/TU Braunschweig

Herr Prof. Friedrichs, muss ich mich schämen, wenn ich heutzutage noch mit dem Flugzeug in den Urlaub oder zu einer Dienstreise fliege?

Schauen wir uns einmal die Zahlen an. Die Luftfahrt ist global für zwei Prozent des CO2-Ausstoßes verantwortlich und ist damit in dieser Bilanz leicht unterhalb des Schiffsverkehrs. Dabei muss man mit einrechnen, dass die Emissionen beim Fliegen in großer Höhe freigesetzt werden und damit im Mittel etwa dreimal wirksamer sind. Auf der Rangliste der CO2-Verursacher steht die Luftfahrt aber immer noch weit hinter der Industrie, den privaten Haushalten und dem bodengebundenen Verkehr. Ein voll besetztes und entsprechend der Auslegung eingesetztes Flugzeug verbraucht im Durchschnitt etwa dreieinhalb bis vier Liter Kraftstoff pro Passagier und 100 Kilometer – das ist so gut wie moderne Autos, wenn man darin allein unterwegs ist.

Also nein, aus meiner Sicht ist Flugscham nicht nötig – auch hilft sie ja nicht, die Emissionen zu reduzieren. Allerdings müssen natürlich alle, die die Luftfahrt der Zukunft erforschen und entwickeln, die Klimawirkung im Blick haben. Das ist das Ziel unseres Exzellenzclusters SE2A, Sustainable and Energy-Efficient Aviation.

Scientists for Future machen jetzt gegen Kurzstreckenflüge in der Wissenschaft mobil. Ist die Bahn in Europa eine realistische Alternative für Strecken von bis zu 1000 Kilometer?

In vielen Fällen ist die Bahn zurzeit in Bezug auf unser Klima durchaus die bessere Wahl. Man muss das allerdings differenziert betrachten: Die Kurzstrecke ist im Flugzeug insgesamt ungünstiger als längere Flugreisen, der Verbrauch steigt dann merklich an. Außerdem gibt es auf kurzen Strecken klimafreundlichere Alternativen wie eben den Schienenverkehr. Doch auch in Europa kann man Strecken von bis zu 1000 Kilometern durchaus nicht überall per Bahn in vernünftiger Zeit zurücklegen. In gut erschlossenen Gegenden geht das super, in anderen überhaupt nicht. Für andere Länder gilt dies noch stärker als in Europa. Klar ist: Wenn es Alternativen gibt, sollte man sie möglichst nutzen.

An welchen Stellschrauben können Ingenieurinnen und Ingenieure bei der Entwicklung neuer Flugzeuge drehen, um nachhaltiges Fliegen zu ermöglichen?

Wir können nicht nur, wir müssen an ganz vielen Stellschrauben drehen. Das reine Austauschen der Antriebe zu Batterien mit Elektromotoren wird nicht funktionieren. Die Physik des Fliegens erfordert, dass man nicht nur Strecke machen, sondern die Flugzeuge auch in die Höhe bringen muss. Die Kombination erfordert sehr leichte und widerstandsarme Flugzeuge. Zwar gibt es schon elektrische Flugzeuge, die sind aber bisher eher Machbarkeitsstudien, die so nie Lasten über weite Strecken transportieren werden.

Wir wollen ganz neue Flugzeuge erforschen, die in Zukunft auch am Markt bestehen können. Zum einen wollen wir durch Leichtbau und aktive Lastkontrolle das Gewicht reduzieren. Ein zweites wichtiges Ziel ist es, den Luftwiderstand zu verringern. Hier denken wir über komplett neue Außenhäute nach. Wir erforschen poröse Oberflächen, die die Grenzschicht am kompletten Flügel und Rumpf absaugen können. Damit können wir den Widerstand um bis zu 50 Prozent reduzieren. Die Strukturen müssen multifunktional sein: Sie sollen durch Poren die Luft absaugen und dabei weiterhin ihre Form und Funktionalität haben. Um Lasten zu tragen, brauchen wir wiederum ganz besonders leistungsfähige Versteifungsstrukturen unter der Haut. Erst mit solche Flugzeugen mit reduzierten Leistungsbedarf werden elektrische oder Wasserstoff-betriebene Antriebe realistisch.

Das ist auch ein Grund, weshalb wir so „vernarrt“ in den Flugzeugbau mit seinen Oberflächen, Materialien und Strukturen sind. In unserem Cluster SE2A arbeiten Expertinnen und Experten für Aerodynamik, Struktur und Produktion eng zusammen. Die Designaufgaben sind unglaublich anspruchsvoll. Das ist echte Grundlagenforschung.

Sind gänzlich emissionsfreie Flugzeuge überhaupt technisch möglich? Und wenn ja, wann können wir damit rechnen?

Doch sie sind möglich, vorausgesetzt, dass dann auch der Strom regenerativ, zum Beispiel aus Photovoltaik und Solarenergie produziert wird . Auf der Kurzstrecken können wir wohl in 15 bis 20 Jahren emissionsfrei fliegen. Allerdings müssen natürlich jene Emissionen mit eingerechnet werden, die bei der Herstellung der Batterien entstehen. Wir brauchen also eine sehr hohe Recycling-Quote bei den Energiespeichern. Daran arbeiten die Kolleginnen und Kollegen in der Battery LabFactory der TU Braunschweig. Die heutigen Emissionen lassen sich dann in der Gesamtbilanz um 90 Prozent senken.

Kann man die Motoren eines Flugzeuges nicht auch elektrisch antreiben ? Und fliegen sie dann „flüsterleise“? Diese Fragen beantwortete Professor Jens Friedrichs
vom Institut für Flugantriebe und Strömungsmaschinen. Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig

Wenn ich mich für einen Flug entscheide – welche Möglichkeiten habe ich als Passagierin, nachhaltiger zu fliegen? Und wird es in Zukunft mehr Optionen geben?

Schon heute kann man seine Airline danach auswählen, wie diese mit CO2-Emissionen umgeht. Zum Beispiel investieren einzelne Unternehmen in Zertifikate, die anderswo den Verbrauch reduzieren. Außerdem kann man modernere Flugzeuge wählen, die 15 bis 20 Prozent sparsamer sind als die Modelle der jeweils älteren Generationen. Darüber hinaus ist die Auswahl im Moment noch nicht groß. Aber der gesellschaftliche Diskurs kann durchaus Einfluss haben. Das kann sich regulatorisch in Form von Vorgaben auswirken, oder auch über die Marktmacht der Passagiere. Ich denke da zum Beispiel an den Run auf den Airbus A380: Viele wollten unbedingt damit fliegen, als er eingeführt wurde. Wenn jetzt viele Menschen nachhaltiger reisen und daher gern auf zukünftige, emissionsarme Flugzeuge umsteigen wollen, kommen wir schneller zum Ziel.

Es wird sicher insgesamt noch viele Jahre dauern, die Luftfahrt mit ihren Leistungsanforderung an Reichweite, Kapazität und Antriebsart emissionsfrei zu machen. Meine Prognose ist: In Zukunft werden wir für unterschiedliche Flugsegmente unterschiedliche Flugzeuge haben: Mit Propellerflugzeugen und elektrische Modellen auf der Kurzstrecke können wir schon mittelfristig etwas erreichen. In den nächsten 30 bis 35 Jahren werden wir dann komplett neue Designs entwickeln, die auch auf langen Strecken klimafreundlich unterwegs sind. Die werden schon heute bei uns im Exzellenzcluster SE²A erforscht.