20. Januar 2022 | Magazin:

Mit Drohne, Feldroboter und KI auf dem Acker TU Braunschweig beteiligt an Pionierprojekt zur Digitalisierung im ländlichen Raum

Im Projekt „5G Smart Country“ werden konkrete Anwendungen im Bereich der Land- und Forstwirtschaft in den Landkreisen Wolfenbüttel und Helmstedt entwickelt. Gefördert wird das Vorhaben mit 3,9 Millionen Euro vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI). Die TU Braunschweig forscht dazu mit dem Institut für mobile Maschinen und Nutzfahrzeuge im Teilprojekt „Smart Farming“:  Wie können Maschinen unter Verwendung von 5G zusammenarbeiten? Welches Potential steckt in der Verlagerung von rechenintensiven Algorithmen in die Cloud? Wir haben uns mit Dr. Jan Schattenberg darüber unterhalten, welche Chancen der neue Mobilfunkstandard 5G bei der Feldarbeit bietet.

Roboterkonzept in der Zuckerrübe. Bildnachweis: Fotolia.com/TU Braunschweig

Bislang ist man ja ohne Funkverbindung ausgekommen auf dem Feld. Wozu braucht man 5G in der Landwirtschaft?

In der Vergangenheit ist man natürlich ohne Funkverbindungen auf dem Acker ausgekommen. Aber es ist auch nicht so, dass man heute keine hat. Aktuell wird eher auf eine absätzige, also keine permanent erforderliche Datenübermittlung gesetzt und diese eher für die Übermittlung von Auftragsdaten etc. verwendet. Vieles findet dann auch vor oder nach der Feldarbeit am Hof statt, also die Übermittlung von Auftrags- oder Ertragsdaten. Die Landtechnik hat sich aber – ähnlich wie auch die Industrie – in den letzten Jahrzehnten gewandelt. Da in der Vergangenheit die Steigerung der Leistungsfähigkeit und Effizienz vor allem aus den einzelnen Maschinen geholt wurde, ist dieses Potenzial bald erschöpft. Eine flächendeckende, zuverlässige und leistungsstarke Datenverbindung bietet zukünftig zusätzlich die Möglichkeit, den Einsatz ganzer Maschinenverbünde zu optimieren.

Wir sprechen heute von Landtechnik 4.0 – in Analogie zur Industrie 4.0?

Genau, Industrie 4.0 erfordert vor allem eine Vernetzung entlang der Wertschöpfungskette – also auch in der Produktion. Nicht die einzelne Maschine, sondern die Zusammenarbeit der Maschinen und die übergeordnete Planung sind entscheidend. Dies kann auch auf die Landtechnik übertragen werden, im Speziellen auf die Feldarbeit. Hier war in der letzten Zeit vor allem die Netzabdeckung im ländlichen Raum die Herausforderung. So wurden Technologien auf den Markt gebracht, die keine permanente Netzabdeckung erforderten. Zudem entstanden auch Technologien wie das LoRaWAN, die einen Austausch von Informationen über weitere Strecken ermöglichen sollten. Allerdings sind diese Ansätze nicht für den Austausch von großen Datenmengen und kurze Latenzen ausgelegt. Ihr Hauptzweck ist eher die Vernetzung von Sensorknoten wie Wetterstationen. 5G dagegen soll bei einer hohen Flächenabdeckung den Austausch von Daten zwischen vielen Teilnehmern mit hoher Bandbreite und kurzen Latenzen ermöglichen.

So kann das Zusammenspiel von autonomen mobilen Maschinen aussehen. Hier ein Konzept für das DFG-Großgerät FAMM „Flexibles Forschungsfeld für autonome mobile Maschinen“. Bildnachweis: IMN/TU Braunschweig

Was verändert sich dann?

Die 5G-Flächenabdeckung bietet die Chance, die Datenverarbeitung der Maschinen als Edge- oder Cloudanwendung durchzuführen und somit leistungsintensive Rechenoperationen wie die Bildverarbeitung mittels KI von den Maschinen in zentrale Rechenzentren zu verlagern. Möglich wäre dann auch, aus einer zentralen Instanz heraus die Verfahrens- und Prozessabläufe zu optimieren. Wenn es gelingt, die 5G-Technologie wirklich in die Fläche zu bringen und auch dort die Leistungsdaten besonders in Bezug auf Latenz und Bandbreite umzusetzen, dann wird das ein großer Impuls im Bereich der Automatisierung in der Landtechnik sein.

Welche smarten Anwendungen sind damit denkbar?

Es sind ganz viele Anwendungen denkbar – insbesondere in Richtung Hochautomatisierung und Autonomisierung, vor allem bei kleineren Maschinen bzw. den sogenannten Feldrobotern. Aktuell führt jede Maschine die Rechentechnik mit sich, um Sensordaten auszuwerten, und operiert somit autark. Über die 5G-Vernetzung könnte die IT-Technik zumindest zum Teil ausgelagert, Kosten gespart und ein Mehrwert aus den vielen vorliegenden Informationen gezogen werden.

Welche Expertise bringen Sie mit Ihrem Team in das Projekt „5G Smart Country“ ein?

Das 5G-Projekt dient dazu, die sich ergebenden Möglichkeiten zu untersuchen und im Feldeinsatz zu validieren. Wir werden mit den Partnern zusammen verschiedene Szenarien untersuchen, zum Beispiel die Zusammenarbeit von Drohnen und Feldrobotern in der vorher beschriebenen Art und Weise, die Verlagerung von rechenintensiven Algorithmen ins Backend beispielsweise im Bereich der Bildverarbeitung zur Unkrauterkennung. Das sind zum Teil einzeln betrachtet keine neuen Themen, aber sie werden neu kombiniert, weiterentwickelt und auf ein neues Level gebracht.

Das Hauptaugenmerk liegt darauf zu untersuchen, ob die 5G-Technologie in einer landwirtschaftlichen Umgebung die Anforderungen erfüllen kann. Das Institut hat sich in der Vergangenheit schon in verschiedenen Projekten mit dem Datenaustausch in Maschinenschwärmen und der Automatisierung von Landmaschinen und Robotern beschäftigt und bringt diese Expertise ein. Zudem bildet das Institut im Konsortium eine Schnittstelle zwischen den eher landwirtschaftlich orientierten Partnern wie der Landwirtschaftskammer Niedersachsen auf der einen Seite und den Datenverarbeitungsspezialisten auf der anderen Seite.

Aktuell gibt es schon verschiedene Anbieter für Feldroboter, die sich auch schon im Einsatz befinden. Allerdings ist der Markt noch sehr überschaubar. Häufig muss beim Einsatz der Systeme zum Beispiel noch ein Mensch als Operator in der Nähe sein und zur Not eingreifen können. Auch die Kosten sind noch recht hoch. Feldroboter werden aber mehr und mehr zum Einsatz kommen, vor allem in der Unkrautregulierung, die damit mechanisch und nicht mehr chemisch erfolgen kann. Da die Flächenleistung der eher kleineren und auch langsamer fahrenden Robotersysteme begrenzt ist, müssten für die in der Landwirtschaft erforderliche Schlagkraft mehr Systeme gleichzeitig operieren. Hier kann die Vernetzung helfen Kosten zu senken und somit vermutlich in den nächsten Jahren für eine weitere Verbreitung sorgen.

Sind solche smarten Geräte schon im praktischen Einsatz?

Dr. Jan Schattenberg. Bildnachweis: Jan Schattenberg/TU Braunschweig

Die nächsten Schritte für eine Umsetzung von „Smart Farming“ sind meiner Meinung nach, die vielen Ansätze aus der Forschung zusammen zu bringen und im praxisnahen Einsatz zu untersuchen. Landwirtschaft ist unheimlich divers in der Ausprägung. Das fängt beim Boden an, geht über das Wetter, die Pflanzen etc. Häufig werden in Forschungsprojekten einzelne Aspekte in speziellen Szenarien untersucht. Als Institut streben wir an, systemische Untersuchungen zu machen und das Ganze zu betrachten. Das ist ein wichtiger Schritt, um beispielsweise neue Pflanzenbausysteme zu erforschen, die helfen, nachhaltiger zu produzieren. Hier gibt es auch starke Verknüpfungen mit dem Institut für Anwendungstechnik im Pflanzenbau von Prof. Dr. Jens Karl Wegener am Julius Kühn-Institut, dem Johann Heinrich von Thünen-Institut am Standort Braunschweig im Bereich der Betriebswirtschaft sowie dem dortigen Institut für Agrartechnologie von Prof. Dr. Christina Umstätter, die auch beide an der TU Braunschweig lehren. Das von unserem Institut eingeworbene DFG-Großgerät FAMM „Flexibles Forschungsfeld für autonome mobile Maschinen“, das aktuell in der Beschaffung ist, soll helfen, systemische Untersuchungen auf dem Feld durchzuführen und viele offene Detailfragen zu beantworten.