Mit der Ukulele in der Fußgängerzone Straßenmusik-Seminar am Institut für Musik und ihre Vermittlung
Sie kann begeistern, manchmal auch nerven, Menschen auf Shopping-Tour zum Stehenbleiben bewegen und entschleunigen. Die, die sie bewusst hören wollen, erleben oft besondere Momente. Straßenmusik ist Musik pur. Doch wie ist es, in der Fußgängerzone zu musizieren und zu singen? Studierende verschiedener Studiengänge haben sich in einem Seminar des Instituts für Musik und ihre Vermittlung mit ihren Instrumenten auf die Straße gewagt.
Etwas aufgeregt sind sie alle, als sie Gitarre, Bass, Ukulele und Cajon vor einem großen Braunschweiger Kaufhaus auspacken. Es ist heute nicht viel los in der Innenstadt. Die Hitze liegt schwer über der Einkaufsmeile. Passanten huschen schnell vom Schatten in die klimatisierten Geschäfte. Als die ersten Töne erklingen, drehen sich Köpfe um. Eine Mutter mit Kind bleibt stehen und wippt zu den Klängen von Nadeahs „Odile“. Münzen landen im aufgeschlagenen Bass-Koffer. Geschafft!
Welcher Passant wird zum Publikum?
17 Minuten dauert der erste Auftritt von „The Flys“. So haben Jeanette Finke, Alinta Groffmann, Tabea Göring, Kim Kramer und Bela Heine ihre Projektgruppen-Band getauft. Passend dazu haben sich alle eine Fliege umgebunden. Nicht alle sind Musik-Studierende. Tabea und Kim studieren Darstellendes Spiel und Englisch sowie Erziehungswissenschaft. Das Seminar „Straßenmusik. Projektorientiertes Lernen im Musikunterricht“ von Professor Bernhard Weber öffnete sich als Professionalisierungsbereich auch für andere Studiengänge. „Für mich war es eine Bereicherung, im Studium mal mit ganz anderen Leuten zusammenzukommen“, sagt Erziehungswissenschaft-Studentin Nathalie Linek, die in der zweiten Seminar-Band eingeteilt war. „Beim Singen auf der Straße sind wir über uns hinausgewachsen.“
Der Auftritt und seine Dokumentation sind Teil der Projektarbeit. Für Alinta Groffmann und Jeanette Finke eigentlich keine große Sache. Beide haben viel Bühnen-Erfahrung, machen Musik bei Festivals, in Bars, bei Hochzeiten und treten in Musicals auf. Der Gig auf der Straße ist dennoch besonders, Nervenkitzel ist zu spüren. „Es hat schon etwas Überwindung gekostet“, gibt Jeanette zu. „Man weiß vorher nicht, wer vorbeikommt“, ergänzt Tabea. Und wer stehen bleibt oder auch nicht.
An diesem Tag macht sich das Braunschweiger Publikum rar. Es ist einfach zu heiß. Oder ist es der falsche Standort, die falsche Uhrzeit? Kommen die Songs nicht an? All das mussten die Studierenden im Vorfeld berücksichtigen.
Projektarbeit im Musikunterricht
Denn darum geht es im Seminar von Professor Weber: Projektmanagement, ein Projekt von A bis Z zu planen. Die richtigen Tools dazu kennenlernen und einsetzen – ABC-Analyse, SWOT-Analyse. Und die Umsetzung später im Musikunterricht. Die Ursprünge des projektorientierten Unterrichts gehen auf den US-amerikanischen Philosophen John Dewey und den Pädagogen William H. Kilpatrick zurück, der das Projekt als „herzhaftes absichtsvolles Tun“ definierte. Weitere Impulse entstammen aus reformpädagogischen Konzepten. Die Themen sollen die Bedürfnisse und Interessen der Schülerinnen und Schüler ansprechen und von ihnen selbst gewählt werden. In den 1970er- und 1980er-Jahren griff man auf die „Projektmethode“ zurück und integrierte Ideen in den Unterricht. Im besten Fall wählen die Schülerinnen und Schüler selbst eine Aufgabe aus und arbeiten daran eigenverantwortlich im Team. Die Lehrkraft ist jederzeit ansprechbar, jedoch lediglich als Berater. Am Ende wird nicht nur das Ergebnis bewertet, sondern der gesamte Prozess.
Selbstbestimmtes Arbeiten im Unterricht
„Die Projektarbeit wird im schulischen Kontext immer wichtiger“, erklärt Professor Weber. „Je selbstbestimmter Schülerinnen und Schüler arbeiten können, desto stärker sind damit Emotionen verbunden und desto höher ist ihre Motivation.“ Das können bereits Mini-Projekte in der Grundschule sein, um selbstgesteuert zu lernen oder größere Vorhaben in der Sekundarstufe II. Doch nicht nur für Lehrende ist die Projektarbeit wichtig. „Das kann man auf jede Situation anwenden und in verschiedenen Berufen nutzen“, ist sich Nathalie Linek sicher.
The Flys mit „Ex‘s and Oh’s“ von Elle King. Video: Bianca Loschinsky
Was die „Buskers“, wie die Straßenkünstlerinnen und -künstler auch genannt werden, alles bedenken müssen, fassten die Studierenden in ihren Projektplänen zusammen: Angefangen bei der Song-Auswahl über Wetter, Werbung und die Terminkoordination für Proben bis zu den Regelungen für Auftritte im öffentlichen Raum. Grundsätzlich dürfen keine Verstärker verwendet werden, haben die Studierenden herausgefunden. „Und nach spätestens einer halben Stunde muss man den Standort wechseln“, erzählt Nathalie Linek. Mit ihrer Fünfergruppe hatte sie einen guten Platz für ihren Auftritt in der Wolfsburger Innenstadt – ganz nah an einer Eisdiele – erwischt. Mit „Radioactive“, „Get Lucky“ und „Little Talks“ eroberten sie sich innerhalb weniger Minuten eine kleine Fangemeinde. „Schon beim Aufbau kamen einige Leute zusammen“, erinnert sich die Erziehungswissenschaft-Studentin, die in Bands und Musicals singt und seit sechs Jahren Klavier spielt.
Die richtigen Songs
„Das Laufpublikum für sich zu gewinnen, damit die Zuschauerinnen und Zuschauer länger stehen bleiben, ist eine Herausforderung“, betont Professor Weber. „Es verlangt Persönlichkeit und die richtigen Lieder.“ Deswegen wählten die Studierenden nicht ihre Lieblingsmusik aus, sondern durchleuchteten das Repertoire auf „Publikumsfreundlichkeit“. „Es sind Songs, die man kennt, die einen mitreißen und die nicht zu schwierig und aufwendig für die Proben sind“, fasst Tabea Göring zusammen. Neben „Odile“ sind das bei der Performance in Braunschweig „Ex‘s and Oh’s“ von Elle King. „Harry’s Symphony“ von Joss Stone, „Jungle Drum“ von Emilíana Torrini und „Valery” von Amy Winehouse. Nicht jedes Lied muss perfekt vorgetragen sein. „Wir müssen Spaß dabei haben“, sagt Jeanette Finke. Dann werden vorbeigehende Menschen fast automatisch zum Publikum.
Immerhin 15 Euro liegen bei der Wolfsburger Gruppe nach ihren drei Songs im Gitarren-Koffer. „The Flys“ haben nach zwei Auftritten 13,50 Euro eingesammelt. Die werden in Eis investiert und der Rest gespendet.