Ist das noch NORMal? Institut für Architekturbezogene Kunst wieder beim Braunschweiger Schoduvel dabei
Ohne Normierung läuft nichts: Normen bestimmen unseren Alltag – mit sozialen Normen, materiellen Normen, DIN-Normen. Sie legen fest, wie viel ein Hühnerei der Größe M wiegen und wie hoch ein Stuhl sein darf. Und oft überschreiten Normen die Grenzen zur Absurdität. Wie, das zeigen Studierende des Instituts für Architekturbezogene Kunst (IAK) der Technischen Universität Braunschweig mit ihrem Motivwagen für den Braunschweiger Karnevalsumzug am 23. Februar.
Zum dritten Mal ist das IAK mit einem Wagen beim Schoduvel in der Löwenstadt dabei. Nach „Wohnungsnot“ und „Verpackungsmüll“ haben sich die Architekturstudierenden im Seminar „Motivwagen zwischen Kunst, Satire und Karneval“ von Sina Heffner und Bernd Schulz mit dem Thema „Norm“ auseinandergesetzt, das ebenfalls Semesterthema des Instituts ist. „Normen vereinfachen das Leben. Sie dienen der Bewertung und dem Vergleich, sind aber auch Instrumente der Gleichrichtung und der gewollten Meinungsbildung“, sagt Institutsleiterin Folke Köbberling. „Gesellschaftliche Normen werden internalisiert, und diese zu hinterfragen wird durch Gewohnheiten erschwert. Dabei ist gerade in Zeiten des drastischen Klimawandels eine grundlegende Infragestellung von Werten und Richtlinien von entscheidender Bedeutung.“
Gurken und Melonen nach Maß
Gemüse, Obst und Kartoffeln werden aussortiert und vernichtet, wenn sie nicht der Norm entsprechen, zu krumm sind für die Kisten der Supermärkte. Anderes wird um die halbe Welt transportiert, gerade weil es dem Diktat der Norm entspricht. Unter anderem diese Absurdität haben die Studierenden in ihren Entwürfen aufgegriffen und auf die Spitze getrieben: Gurken und Melonen nach Maß in Überseecontainer gepresst, Salatgurken – mal gerade, mal krumm – auf einer Waage, die das Urteil über das Gemüse fällt. Aber auch mit Schönheitsnormen und gesellschaftlichen Normen, die Individuen zu einheitlichen Spielfiguren transformieren, haben sich die Studentinnen und Studenten beschäftigt.
Der Entwurf von Pascal Böttcher erhielt in der Jurysitzung im Dezember die meisten Stimmen und wurde gemeinsam mit allen Studierenden realisiert: Der Motivwagen ist bestückt mit Messinstrumenten, die die völlige Vermessung unserer Welt thematisieren. Ein idealisierter Normapfel liegt auf einer riesigen Waage und wird gleichzeitig mit den unsinnigsten Messinstrumenten überprüft. „Dadurch wird unser Normierungssystem ad absurdum geführt“, sagt Sina Heffner.
Die Fußgruppe, mit weißen Kitteln verkleidet als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, begleitet den Wagen mit mobilen Messinstrumenten, um auch das Karnevalspublikum mit einzubeziehen. So vermessen Schieblehren, Lineale und andere Messinstrumente, Nasen, Köpfe und Körper der Besucherinnen und Besucher des Umzugs.
70 Stunden Bauzeit
Pascal Böttcher brachte bereits einige Erfahrung beim Bau von Motivwagen mit. Seit acht Jahren engagiert sich der Student beim Schützenfestumzug seines Heimatortes und entwirft und baut Wagen dafür. Das Thema „Norm“ war für ihn als angehenden Architekten zwar nicht ganz neu: „Aber plötzlich fällt einem auf, dass vieles im Leben genormt und reglementiert ist.“
In den vergangenen Wochen wurde im IAK im Querumer Forst gesägt, geschliffen, modelliert, kaschiert und bemalt. Rund 70 Stunden reine Bauzeit investierten die Studierenden. Zeit, die sich für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Seminars gelohnt hat. „Wir bauen im Studium viele kleine Modelle. Doch es ist etwas anderes, einen Entwurf realisiert zu sehen“, sagt Hannah Kluge. Und auch die Mitarbeit an einem Wagen für den Schoduvel hat die Studentin gereizt: „Ich bin in der Region aufgewachsen, da spielte der Karnevalsumzug in der Kindheit immer eine Rolle.“
Nachhaltigkeit bei der Materialwahl
Nach dem Weg von der Zeichnung über das Modell im Maßstab 1:20 bis zur Umsetzung werden die Studierenden beim Schoduvel die Wirkung ihres Wagens im öffentlichen Raum erleben. Auch dies ist für die meisten eine ganz neue Erfahrung.
Die letzten Feinheiten – Maßeinheiten auf den Linealen, Schieblehren und Geodreiecken – sind inzwischen erledigt. „Der Wagen ist dieses Mal sehr aufwendig, mit vielen Details“, erzählt Sina Heffner. Ein 18 Meter langes Maßband aus Malerpappe, ein RAL-Farbfächer an der Waage, bewegliche Zeiger der Messinstrumente. Beim Material war den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Instituts die Nachhaltigkeit wichtig. Der riesige Apfel wurde aus recyceltem Styropor modelliert, das aus einer alten Fassade stammt. Die Waage bauten die Nachwuchsarchitektinnen und –architekten aus Tischlerplatten des Kunstmuseums Wolfsburg.
Die komplette Konstruktion besteht aus einem Stecksystem. „So passt der Wagen auch durch die Tür“, erklärt Sina Heffner. Schließlich muss der Wagen vom Querumer Forst vor dem Umzug zum Schoduvel-Zentrum gefahren werden. Damit entspricht der Motivwagen wohl nicht ganz der Norm. Wer ihn sich am 23. Februar ansehen will: Er hat die Startnummer 241!