Interdisziplinäre Puzzleteile gegen Alzheimer Doktorandin Melanie Ohm im Porträt
Lange galten Gehirn und Immunsystem als getrennte Einheiten. Die Entdeckung des Gegenteils eröffnete vor wenigen Jahren ein neues Forschungsfeld. Genau dort promoviert Melanie Ohm und untersucht Entzündungsprozesse bei der Alzheimer-Erkrankung. Genau wie das Thema ist sie dabei auch selbst an einer interdisziplinären Schnittstelle. Denn sie ist Teil von zwei Arbeitsgruppen gleichzeitig, der AG von Professor Martin Korte im Zoologischen Institut und der AG von Professor Karsten Hiller im Institut für Biochemie, Biotechnologie und Bioinformatik.
Die Alzheimer-Erkrankung ist für Wissenschaftler*innen wie ein Puzzle mit tausenden Teilen. Für jedes Teil braucht es Jahre, bis es an der richtigen Stelle liegt. Erst wenn alle Teile zusammengesetzt sind, kann es eine Heilung geben. Dabei wird gerade die Alzheimer-Erkrankung in der überalternden Gesellschaft der Bundesrepublik immer mehr zum Problem. Umso wichtiger, das Puzzle Stück für Stück zu lösen.
Eins der Puzzleteile sind Entzündungsprozesse im Gehirn. Dabei spielen Mikroglia, die im Gehirn ansässigen Immunzellen eine wichtige Rolle. Sie sind das Verteidigungssystem des Gehirns und reagieren beispielsweise bei Krankheiten. Unter anderem schütten die Mikroglia entzündliche Faktoren, Zytokine, aus.
„Eine Entzündung lässt sich an verschiedenen Biomarkern ausmachen. Eine Möglichkeit ist es, die Zytokine zu messen“, erklärt Doktorandin Melanie Ohm, die bereits ihre Masterarbeit in der Abteilung Zelluläre Neurobiologie von Professor Martin Korte erarbeitete. „Heute weiß man, dass auch der Stoffwechsel wichtig bei Entzündungsreaktionen ist. Er hilft beispielsweise, die Immunantwort zu vermitteln. Das gibt uns eine neue Perspektive, um die komplexen und teilweise unverstandenen Aktivitäten der Mikroglia nachzuvollziehen. Durch die Zusammenarbeit mit der Gruppe von Professor Hiller habe ich jetzt die große Chance, einen Einblick in den Stoffwechsel zu bekommen. So finden wir verschiedene Biomarker in den Zwischenprodukten des Stoffwechsels, die mit Entzündungen assoziiert sind. Wir kombinieren jetzt die beiden Methoden für ein besseres Verständnis des Gesamtprozesses.“
Durch Austausch zu neuen Denkansätzen
Die Idee für die Zusammenarbeit entstand dem Brainswick Symposium der TU Braunschweig im Jahr 2018 durch einen Vortrag von Niklas Lonnemann aus der AG Korte. Er forschte über ein entzündungshemmendes Interleukin, einem der Botenstoffe des Immunsystems. Beim Vortrag zeigte sich ein Anknüpfungspunkt, an dem die Kompetenz zu Stoffwechselprozessen der AG Hiller weiterhelfen könnte. Melanie Ohm: „Ich baue jetzt auf den Erkenntnissen von Niklas auf, indem ich mit meiner Promotion genau an diesem Anknüpfungspunkt forsche. Auch ganz praktisch, da ich immer wieder zwischen den Arbeitsgruppen hin und her springe. Ich profitiere dabei vom Austausch beider Gruppen und ihrer unterschiedlichen Methoden. Die vielen neuen Denkansätze kann ich dann hoffentlich wiederum in beide Gruppe einbringen. Vielleicht können wir dadurch auch bisherige Erkenntnisse anders beleuchten und so völlig neue Ansätze finden.“
Ein Botenstoff des Ausgleichs
In der Promotion von Melanie Ohm steht aktuell genau das Interleukin im Fokus, das die Zusammenarbeit zwischen den Gruppen startete. Bei der Alzheimer Erkrankung bilden sich unter anderem für das Gehirn schädliche Ablagerungen. Die Mikroglia-Immunzellen scheinen dagegen anzukämpfen, indem sie unter anderem entzündliche Zytokine ausschütten. Diese haben grundsätzlich eine schützende Funktion. Ab einem gewissen Punkt scheinen die Mikroglia aber die Ablagerungen nicht mehr entfernen zu können. In der Folge sind sie dauerhaft aktiviert und schütten immer mehr Zytokine aus. Darunter leiden nicht nur die anderen Aufgaben der Mikroglia: Die überschüssigen Zytokine, die eigentlich Eindringlinge bekämpfen sollen, können dann dem eigenen Organismus schaden. Das Interleukin hilft dem Organismus, die richtige Balance zu finden.
„Bisher ist dieser ausgleichende Effekt des Interleukins aber nur außerhalb des Gehirns nachgewiesen – und auch noch nicht gut verstanden. Wir wollen jetzt untersuchen, ob das Interleukin auch bei der Alzheimer-Erkrankung helfen kann. Vielleicht hat das Herabsenken der Entzündungsprozesse auch weniger starke Alzheimer-Symptome zur Folge. Dann könnte man eventuell das Protein sogar als Therapie verabreichen,“ sagt Melanie Ohm. „Auch wenn aktuell das Ergebnis noch nicht abzuschätzen ist: Wie wichtig solche Grundlagenforschung ist, zeigt sich unter anderem in der aktuellen Pandemie. Es hätte erst in Jahren einen Impfstoff gegeben, wenn man nicht die letzten Jahrzehnte an den grundlegenden Eigenschaften von Zellen und Wirkstoffen geforscht hätte. Ebenso kriegen wir auch die Alzheimer-Erkrankung nur in den Griff, wenn wir Funke für Funke Licht ins Dunkel bringen.“