27. April 2020 | Magazin:

Im HomeLab mit Smartphone und Ostereierfarbe experimentieren Grundpraktikum statt im Labor Zuhause

Statt klassisch im Labor experimentieren in diesem Semester 50 Studierende der Biotechnologie im HomeLab mit Smartphone und Ostereierfarbe. Nicht nur Vorlesungen finden in diesem Semester digital statt, sondern auch ein Grundpraktikum in der physikalischen Chemie. Der Physiker Dr. Christof Maul hat Versuche entworfen, die die Studierenden zuhause durchführen können.

Dr. Christof Maul mit der HomeLab-Ausrüstung in der Küche: LowCost-Messstation (Raspberry Pi), Messzylinder, Pasteurpipette, Farbstofflösungen zum Ostereierfärben, Salze aus Drogerie und Apotheke, Handy-Spektrometer. Nicht im Bild die Digitalwaage. Gideon Rothmann/TU Braunschweig

In der heimischen Küche hat Dr. Christof Maul vom Institut für Physikalische und Theoretische Chemie Spuren, die er in der bundesweiten AG Physikalische Praktika zu HomeLab-Versuchen gefunden hat, zu einem ungewöhnlichen Praktikum ausgebaut. Ein Smartphone, ein Gefrierfach, etwas Zucker, Salz und Backpulver, das, was alle Studierenden zu Hause haben, inspirierten ihn zu einem Grundpraktikum mit vier Versuchen im HomeLab.

Aus dem Smartphone wird ein Spektrometer

Das Handy-Spektrometer in Aktion. Ein Smartphone spektroskopiert ein zweites. Links in Wartestellung die Utensilien für die quantitative Analyse von Farbstoffen zur Ostereierproduktion. Bildnachweis:

Für den ersten Versuch lässt er aus einem Smartphone ein Messgerät zum Aufnehmen von Spektren bauen. In nur einer Stunde ist mit einer Bauanleitung aus dem Smartphone ein Spektrometer geworden. „Ein Messgerät, mit dem Studierende quantitative Analysen durchführen können“, so Maul. „Die Studierenden können damit wunderbar optische Analyseversuche durchführen und zum Beispiel die Konzentration von Farbstofflösungen bestimmen.“ Damit allen Studierenden ein ungiftiger Farbstoff für den Versuch zur Verfügung steht, experimentieren sie mit Ostereierfarbe. „Vor Ostern war ich in mehreren Supermärkten unterwegs und habe 50 Päckchen harmlose Ostereierfarbe gekauft.“ Alle Versuche sind absolut ungefährlich“, versichert Maul.

Die HomeLab-Temperaturmesszelle: Sensor, Marmeladenglas und Küchenschwamm. Gideon Rothmann/TU Braunschweig

Mit  LowCosst-Messcomputerstationen, die Prof. Marc Walter vom Institut für Anorganische und Analytische Chemie den Studierenden zur Verfügung stellt und die von Prof. Timm Wilke, einem ehemaliger Juniorprofessor für Fachdidaktik der Chemie entwickelt wurden, waren schnell zwei weitere Versuche konzipiert. Zum einen können die Studierenden damit den Gefrierpunkt von Salzlösungen im Gefrierfach messen. „Das Eis kann danach gleich aufgetaut werden, um die Schmelzwärme von Eis in einem Kalorimeter zu bestimmen. Auch den dritten Versuch können die Studierenden mit dem Messgerät durchführen. Mit einem Leitfähigkeitssensor können sie Leitfähigkeit von Kochsalz und Backpulver messen. Zusammen mit einer Computeranalyse, die auch beim klassischen Praktikum vorgesehen ist, hat Christof Maul dann vier Versuche zusammen, die thematisch die gesamte Breite der Physikalischen Chemie abdecken. Die Zahl, die auch als Leistungsnachweis des Praktikums gefordert wird, damit die Studierenden der Biotechnologie im 4. Semester drei Credits erhalten.

 

Ostereierfarbe aus dem Supermarkt

Die HomeLab-Ausrüstung neben dem Küchenherd: LowCost-Messstation (Raspberry Pi), Messzylinder, optische Küvette, Farbstofflösungen zum Ostereierfärben, Handy-Spektrometer, Digitalwaage. Gideon Rothmann/TU Braunschweig

Mit der Ostereierfarbe und weiterem Material, wie einer Digitalwaage und der Messcomputerstation, wurden für die 50 Studierenden kleine Pakete gepackt. Einige „Carepakete“ haben wir in ganz Deutschland an Studierende verschickt, die sich nicht in Braunschweig aufhalten“, sagt Maul. Für die anderen steht das Material in den Praktikumsräumen zur Abholung bereit. Alles weitere, was die Studierenden benötigen, findet sich in der Regel auch im kleinsten Haushalt: Salz, Zucker, Backpulver, Schere, Klebstoff, Papier und möglichst ein Gefrierfach. Das Smartphone ist ja sowieso bei Studierenden obligatorisch.

Didaktisch anspruchsvoll

„Betreut werden die Studierenden genau so gut, wie beim klassischen Praktikum“, sagt Maul. Die Kommunikation läuft über das Lernmanagementsystem Stud.IP. Vor jedem Versuch findet, wie bei jedem Praktikum, ein Lehrgespräch als Videokonferenz statt. Für jeden Versuch hilft ein fester Ansprechpartner oder feste Ansprechpartnerin weiter, wenn etwas mal nicht klappt.

Beladung des Reaktors. Vor dem Start der Messung zur Gefrierpunktserniedrigung. Gideon Rothmann/TU Braunschweig

„Didaktisch ist das HomeLab im Vergleich zum klassischen Praktikum sogar anspruchsvoller“, meint der Physiker: „Die Studierenden müssen eigenständig überlegen, wie sie den Versuch hinbekommen.“ In der klassischen Variante steht der Versuchsaufbau in den Laboren bereits zur Verfügung. „Um das gleiche Ergebnis zu erhalten, sind die Studierenden im HomeLab stärker gefordert. Je nach den häuslichen Möglichkeiten, sieht jeder Versuchsaufbau etwas anders aus.“

Gespannt wartet Maul auf das Feedback der Studierenden. „Ich kann mir vorstellen, dass wir Elemente des  physikochemischen Einstiegspraktikums als HomeLab mit ins Curriculum aufnehmen.“ Auf Praktika für Fortgeschrittene lasse sich das Format nicht übertragen, ist das Fazit von Maul. Hier sind die Anforderungen wesentlich höher. „Für die geforderten exakten Messungen braucht man Apparaturen, die nur im Labor zu Verfügung stehen“, so Maul.

Beladung des Reaktors. Vor dem Start der Messung zur Gefrierpunktserniedrigung. Gideon Rothmann/TU Braunschweig

In der eigenen Küche ausprobiert

Aufwändiger als das klassische und bewährte Praktikum im Labor war die Vorbereitung auf das HomeLab schon, erklärt Maul. „Beim Laborpraktikum liegen meine Aufgaben eher in der Vorbereitung und der Organisation, ich teile die Gruppen ein und erstelle Zeitpläne.

Für das HomeLab haben Christof Maul und die Assistentin Inga Schack alle Versuche in der eigenen Küche ausprobiert und dann zusammengeschrieben. Die Qualitätskontrolle, ob alles  nachvollziehbar ist, haben die Assistentinnen und Assistenten im Institut übernommen. „Wenn es zwei Mal funktioniert, einmal als Entwurf und einmal als Kontrolle, dann hoffen wir, dass es auch bei den Studierenden klappt.“ Bevor der Entwurf stand, habe er schon drei Ansätze in seiner Küche gebraucht, berichtet er. „Ich bin auch schon mal nachts an den Computer gegangen und habe geschaut, was mit der Salzlösung in einem Gefrierfach passiert.“

Viel Zeit für die Vorbereitung des HomeLab stand nicht zur Verfügung. „Es musste schnell gehen, um zum Semesterstart startklar zu sein“, so Maul. „Trotz des Zeitdrucks, es hat richtig Spaß gemacht und war sehr kreativ.“