5. April 2022 | Magazin:

„Ich durchleuchte den Boden“ Dr. Matthias Bücker zum Juniorprofessor für Urbane Geophysik ernannt

Bis 2011 studierte Matthias Bücker in Braunschweig, bevor er einige externe Stationen in Mexiko City, Bonn und Wien absolvierte. Schließlich kehrte er 2018 wieder nach Braunschweig zurück. Seit Januar 2022 hat er die Juniorprofessor für Urbane Geophysik am Institut für Geophysik und Extraterrestrische Physik inne. Dort leitet er eine gleichnamige Arbeitsgruppe, um Methoden zur Erkundung des Untergrunds im städtischen Raum zu entwickeln. Im Interview gibt er einen Einblick in seine Forschung und seine nächsten Projekte.

Professor Matthias Bücker vom Institut für Geophysik und Extraterrestrische Physik. Bildnachweis: Markus Hörster/TU Braunschweig

Herr Bücker, womit genau beschäftigen Sie sich in Ihrer Forschung?

Als angewandter Geophysiker bin ich gewissermaßen der Radiologe unter den Geowissenschaftlern. Ich entwickle und wende physikalische Messverfahren an, mit denen ich den Boden unter unseren Füßen durchleuchten kann, um Materialien, Strukturen oder Objekte sichtbar zu machen.

In meiner Forschung beschäftige ich mich vor allem mit Methoden, die auf der Vermessung der elektrischen Leitfähigkeit beruhen. Weil die verschiedenen Materialien des Untergrundes elektrischen Strom sehr unterschiedlich gut leiten, eignet sich diese Materialeigenschaft etwa dazu, Schichten aus festem Gestein von solchen aus lockerem Sediment zu unterscheiden. Zudem verändert Wasser als guter elektrischer Leiter die elektrischen Eigenschaften des Untergrundes auch schon in kleinen Mengen stark.

Angewandt habe ich diese Methoden schon in der Stadt und auf dem Land, in eisiger Höhe in den Alpen und in Tibet, auf Seen im mexikanischen Urwald oder alten Mülldeponien. Viele Fragen drehen sich dabei um das Thema Grundwasser, das mal gefroren ist und mal verschmutzt, das an der einen Stelle fehlt und an der anderen zu viel ist und dann zum Beispiel gefährliche Hangrutschungen auslöst.

Unterhalb des Gipfels des Hohen Sonnblick (3106 Meter) in den österreichischen Alpen: Mithilfe des Georadars vermessen wir hier die Eisdicke eines Gletschers. Bildnachweis: N. Reese/TU Braunschweig

Im Nyainqêntanglha Gebirge in Tibet in ca. 5500 Metern Höhe: Hier untersuchen wir mithilfe geoelektrischer Messungen den inneren Aufbau eines Blockgletschers. Bildnachweis: Matthias Bücker/TU Braunschweig

In einem Fabrikgebäude in Mexiko-Stadt: Mit geoelektrischen Messungen vermesse ich hier eine Schadstofffahne unterhalb des Gebäudes. Bildnachweis: A. Flores Orozco / TU Wien

Stöpsel gezogen: Nach dem plötzlichen Austrocknen des Urwaldsees Metzabok im Süden von Mexiko untersucht Masterstudent Johannes Hoppenbrock mit seismischen Messungen die Umgebung einer Felsspalte im Kalkgestein, durch die das Wasser abgeflossen sein könnte. Bildnachweis: Matthias Bücker/TU Braunschweig

Durch das rasante Wachstum der Megacity liegen Deponiestandorte, die ehemals vor den Toren von Mexiko-Stadt angelegt wurden, heute mitten in der Stadt. Mit elektromagnetischen Messungen lokalisieren wir hier Schwachstellen in der Deponieabdichtung. Bildnachweis: Matthias Bücker/TU Braunschweig

In der 2017 durch ein schweres Erdbeben stark beschädigten mexikanischen Stadt Zacatepec: Mit geoelektrischen Messungen erkunden wir hier die geologische Störungszone, an der das Erdbeben aufgetreten war. Bildnachweis: Matthias Bücker/TU Braunschweig

Geophysikalische Messungen im Süden Mexikos: Der weiße Ring ist die Antenne eines elektromagnetischen Messsystems, mit dem wir die Sedimentschichten am Grund eines Urwaldsees erkunden. Bildnachweis: Matthias Bücker/TU Braunschweig

Mit diesem experimentellen Aufbau vermessen wir die zeitliche Änderung der elektrischen Leitfähigkeit des Bodens während eines Bewässerungsexperimentes. Bildnachweis: Matthias Bücker/TU Braunschweig

Masterstudentin Ruth Glebe beim Aufbau eines Experimentes auf dem Freigelände des Julius-Kühn-Instituts in Braunschweig. Bildnachweis: Matthias Bücker/TU Braunschweig

Nicht nur auf dem Gletscher hilfreich: Mit dem Georadar detektiert Doktorand Dennis Kreith auch unterirdische Kanäle oder Leitungen – hier auf einer Kanalbaustelle in der Eulenstraße in Braunschweig. Bildnachweis: Matthias Bücker/TU Braunschweig

Welche Projekte stehen als nächstes an?

In der Forschung stehen Fragen an erster Stelle, die sich rund um die Erkundung des Untergrundes in der Stadt ergeben. Ein erstes spannendes Projekt, das wir zusammen mit Kolleg*innen vom Institut für Geoökologie und dem Julius-Kühn-Institut entwickelt haben, soll erforschen, wie sich urbanes Grün für die klimagerechte Stadtentwicklung nutzen lässt. Die Geophysik kann hier unter anderem wichtige Informationen über die Verfügbarkeit von Wasser an möglichen neuen Baumstandorten liefern.

Mit weiteren kleinen Pilotprojekten in Braunschweig entwickeln wir außerdem neue fach- und fakultätsübergreifende Kooperationen innerhalb des Forschungsschwerpunktes Stadt der Zukunft. So werden wir in einem mit dem Institut für Geosysteme und Bioindikation und einem lokalen Ingenieurbüro angebahnten Projekt Messungen auf dem Braunschweiger Dowesee durchführen, der inmitten eines städtischen Trinkwassergewinnungsgebietes liegt. Unsere Messungen sollen hier einen Einblick in die Sedimentschichten unterhalb des Sees gewähren, die für dessen Verbindung mit dem angrenzenden Trinkwasserleiter von Bedeutung sind.

Was motiviert Sie zur Forschung?

Ich finde es faszinierend, Dinge sichtbar zu machen, die sonst im Verborgenen bleiben würden. Zudem ist der Boden unter unseren Füßen eine überlebenswichtige Ressource. Er versorgt uns mit Wasser. Die Pflanzen, von denen wir uns ernähren, versorgt er außerdem mit Nährstoffen. Er gibt unseren Bauwerken Halt und schützt mit den Leitungen und Kanälen die Lebensadern unserer Städte. Gerade in der Stadt, wo viele Nutzungen um den begrenzten Platz – und das Wasser – im Untergrund konkurrieren, brauchen wir Methoden, um diese Ressource sichtbar machen und dann auch besser managen zu können.

Was war bislang Ihr schönste Ereignis als Wissenschaftler an der TU Braunschweig?

Das mit Abstand tollste Ereignis war der Ruf auf die Juniorprofessur. Mit dem Ruf schließt sich für mich ein großer Kreis: Vor knapp 19 Jahren habe ich hier an der TU Braunschweig einmal als Architekturstudent angefangen. Obwohl ich später in die Physik wechselte, haben mich die Themen Architektur und Stadt nie ganz losgelassen. In der Urbanen Geophysik ergeben sich jetzt viele spannende Fragen, die einen engen Austausch mit Architekt*innen, Bauingenieur*innen und Menschen aus vielen anderen Disziplinen erfordern.

Und dann ist es einfach ein besonderes Glück, mit der Juniorprofessur eine Möglichkeit zur langfristigen Weiterentwicklung meiner Forschung zu bekommen. Als sogenannter Double-Career-Vater – meine Frau, Liseth Pérez, forscht am Institut für Geosysteme und Bioindikation ebenfalls in den Geowissenschaften – bedeutet es außerdem nach vielen Jahren mit befristeten Verträgen nun zumindest für einen von uns eine planbare Karriereperspektive zu bekommen. Darüber können wir uns als Familie jeden Tag freuen!

Sie haben an der TU Braunschweig bereits viel erlebt. Was wünschen Sie sich noch von der Zukunft und auf welche Gipfel wird Sie Ihr Weg noch führen?

In den Alpen bei über 3000 Metern oder sogar in über 5000 Metern Höhe in Tibet arbeitet man in einer ganz besonderen Umgebung. Bei den Feldarbeiten standen dicke Eispanzer und Permafrost, das heißt mehrjährig gefrorener Boden, im Mittelpunkt. Aber auch Städte sind extreme Orte: Zum einen ist hier viel mehr los im Untergrund. Zum anderen gibt es viele Störeinflüsse, die die Anwendung geophysikalischer Methoden erschweren und uns daher einiges abverlangen.

Für die nächste Zukunft hoffe ich, dass ich mit einer Gruppe Studierender im Sommer nach Mexiko-Stadt reisen kann – eine Megastadt, die übrigens auch in über 2000 Metern Höhe liegt. Dort wollen wir im Rahmen einer gemeinsam mit meiner Frau organisierten Exkursion unter extremen urbanen Bedingungen geophysikalische und ökologische Untersuchungen kombinieren. Das Kennenlernen anderer Kulturen und den Aufbau internationaler Netzwerke halte ich neben den interessanten geowissenschaftlichen Fragestellungen ebenfalls für extrem wichtig und motivierend. Damit kann während des Studiums gar nicht früh genug begonnen werden!

Welchen Rat haben Sie für Nachwuchswissenschaftler*innen?

Wenn Ihr für Eure Forschung brennt, gebt nicht zu früh auf – auch wenn die Aussichten einen oft zweifeln lassen! Das legen meine Frau und ich als Dual-Career-Couple ganz besonders allen Frauen in der Wissenschaft ans Herz. Manchmal kann auch eine vermutete Schwäche unverhofft zu einer Stärke werden. So hatte ich zum Beispiel kurz nach meiner Dissertation mit 36 Jahren die Befürchtung, langsam schon zu alt für eine Karriere in der Forschung zu sein. Ich war für mehrere Jahre im Ausland, habe viel Zeit mit meinen Kindern verbracht und an einer Menge interessanter Forschungs- und Industrieprojekte mitgearbeitet. All diese Dinge, die eben nicht auf dem geradesten Weg zur Professur führen, haben Zeit gekostet. Schließlich waren es dann aber gerade diese Erfahrungen, die mich für die Juniorprofessur in Urbaner Geophysik an der TU Braunschweig vorbereitet haben.

Vielen Dank für das Interview.