11. April 2017 | Magazin:

Wie bin ich? Auf dem Weg zum „selbstbewussten“ Auto Forschung im Fokus: Self-Aware Vehicles

Mit Psychologie hat Marcus Nolte eigentlich nichts am Hut. Dabei ist „Selbstbewusstsein“ Teil seines Forschungsthemas, wenngleich eher im technischen Sinn. Gemeinsam mit drei Ingenieuren und einer Roboterexpertin des Instituts für Regelungstechnik entwickelt er Systeme für selbstbewusste Autos. „Self-Awareness“ ist der englische und offizielle Ausdruck dafür und gemeint ist, dass ein Fahrzeug weiß, wie es um seine Fähigkeiten bestellt ist.

Monitors instead of a dashboard – the MOBILE vehicle is also transparent inside. Behind the "steering wheel": Torben Stolte. Credit: Kristina Rottig/TU Braunschweig

Bildschirme statt Armaturenbrett – das MOBILE-Fahrzeug ist auch innen transparent. Am „Lenkrad“: Torben Stolte. Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig

„Self-Awareness ist eine der Grundvoraussetzungen für autonomes Fahren“, sagt Nolte. Damit Passagiere sicher ankommen, müsse ein autonomes Auto zu jedem Zeitpunkt erkennen können, ob es auf allen Ebenen noch funktionstauglich ist. Und falls das nicht der Fall ist, muss es nach Alternativlösungen suchen. „Kann das Auto zum Beispiel wegen einer defekten Lenkung nicht links abbiegen, könnte es versuchen, auf eine andere Route auszuweichen“, erklärt der Ingenieur. Und gibt es keine taugliche Alternative, muss das Fahrzeug an sicherer Stelle anhalten können.

„Strandbuggy“ mit 600 Pferdestärken

Das Elektroauto, mit dem die Forscherinnen und Forscher ihre Systeme testen, erinnert an einen Strandbuggy und heißt MOBILE. Das Gefährt aus schwarzen Stahlröhren hat 600 PS, wiegt rund zwei Tonnen, vor allem wegen des großen Batteriepakets, und ist für eine Spitzengeschwindigkeit von 160 Stundenkilometern ausgelegt.

Das Besondere an MOBILE: Jedes Rad hat einen eigenen Antrieb, und es fährt ausschließlich „by-wire“, also elektronisch, ohne Lenkstange oder Bremshydraulik. „Wir wollten einfach ein Auto haben, dessen Systeme wir in- und auswendig kennen. Für MOBILE haben wir alle Steuergeräte selber programmiert und wissen daher, welche Daten wo unterwegs sind“, sagt Nolte.

Torben Stolte, research and teaching assistant at the Institute of Control Engineering, behind the wheel of the MOBILE research vehicle. Credit: Kristina Rottig/TU Braunschweig

Torben Stolte, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Regelungstechnik, am Steuer des MOBILE-Forschungsfahrzeugs. Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig

Fünf Jahre hat es gedauert, das Auto zu bauen. Im eigentlichen Sinne „fertig“ wird es vermutlich nie werden. „MOBILE ist ein Konzeptfahrzeug. Das heißt, wir können daran Dinge ausprobieren, und die Konzepte können dann auf andere Fahrzeuge übertragen werden“, erklärt Nolte. Weltweit gebe es nur wenige Fahrzeuge ähnlicher Art, zum Beispiel an der Standford University im Silicon Valley. Mit dem Team dort arbeiten die Braunschweiger Forscherinnen und Forscher eng zusammen.

Bisher geht’s mit MOBILE nur ab und zu auf die Piste, auf eine eigens dafür eingerichtete Teststrecke auf dem Unigelände. Die meiste Zeit verbringt das Forscherteam am Schreibtisch. „Wir arbeiten viel am Computer, programmieren und simulieren viel. Dann testen wir unsere Algorithmen mit MAX, einem ferngesteuerten Auto, etwa fünf Mal kleiner als MOBILE. Mit dem fahren wir hier durch die Flure oder durchs Foyer. Wo gerade Platz ist“, erzählt Nolte. Erst dann setzten sie sich ins große Auto. Vorausgesetzt das Wetter passt, denn bei starkem Regen oder Mittagssommerhitze ist mangels Dach von einer Spritztour abzuraten.

Ein Ausflug auf die Rennstrecke

Das Highlight unter den Testfahrten: ein Ausflug auf die Rennstrecke in der Motorsport Arena Oschersleben. Hier sorgte das Gefährt für Aufsehen, obwohl es weder laut röhrte, noch besonders schnell unterwegs war. „Wir haben die Geschwindigkeit aus Sicherheitsgründen auf 55 Stundenkilometer begrenzt“, berichtet Nolte. Doch allein das Design ist offenbar ein Hingucker, wenngleich kein Modell für die autonomen Autos der Zukunft. „Dafür haben Automobilkonzerne schon diverse geeignetere Konzeptstudien entwickelt“, so der Ingenieur.

Bashar Ibrahim, student and scholarship holder at the Institute of Control Engineering, compares the size of the MOBILE car to MAX, the practice model at a scale of 1:5. Credit: Kristina Rottig/TU Braunschweig

Bashar Ibrahim, Student und Stipendiat am Institut für Regelungstechnik, zeigt das MOBILE-Auto im Größenvergleich mit MAX, dem Übungs-Modell im 1:5-Maßstab. BIldnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig

Zum „Selbstbewusstsein“ eines autonomen Autos gehört natürlich nicht nur der Blick nach innen, sondern auch nach außen. „Das Auto muss seine Umgebung, also bewegliche und unbewegliche Objekte mit entsprechender Technik hoch genau abbilden können, und das System muss eine Art Intuition haben“, erklärt Nolte. Es müsse wahrscheinliches Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer vorhersagen können, zum Beispiel ob ein Mensch gleich auf die Straße laufen wird. Dafür müssen allerdings noch eine Menge Erfahrungsdaten eingefahren werden. Das geschieht unter anderem mit TU-eigenen autonomen Testautos wie „Leonie“, die eine Straßenzulassung haben.

„Unser nächstes Ziel ist, dass MOBILE stabil fährt, die Spur hält und nicht aus der Kurve fliegt, dass also die Kinderkrankheiten geheilt sind“, berichtet der Forscher. „Außerdem lernt es gerade sehen. Mit Kameras und Sensoren soll unser Fahrzeug auch autonom fahren können.“ Gleichwohl steht für Nolte außer Frage, dass viele der getesteten Systeme in der Zukunft auch in Serienmodellen unterwegs sein werden. Da gibt er sich ganz selbstbewusst: „Autonomes Fahren ist die Zukunft. Und wir können an der TU Braunschweig unseren Teil dazu beitragen.“

Text: Andrea Hoferichter