„Hier ist gerade nichts los – also schnell eine SMS!“ Anja Katharina Huemer und Prof. Mark Vollrath präsentieren Ergebnisse ihrer Befragungsstudie.
Warum ist Ablenkung überhaupt ein Problem im Verkehr? Offensichtlich ist das Autofahren zumindest teilweise so einfach, dass sich Fahrer sicher genug fühlen, um sich mit anderen Dingen zu beschäftigen. Zu diesem Ergebnis sind Anja Katharina Huemer und Prof. Mark Vollrath vom Lehrstuhl für Ingenieur- und Verkehrspsychologie der TU Braunschweig in ihrer Befragungsstudie gekommen.
Es zeigte sich, dass nur vier Prozent aller Fahrer während der letzten halben Stunde nichts Fahrfremdes getan hatten. Etwa 20 Prozent berichteten von einer anderen Tätigkeit, knapp 40 Prozent von zweien und der Rest der Fahrer hatte sich mit drei oder mehr Dingen beschäftigt. Die Bedienung von Geräten, die Unterhaltung mit Beifahrern und gedankliche Ablenkung wurden am häufigsten genannt. Diese Ergebnisse stimmen recht gut mit vielen internationalen Studien überein. „Fahrer lassen sich gerne und häufig ablenken und sie finden das zwar generell gefährlich, sind aber überzeugt, dass sie selbst die Situation im Griff haben“, so Prof. Vollrath. „Ob diese Selbsteinschätzung stimmt, haben wir in unserer Studie untersucht“.
Um die Frage der Gefährlichkeit von Nebentätigkeiten zu beantworten, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Die aussagekräftigste Methode ist die Analyse des Unfallrisikos. Eine klassische Studie stammt von Redelmeier & Tibshirani (1997). Über eine Analyse von Telefonverbindungen wurde für jeden Fahrer festgestellt werden, ob er direkt vor dem Unfall telefoniert hatte. Dies wurde verglichen mit anderen unfallfreien Fahrten derselben Fahrer, wobei wiederum geprüft wurde, ob sie dabei telefoniert hatten. Hier zeigte sich sehr deutlich, dass vor den Unfällen wesentlich häufiger telefoniert worden war als bei den unfallfreien Fahrten.
Obwohl hier noch großer Forschungsbedarf besteht, lässt sich feststellen, dass Ablenkung beim Fahren umso schlimmer ist, je mehr dabei die Blicke von der Fahrbahn abgezogen werden. Eine SMS zu tippen und dabei ständig auf das Display des Handys zu schauen ist sicherlich gefährlicher, als mit der Freisprechanlage zu telefonieren und dabei nach vorne zu gucken. Wegen Blickabwendungen kann man von der Straße abkommen oder Hindernisse oder andere Verkehrsteilnehmer übersehen – Alleinunfälle und Auffahrunfälle sind vermutlich zu einem großen Teil durch Ablenkung bedingt. Aber auch die gedankliche Beschäftigung mit anderen Dingen wie beim Telefonieren kann sich negativ auswirken. Das Problem ist hier aber ein anderes als bei der Blickabwendung: Man sieht zwar noch das andere Fahrzeug, bemerkt aber nicht oder zu spät, dass man reagieren müsste, auf gut Englisch „Driving without Awareness“ – man fährt unbewusst, automatisch.
Wenn Ablenkung so gefährlich ist, warum merken das die Fahrer nicht? Warum lässt man sich ablenken? Häufig ist das Fahren langweilig und einfach – Ablenkung kann wach halten. Und auch wenn das Unfallrisiko erhöht ist – Ablenkung bleibt häufig folgenlos, Unfälle sind seltene Ereignisse. „Für den Fahrer ist jede folgenlose Ablenkung die Bestätigung, dass er die Situation im Griff hat – bis dann doch die eine SMS zu viel war“, so Vollrath.