5. August 2021 | Magazin:

Gute Praxis für exzellente und glaubwürdige Forschung Professor Litterst gibt nach 12 Jahren Vorsitz ab

Professor Jochen Litterst hatte 12 Jahre den Vorsitz der Kommission zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis inne. Bildnachweis: Sebastian Olschewski/TU Braunschweig

Bevor es mit der wissenschaftlichen Arbeit an der TU Braunschweig losgeht, verpflichten sich die Forschenden nach den Regeln der Wissenschaft, lege artis, zu arbeiten. An der TU Braunschweig sind die Regeln in der Ordnung „Grundsätze zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ festgelegt. Die Sicherung dieser Grundsätze hat an der TU Braunschweig eine Senatskommission übernommen. Der bisherige Vorsitzende der Kommission, Altpräsident und Physiker Professor Jochen Litterst, hat jetzt nach 12 Jahren den Vorsitz abgegeben und berichtet über die zurückliegende Arbeit.

„Die Zahl der Hinweise und Anfragen zu wissenschaftlichem Fehlverhalten sind an der TU Braunschweig zum Glück sehr überschaubar. An die Kommission wurden im Jahr durchschnittlich etwa vier bis fünf Hinweise herangetragen, aus denen dann etwa ein oder zwei genauer zu untersuchende Fälle resultierten, so Professor Litterst, der vom Wintersemester 2009/2010 an den Vorsitz der Kommission innehatte. „Jeder Fall ist ein Einzelfall und muss individuell betrachtet werden.“ Sorgfältiges Arbeiten ist gefragt. Viele Stunden stecken in der Durchsicht und der Bewertungen der Unterlagen, bevor ein Verfahren eröffnet wird.

Verletzungen von geistigem Eigentum

Nicht die Plagiatsfälle von Dissertationen mit mangelnder Zitation oder Verstöße gegen das Copyright bestimmen die Arbeit der Kommission. Dies hängt sicher auch mit der inzwischen eingeführten verpflichtenden Überprüfung der elektronischen Versionen von Abschlussarbeiten zusammen. Eher typische Fälle des wissenschaftlichen Fehlverhaltens sind das „Schönen“ bei der Antragstellung und in Publikationen, wie zum Beispiel das „Cooking“, also das Verschweigen von negativen Resultaten und die Präsentation nur gewünschter Ergebnisse, sowie das „Trimming“, die bewusste Manipulation von Messwerten. Oft spielen die Verletzung von geistigem Eigentum durch nicht abgestimmte Verwendung von Daten oder Ideen und die Nichtberücksichtigung bei der Autorenschaft eine Rolle.

Der Personenkreis, der sich an die Kommission wendet, ist vielfältig. „Von Kolleg*innen, über aktuelle und ehemalige Mitarbeitende, externe Privatpersonen, aber auch externe Kolleg*innen, zuweilen aus dem Ausland, bis zu anonymen Hinweisgeber*innen haben den Kontakt zu uns gesucht“, so Professor Litterst. Die konkreten Verdachtsfälle gehen dann zunächst an die fachnächsten Vertreter*innen in der Kommission, um die unterschiedlichen Fachkulturen zu berücksichtigen. In den mehrstufigen vertraulichen Verfahren können aber auch externe Gutachter*innen zugezogen werden.

Beratung steht an erster Stelle

Hinweise auf mögliches wissenschaftliches Fehlverhalten und Beratungswünsche können an die beiden Ombudspersonen oder den*die Vorsitz*ende*n der Untersuchungskommission gerichtet werden. Auch diese Beratungen sind strikt vertraulich. „Bei den meisten Anfragen geht es um inhaltliche Fragen zu guter wissenschaftlicher Praxis. In der Regel werden die Hinweisgeber*innen ausführlich beraten, ohne dass dann ein Vorverfahren eingeleitet wird“, berichtet Professor Litterst.

Proaktiv aufklären

Damit es erst gar nicht zu wissenschaftlichem Fehlverhalten kommt, sollten an erster Stelle proaktive Maßnahmen, wie Weiterbildungen und Schulungen insbesondere im Nachwuchsbereich stehen, fordert Litterst. Die Mitglieder der Kommission gehen zum Beispiel in die Graduiertenkollegs und klären über die Regeln der Wissenschaft auf. Da sich die Interpretation, was „lege artis“ bedeutet, je nach Fachdisziplin unterscheidet, ist die Kommission mit Mitgliedern der verschiedenen Fachdisziplinen besetzt.

„Eine Garantie der Einhaltung der Regeln ist zum Beispiel wichtig, um erfolgreich bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft, DFG, Drittmittelanträge stellen zu können“, betont Litterst. Der Kodex „Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ der DFG gibt auch den Rahmen der Ordnung an der TU Braunschweig vor. Das Ziel ist es, eine Kultur der wissenschaftlichen Integrität in der deutschen Wissenschaftslandschaft zu verankern. Die im März 2021 vom Senat verabschiedete Ordnungsnovelle berücksichtigt bereits die für diesen Zuständigkeitsbereich wesentlichen Leitlinien der DFG. Die Erfahrungen der Kommission aus den Jahren seit der letzten Novellierung (2013) sind dabei eingeflossen.

Qualitätssicherung

Was könnte man am zukünftig noch verbessern? „Eine Erleichterung der Kontaktaufnahme zur Kommission über die TU-Homepage wäre wünschenswert“, so Professor Litterst. „Es sollte klar sein, dass auch anonym und über die (in der novellierten Ordnung bereits vorgesehene) Ansprechperson aus dem wissenschaftlichen Mittelbau eine Kontaktaufnahme möglich ist. Gerade die Kontaktaufnahme und der Austausch mit anonymen Hinweisgeber*innen sind schwierig und könnten über ein eigenes Portal der Kommission vereinfacht werden. “Qualitätssicherung muss frühzeitig im Studium beginnen, da Studierende bereits schrittweise ins wissenschaftliche Arbeiten eingebunden sind. Eine frühe Sensibilisierung zur guten wissenschaftlichen Praxis ist ein wichtiger Faktor zur Vermeidung wissenschaftlichen Fehlverhaltens“, so Litterst. „Und für jede Disziplin wäre eine gut verständliche Handreichung mit Erläuterungen sehr hilfreich, damit die „leges artium“ noch besser von den Wissenschaftler*innen umgesetzt und gelebt werden können.“

„Für das Vertrauen der Gesellschaft in die Wissenschaft ist Redlichkeit die wichtigste Basis. Sie ist eines der wesentlichen Prinzipien jedes wissenschaftlichen Arbeitens“, so TU-Präsidentin, Professorin Angela Ittel. „Für die Wahrnehmung dieser sehr wichtigen Aufgabe der Qualitätssicherung danke ich den scheidenden Mitgliedern der Kommission ‚Zur Sicherung der guten wissenschaftlichen Praxis‘ herzlich. Ganz besonders danke ich im Namen der gesamten TU Braunschweig Professor Jochen Litterst, der 12 Jahre mit außerordentlichem Engagement und viel Fingerspitzengefühl den Vorsitz ausübte.“

Vorbildfunktion

Noch ist die Arbeit der scheidenden Kommission nicht ganz beendet. Erst wenn alle Fälle, die in der Amtszeit der Kommission angezeigt worden sind, abgearbeitet sind, endet auch die Arbeit der Kommission. Ein Resümee zieht Professor Litterst jetzt schon einmal: „Leitlinien zu guter wissenschaftlicher Praxis mögen hilfreich und nötig sein, am wichtigsten bleibt aber die eigene Praxis, die in gemeinsamer wissenschaftlicher Arbeit mit Vorbild gebenden erfahrenen Wissenschaftler*innen erworben wird.“