19. Mai 2021 | Magazin:

Eine natürliche Sägezahnkette Mineral Atacamit als Modellsystem für frustrierten Quantenmagneten nachgewiesen

Von außen wirkt der grünliche Kristall vor allem dekorativ. Für die Quantenmagnetismus-Community ist dagegen vor allem das Innere, Unsichtbare des Minerals Atacamit interessant. In einem aufwendigen Experiment wies ein internationales Team aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern den naturbelassenen Kristall als Modell einer Quantenmagnetismus-Sägezahnkette nach. An erster Stelle stand dabei das Institut für Physik der Kondensierten Materie der TU Braunschweig. Die Ergebnisse erschienen jetzt in der Fachzeitschrift Physical Review Letters.

Ein kleiner Stein mit einer dünnen Schicht grüner Atacamit-Kristalle auf der Oberfläche

Ein natürlich gewachsener Atacamit-Kristall auf Gestein. Bildnachweis: Leonie Heinze/TU Braunschweig

Magnetismus spielt nicht nur als klobiges Hufeisen in der Schule eine Rolle. Das magnetische Moment von Quantenobjekten, beispielsweise Elektronen, beschreibt deren räumliche Ausrichtung. Wie sich ein magnetisches Moment ausrichtet, bestimmt sich dabei zum Teil anhand seiner magnetischen Nachbarn. Die bekannten Ferromagneten, wie zum Beispiel Eisen, neigen etwa zu einer parallelen Orientierung. Wenn sich dagegen zwei antiferromagnetisch gekoppelte magnetische Momente gegenüberstehen, streben diese nach einer antiparallelen Ausrichtung. Das heißt, sie sind zwar parallel, aber wenn bei einem der Nordpol oben ist, ist es bei dem anderen genau umgekehrt. Ordnet man antiferromagnetisch gekoppelte magnetische Momente auf einem Dreieck an, streben auch diese nach Antiparallelität. Allerdings ist es unmöglich, diesen Zustand auf dem Dreieck anzunehmen. Entsprechend haben solche Magnete die Kennung „frustriert“ – ein frustrierter Quantenmagnet.

Vom frustrierten Magneten zur Sägezahnkette

Wenn aus einem Dreieck viele Dreiecke an einer Art Kette werden, sprechen beide, Baumarkt und Festkörperphysik, von einer Säge. Ein solches System von Dreiecken, die eine Kette bilden, beschreibt man als Quantenmagnetismus-Sägezahnkette. Wer den komplexen Magnetismus solcher Sägezahnketten experimentell erforschen will, benötigt zunächst ein passendes Modellsystem.

Am Institut für Physik der Kondensierten Materie suchten Professor Stefan Süllow, Privatdozent Dirk Menzel und Leonie Heinze zusammen mit einem internationalen Team aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nach einem natürlich entstandenen Modellsystem einer solchen Sägezahnkette. Besonders große Stücke setzten die Forschenden auf das Mineral Atacamit. In der Theorie hatte man die Bedingungen errechnet, die auf eine Sägezahnkette hindeuten. Besonders relevant ist dabei, wie sich das magnetische Moment des Materials unter sehr tiefen Temperaturen und starken Magnetfeldern verhält.

Neutronenstreuung in Berlin, Hochfeldmessungen in Los Alamos

Um Atacamit als Modellsystem für eine Quanten-Sägezahnkette zu charakterisieren, führten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter anderem zwei Hochfeld-Experimente durch. Das erste war ein Neutronenstreuexperiment mit sehr hohen magnetischen Feldern von bis zu 25 Tesla, also etwa dem 250-fachen des Hufeisenmagneten aus dem Schulunterricht. Das Großgerät dazu stellte das Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie. Beim Experiment wechselwirken die gestreuten Neutronen unter anderem mit den magnetischen Momenten in der Probe. So lässt sich die magnetische Ordnung des Kristalls auf atomarer Ebene nachvollziehen.

Das zweite Experiment fand am Los Alamos National Laboratory in den USA statt, einem der größten Forschungsinstitute der Welt. Im National High Magnetic Field Laboratory setzte man das Atacamit noch stärkeren, gepulsten Magnetfeldern von bis zu 65 Tesla aus. Dabei war das Atacamit auf 0,6 Kelvin heruntergekühlt. Das Mineral befand sich also nah am absoluten Temperaturnullpunkt, während urplötzlich sehr starke Magnetfelder wirkten.

Doktorandin Leonie Heinze bereitet im Kryolabor der AG Süllow am Institut für Physik der Kondensierten Materie einen Probenträger vor. Bildnachweis: Leonie Heinze/TU Braunschweig

Doktorandin Leonie Heinze, die am Institut für Physik der Kondensierten Materie schwerpunktmäßig an frustrierten Quantenmagneten forscht, zieht eine positive Bilanz der Experimente: „Reale Systeme überraschen einen im Experiment eigentlich immer. Dennoch griffen Theorie und Experiment gut ineinander. Jetzt konnten wir beides in einem Paper vereinen.“ Für den Theorieteil des Papers berechneten Professor Wolfram Brenig und Dr. Alexandros Metavitsiadis vom Institut für Theoretische Physik der TU Braunschweig mit verschiedenen numerischen Methoden die Magnetisierung einer Quanten-Sägezahnkette. Diese Berechnungen konnten dann mit den experimentellen Daten verglichen werden. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) förderte das Projekt.