Eine besondere Begegnung mit Gauß Buchprojekt der Gauss Friends zum Braunschweiger Mathematiker
Mathe-Genie, Astronom, Geodät und Physiker. All das war Carl Friedrich Gauß. Außerdem noch sprachbegabt. Altgriechisch, Latein, Italienisch, Französisch und Englisch beherrschte er. Gauß interessierte sich für andere Kulturen und pflegte Freundschaften rund um den Globus. Doch was wissen wir über das Privatleben des Gelehrten? Was über die Gefühle und Ängste des in Braunschweig Geborenen? Ein Buch der Gauss Friends, ein Zusammenschluss internationaler Studierender, Mitarbeiter und Alumni, gibt jetzt Einblicke.
„Johanna und C.F. Gauß – Begegnungen der besonderen Art“ heißt das Werk, das am 30. April veröffentlicht wird. Kein zufällig gewählter Termin: Am 30. April 1777 wurde Gauß in der Löwenstadt geboren. Seinen Geburtstag wollen die Gauss Friends im Braunschweigischen Landesmuseum feiern und das Buch vorstellen.
1 Lesekreis, 12 Nationen
Der deutsch-englische Band setzt sich mit zwölf Briefen von Carl Friedrich Gauß und seiner ersten Frau Johanna auseinander. Studierende aus zwölf Nationen – unter anderem aus Kolumbien, Tunesien, Ukraine, China und Syrien – hatten sich in einem internationalen Lesekreis mit dem Briefwechsel beschäftigt. Sie diskutierten zum Beispiel darüber, ob es in ihren Heimatländern eine Verlobung vor der Hochzeit gibt, welche Bedeutung Familie hat, wie über Krieg berichtet wird und wie sich Sprache verändert. Dazu entstanden Zeichnungen, die als Grundlage der in dem Buch abgedruckten Illustrationen dienten.
In vier Interviews mit 17 Fragen – eine Hommage an das regelmäßige 17-Eck von Gauß – erfahren die Leserinnen und Leser in den Antworten von Younouss Wadjinny, Stephanie Metzger, Michael Wrehde und Ferdinand Georg noch mehr über die Geschichte des Projekts, historische Hintergründe, Ästhetik der Sprache und den Prozess des gemeinsamen Lesens der Schriftstücke. „Wir veröffentlichen also nicht nur einfach die Briefe, sondern zeigen auch die Begegnungen und die interkulturelle Auseinandersetzung, die über diese Briefe zustande kamen“, beschreibt Younouss Wadjinny, Herausgeber des Buchs, die Idee hinter dem Projekt.
Zwischen Verlobungsantrag und Totenklage
Der Briefwechsel selbst beginnt mit Gauß‘ Verlobungsantrag am 12. Juli 1804. „Ich kann Ihnen zwar jetzt nicht Reichtum, nicht Glanz anbieten. Doch Ihnen, Gute – ich kann mich in Ihrer schönen Seele nicht geirrt haben – sind ja Reichtum und Glanz ebenso gleichgültig wie mir. Aber ich habe mehr als ich für mich alleine brauche, genug, um zweien genügsamen Menschen ein sorgenfreies anständiges Leben zu bereiten, meiner Aussichten in die Zukunft gar nicht einmal zu gedenken. Das Beste, was ich Ihnen anbieten kann, ist ein treues Herz voll der innigsten Liebe für Sie“, schreibt er an Johanna Elisabeth Rosina Osthoff. Am 9. Oktober 1805 heiratet Gauß sein „Hannchen“.
In den folgenden Briefen tauschen sich die Eheleute über ihren Alltag aus – über ihren Sohn Joseph, Krankheiten, Essen, Reisen und die Post, die sich verzögert. Die letzte Nachricht enthält Gauß‘ Totenklage um seine Frau, die am 11. Oktober 1809 starb. „Teures Wesen, du wusstest selbst nicht, wie einzig du warst. Mit der Sanftmut eines Engels ertrugst du meine Fehler. O wenn es den Seligen vergönnt ist noch unsichtbar uns armen im Lebensdunkel irrenden nahe zu sein, verlas mich nicht. Kann deine Liebe vergänglich sein? Kannst Du sie dem armen, dessen Höchstes Gut sie war entziehen? O du Beste, bleib meinem Geiste nahe“, formuliert der Gelehrte seine Traurigkeit. „Für mich persönlich ist diese Totenklage sehr beeindruckend“, so Younouss Wadjinny. „Angst, Verlust und Zweifel kommen dort sehr gut zum Ausdruck. Ich kann verstehen, was er damit meint und seine Gefühle nachempfinden.“
L‘œuvre d’art totale
Diesen Emotionen zwischen Verlobung und Tod wollen die Gauss Friends am 30. April mit einer Aufführung im Braunschweigischen Landesmuseum Ausdruck verleihen. „Es wird kein klassisches Theaterstück, sondern ein künstlerischer Versuch“, gibt Younouss Wadjinny einen Ausblick auf das, was die Besucherinnen und Besucher erwartet. Die Buchvorstellung soll ein „œuvre d’art totale“ werden – ein Format, über das alle Künste eine Idee ausdrücken. Über Theater, Dichtung, Bildende Kunst, Tanz, Film und Musik werden Menschen aus 25 Nationen an diesem Abend den Briefwechsel zwischen Carl Friedrich und Johanna Gauß interpretieren.
„Es ist nicht das Wissen, sondern das Lernen,
nicht das Besitzen, sondern das Erwerben,
nicht das Dasein, sondern das Hinkommen,
was den größten Genuss gewährt.“ (Carl Friedrich Gauß)