Ein Möglichkeitsraum in der Stadt Das Reallabor Hagenmarkt ist eröffnet
Seit drei Wochen verändert sich der Braunschweiger Hagenmarkt – jeden Tag ein wenig mehr. Rund um den Platz stehen riesige Möbel aus Schalungsplatten, Latten und Spanngurten. Ein Segel flattert im Wind. Tomaten, Paprika, Kohlrabi, Kürbis- und Maispflanzen wachsen und gedeihen in alten Jutesäcken. Und neben einem Bauwagen zieht ein Holz-Pavillon die Aufmerksamkeit der Braunschweiger*innen auf sich. Das Reallabor Hagenmarkt ist ein Hingucker. Jetzt wurde es offiziell durch die beteiligten Institute der TU Braunschweig eröffnet.
Das Reallabor – organisiert vom Institut für Architekturbezogene Kunst (IAK), dem Institut für Bauklimatik und Energie der Architektur (IBEA) sowie dem Institut für Geschichte und Theorie der Architektur und Stadt (GTAS) – ist angekommen, mitten in der Stadt. Neugierig haben die Braunschweiger*innen in den vergangenen Tagen beobachtet, wie nach dem Richtfest aus einem schlichten Holzgerüst nach und nach ein richtiger Pavillon entstand, der auch vor Regen schützt. Wie Studierende und Mitarbeiter*innen Lehmwände hochzogen, bereits mehrfach genutzte Türen aus dem ehemaligen Stufenhochhaus in Wolfsburg-Detmerode einbauten, Rohwolle und alte Matratzen zur Dämmung einsetzten. Materialien mit einem Vorleben, die normalerweise nicht mehr genutzt werden.
„Wir vergessen oft im Bauen, woher die Materialien eigentlich kommen und wie wir sie verwenden können“, sagt Professorin Elisabeth Endres, Leiterin des IBEA. Im Reallabor sollen die Studierenden traditionell geprägte Baumaterialien verwenden und klimaneutrales Bauen erleben. „Mit Lehm möchten wir einen Baustoff, der aus der Vergangenheit kommt, in die Zukunft bringen und untersuchen, was dieser leisten kann.“
Erleben und mitmachen
Und was kann ein innerstädtischer Platz leisten? Für Professorin Folke Köbberling vom IAK ist der Hagenmarkt ein Möglichkeitsraum, „ein undefinierter Raum, den man jeden Tag neu und vielfältig nutzen kann“. Der Möglichkeitsraum wird durch bauliche Interventionen zum Spielplatz, zum Verweilort, zum Biotop. Etwas wird auf kleinster Fläche verhandelt und ausprobiert.
Es ist ein „Experimentierort“, sagt Professorin Tatjana Schneider vom GTAS. Und ein Ort des Dialogs. Ergänzend zu den baulichen Interventionen hat das Institut für die kommenden Wochen unter dem Titel „Kollaborative Intelligenz“ ein Programm mit Spaziergängen, Vorträgen und Workshops organisiert. Das Team möchte hier Impulse in der Debatte um die soziale und ökologische Nachhaltigkeit unserer gelebten und gebauten Räume setzen.
So geht es beispielsweise im Workshop „Ringgeflechte“ in Zusammenarbeit mit dem Leibniz-WissenschaftsCampus „Postdigitale Partizipation“ am 8. Juli um neue Produkte aus alten Autoreifen. Teilnehmer*innen können die Möglichkeiten von neuen Formen in Ringgeflechten kennenlernen und partizipativ erproben. Im Workshop „Wie viel ist genug?“ wird am 9. Juli gefragt: Wie viel brauchen wir wirklich? Wie viel können wir uns leisten? Die Veranstaltung soll nicht nur ein Gespräch über Konsum sein, sondern eine kollektive Open-Air-Reparatursession. Auf einer Fahrradtour am 10. Juli zur Schachtanlage Asse II diskutieren die Teilnehmenden über Verantwortung: Wer kümmert sich um die Entsorgung der Reste unseres Lebensstils? Und in einer Ausstellung an der Katharinenkirche am 9. Juli (Eröffnung 13 Uhr) präsentieren die Studierenden des Instituts für Architekturbezogene Kunst ihre im Sommersemester entworfenen Taubenschläge zur Populationsminimierung der Stadttauben auf dem Hagenmarkt.
Forschungsobjekt Hagenmarkt
Für weitere Institute der TU Braunschweig wird der Platz zum Forschungsobjekt. So hat ein vierköpfiges Team des Instituts für Geophysik und extraterrestrische Physik (IGeP) geophysikalische Messungen mit dem Bodenradar und einer elektromagnetischen Induktionsmethode (EM38) durchgeführt, um den oberflächennahen Untergrund dieser innerstädtischen Fläche zu durchleuchten. Mit dem Georadar können die Wissenschaftler*innen Schicht- und Materialgrenzen, aber auch Störkörper im Untergrund sichtbar machen, wie beispielsweise Kabel, Rohrleitungen oder alte Fundamente, erklärt Dr. Matthias Bücker. Und die Induktionsmethode hilft unter anderem dabei, verborgene metallische Objekte, wie Rohrleitungen oder alte Schienen, im Untergrund zu lokalisieren.
Mit Gewässer-Mikroorganismen als Indikatoren für Klima- und Umweltveränderungen beschäftigen sich Dr. Liseth Pérez und Dr. Anja Schwarz vom Institut für Geosysteme und Bioindikation (IGeo). Im Pavillon zeigen sie dazu eine Ausstellung. Die Organismen stammen zum Beispiel aus Blumentöpfen mit Wasserpflanzen aus dem Botanischen Garten oder einem winzigen Teich im östlichen Ringgebiet. Das Wasser des Brunnens auf dem Hagenmarkt ist mit Chlor versetzt, sodass er als Lebensraum für Mikroorganismen weniger gut geeignet ist. „Sollten bei einer Umgestaltung des Hagenmarktes aber auch naturnahe Wasserkörper entstehen, würden sich unsere Organismen sicherlich auch hier wohlfühlen“, so die Wissenschaftlerinnen.
Das vollständige Programm finden Sie auf der Website des GTAS:
www.gtas-braunschweig.de/interacting/detail/kollaborative-intelligenz
Weitere Informationen gibt es auf Instagram: @reallabor_hagenmarkt