Die Zukunft des Energie- und Wasserspeichers Harz Leichtweiß-Institut für Wasserbau simuliert mögliche Varianten
Erst ein verheerendes Hochwasser, dann jahrelang Dürre und leere Talsperren: Extreme Wetterbedingungen haben in den vergangenen Jahren große Auswirkungen auf den Harz und sein Vorland gehabt. Das von der EU und dem Land Niedersachsen geförderte Verbundprojekt „Energie- und Wasserspeicher Harz“ (EWAZ) untersucht seit 2019, wie das komplexe System angesichts der Herausforderungen durch die Auswirkungen des Klimawandels für die Zukunft weiterentwickelt werden kann. Die Abteilung Hydrologie, Wasserwirtschaft und Gewässerschutz (HYWAG) am Leichtweiß-Institut für Wasserbau (LWI) der TU Braunschweig ist neben der TU Clausthal und der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften an den Forschungen beteiligt.
Im Sommer 2017 überschwemmte ein Hochwasser die Regionen Goslar und Hildesheim. In den Folgejahren war Wasser hingegen rar: 2018 litt ganz Mitteleuropa vom Frühling bis in den Spätherbst hinein unter extremer Hitze und Dürre. Auch in den Jahren 2019 und 2020 gab es viele Monate im Norden und Osten Deutschlands kaum Niederschlag.
In der Folge leerten sich die Trinkwassertalsperren im Harz in einem bedenklichen Ausmaß. „Bis heute wurden die Füllstände, wie sie sonst im späten Frühjahr üblich sind, nicht erreicht“, weiß Professor Günter Meon vom Leichtweiß-Institut für Wasserbau. Der Klimawandel sei Ursache für diese extremen Wetteranomalien, die uns in Zukunft wohl häufiger erwarten werden, wie Klimaforscher*innen vorhersagen.
Eine Jahrhundertaufgabe steht bevor
Betreiber der Talsperren im westlichen Harz ist die Harzwasserwerke GmbH. „Dort wird befürchtet, dass auf mittlere bis lange Sicht eine klimabedingte Verknappung des Wasserangebots bei gleichzeitig steigendem Bedarf in der Region zwischen Harz und Heide bis zur Küste zu erwarten ist“, so Professor Meon. Eine abgesicherte Strategie zur nachhaltigen Bewirtschaftung des Wasserspeichers Harz, wie sie Politik und Gesellschaft bis zum Jahr 2100 fordere, sei eine Jahrhundertaufgabe.
Zusammen mit seinen wissenschaftlichen Mitarbeitern Patrick Nistahl und Tim Müller ist Professor Günter Meon Teil des 2019 gestarteten Verbundforschungsvorhabens „Energie- und Wasserspeicher Harz“ (EWAZ). Es wird von der Europäischen Union sowie den Ministerien für Wissenschaft und Umwelt des Landes Niedersachsen mit insgesamt 1,6 Millionen Euro gefördert.
Das Undenkbare denken
Ziel von EWAZ sei es, so Professor Günter Meon, wasserwirtschaftliche und energietechnische Maßnahmen im westlichen Harz zu erarbeiten, mit denen die Auswirkungen des Klimawandels auf die Wasserversorgung aus dem Harz, die Hochwassergefährdung und die Niedrigwassersituation in den Gewässern der Region abgemildert werden können. Darüber hinaus werde die Energiegewinnung mit dem aufgestauten Wasser betrachtet.
Die Wissenschaftler*innen dürfen dabei das Undenkbare denken, betont Meon: „Wir haben uns kein Denkverbot auferlegt und lassen alle mögliche Systemerweiterungen wie neue Talsperren, Überleitungen und Pumpspeicherwerke als Projektvarianten zu.“ Zusätzlich zum bestehenden System werden mögliche Maßnahmen an sechs weiteren Standorten geprüft, die der Wasserwirtschaft im Harz bei der Anpassung an den Klimawandel helfen sollen.
Der Fokus liegt dabei auf Varianten, die sämtliche Funktionen der Talsperren bedienen. So könnte beispielsweise ein großer Steinbruch als zweites Becken der Okertalsperre genutzt werden und damit nicht nur die Trinkwasserversorgung, den Hochwasserschutz und die Niedrigwasseraufhöhung unterstützen, sondern auch die Okertalsperre als Pumpspeicherwerk nutzbar machen. An weiteren Standorten im westlichen Harz prüfen die Expert*innen des Verbundprojekts neben zusätzlichen oberirdischen und unterirdischen Speichern auch ergänzende Überleitungen zwischen bestehenden Bauwerken. Ein derart vernetzter Betrieb soll ein intelligentes Management der Ressource Wasser sicherstellen, um besser auf Veränderung des Klimas und des Wasser- und Energiebedarfes reagieren zu können.
Simulation im mathematischen Modell
Hierfür wurde in der Abteilung Hydrologie, Wasserwirtschaft und Gewässerschutz des LWI ein mathematisches Modell für den Wasserhaushalt und die Wasserinfrastruktur des westlichen Harzes entwickelt. „Es beruht auf meteorologischen Zeitreihen, die als räumliche Datenfelder aus der Vergangenheit und für die Zukunft aufbereitet werden“, erklärt Professor Meon. Hierzu greifen die Wissenschaftler*innen auf Daten der Wasserwirtschaftsbehörden, der Harzwasserwerke sowie auf Forschungsergebnisse aus dem Forschungsprojekt „Globaler Klimawandel – Wasserwirtschaftliche Folgenabschätzung für das Binnenland“ (KliBiW) zurück, an dem das LWI ebenfalls beteiligt ist. In KliBiW quantifiziert Professor Meons Abteilung in Kooperation mit der Leibniz Universität Hannover und dem Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) im Auftrag des niedersächsischen Umweltministeriums seit 13 Jahren die Klimaänderung und deren Auswirkung auf Hoch- bis Niedrigwasser.
„Für den Zeitraum 1881 bis 2019 liefert zum Beispiel die Trendanalyse der gemessenen Temperaturen in Niedersachsen einen Anstieg um 1,6 Grad Celsius“, so Meon. Am Ende der 1980er Jahre habe es einen sprunghaften Anstieg um rund ein Grad Celsius gegeben. Insbesondere haben die maximalen jährlichen Temperaturen und deren Dauer in Form von Hitzewellen signifikant zugenommen. Auch die Jahresniederschläge sind im Mittel um rund 13 Prozent angestiegen.
Die Prognosen bis zum Jahr 2100 basieren auf dem ungünstigen, aber realistisch erscheinenden Klimaszenario „RCP8.5“. Konkret heißt das: Für Niedersachsen ist ein weiterer Anstieg der mittleren Temperaturen bis 2100 um circa 3,0 bis 3,8 Grad Celsius und eine deutliche Zunahme von Hitzeperioden zu erwarten. Die Niederschlagsmengen werden im Winterhalbjahr ansteigen, während die Entwicklung des mittleren Niederschlages im Sommerhalbjahr regional schwanken wird. Extreme Niederschläge werden zunehmen und in kürzerer Zeit fallen, also Unwetter verursachen. In der fernen Zukunft (2071-2100) werden sich die Hochwasserverhältnisse deutlich verschärfen und Dürreperioden wesentlich häufiger auftreten.
Zusammenführung der Daten in EWAZ
Im Modell des Projektes EWAZ werden die Daten aller Teilprojekte in Varianten zusammengeführt. „Das Modell ist räumlich hochaufgelöst und ermöglicht eine Simulation der Hydrologie und des wasser- und energiewirtschaftlichen Systems auf Stunden- und Tagesbasis“, erklärt Professor Günter Meon vom Leichtweiß-Institut für Wasserbau. „Mit dem Modell, das mit den Zeitreihen aus KliBiW gefüttert wird, können wir insbesondere die Wechselwirkungen der vier Systemdienstleistungen Hochwasserschutz, Trinkwasserversorgung, Niedrigwasserauffüllung und Energiegewinnung quantifizieren und optimieren.“
Für jede Projektvariante lassen sich Kenngrößen der Wirksamkeit ableiten. Ein Beispiel dafür sei die Zuverlässigkeit der Trinkwasserversorgung im Zeitraum 2041 bis 2070 in Konkurrenz zur Niedrigwasseraufhöhung und zum Hochwasserschutz. Die Forschenden im Verbundprojekt EWAZ, das noch bis zum Sommer 2022 läuft, führen eine sozio- und regionalökonomische Bewertung durch. Die Ergebnisse der Simulationen sollen zu Empfehlungen für die Planung und den Betrieb führen. Zu klären ist, welche Maßnahmen volkswirtschaftlich gesehen den größten Nutzen haben.
Darauf aufbauend sollen für bestimmte priorisierte Varianten anschließend in Folgeprojekten Umweltuntersuchungen und technische Spezifizierungen erarbeitet werden. Bei Realisierung von Maßnahmen benötigt der westliche Harz ein operationelles wasserwirtschaftliches Steuerungssystem, das mit Echtzeitvorhersagen der Zuflüsse zu betreiben wäre. Das ist laut Professor Günter Meon jedoch Stoff für ein weiteres Forschungskapitel.