2. Februar 2021 | Magazin:

Die Energie von Wellen und Wind Postdoktorand Christian Windt vom Leichtweiß-Institut für Wasserbau im Kurzporträt

Windkraftwerke in der deutschen Nordsee haben im vergangenen Jahr einen neuen Spitzenwert erzielt und so viel Energie geliefert wie noch nie. Mit schwimmenden Windkraftanlagen könnte die Offshore-Windbranche künftig noch weitere Gebiete erschließen. An der Forschung dazu ist auch das Leichtweiß-Institut für Wasserbau mit dem Projekt NuLIMAS beteiligt. Postdoktorand Dr. Christian Windt koordiniert das Projekt der Abteilung Hydromechanik, Küsteningenieurwesen und Seebau. Bianca Loschinsky hat mit ihm über das Projekt und seine bisherige akademische Laufbahn gesprochen.

Dr. Christian Windt, Koordinator des Projekts NuLIMAS. Bildnachweis: Christian Windt/TU Braunschweig

Herr Windt, Sie koordinieren das Projekt NuLIMAS am LWI. Woran genau forschen Sie?

NuLIMAS ist die Abkürzung für „Numerische Modellierung von Bodenverflüssigung um marine Strukturen“. In unserem Verbundprojekt untersuchen wir also Prozesse der Bodenverflüssigung.

Bodenverflüssigung, was kann ich mir darunter vorstellen?

Ein Seeboden kann durch Erschütterungen oder Druck zu einer flüssigkeitsähnlichen Masse werden. Dieser Prozess, in dem die Stabilität des Seebodens massiv abnimmt, kann Schäden an marinen Bauwerken, wie zum Beispiel Wellenbrechern, verursachen und muss auch bei schwimmenden Offshore-Windenergie-Plattformen berücksichtigt werden. Diese rücken wir besonders in den Fokus in unserem Projekt.

Wie wollen Sie das Projekt angehen?

Primär geht es darum, ein Computermodell zu entwickeln, mit dem wir in der Lage sind, dieses Phänomen zu simulieren. Der physikalische Prozess ist schon recht gut verstanden. Wir experimentieren mit unseren Partnern in Polen zunächst in kleinem Maßstab. In diesen Experimenten ist noch nicht die schwimmende Struktur enthalten. Wir schauen also zunächst, wie Wellen und Boden miteinander interagieren.

Im zweiten Validierungsschritt kommt dann die schwimmende Offshore-Windkraftanlage in großskaligen Experimenten im Großen Wellenkanal unseres Forschungszentrums Küste in Hannover hinzu. Wir analysieren dann die Interaktion zwischen Welle, Boden und Struktur. Mit unserem Computermodell können wir simulieren, wie der Boden um einen Anker einer schwimmenden Offshore-Windenergieanlage verflüssigt und daraufhin das Design der Anlage anpassen und optimieren. Oder: Wenn man sich nicht sicher ist, ob der Boden an einer bestimmten Stelle komplett tragfähig ist, kann man unser Tool nutzen, um mehr über die Situation vor Ort zu erfahren. Es erweitert also die Möglichkeiten der Standortwahl und sichert gegen Unschärfen ab.

Bevor Sie im vergangenen Jahr an die TU Braunschweig kamen, haben Sie in Irland an der Maynooth University promoviert. Um was ging es in der Promotion?

Während meiner Promotion habe ich mich mit Wellenenergie befasst. Der Floh für dieses Thema wurde mir aber schon weit davor ins Ohr gesetzt. Bereits am Anfang des Masters 2014 an der Technischen Universität Hamburg (TUHH) habe ich mich mit Wellenenergie befasst.

Im Projekt in Irland ging es um die numerische Simulation von Wellenenergiekraftwerken („High-fidelity numerical modelling of ocean wave energy systems“). Die Arbeitsgruppe meines betreuenden Professors befasst sich mit der Einbindung von Regelungstechnik in Wellenenergiekraftwerken, um deren Effizienz zu steigern.

Das Problem dabei: Sobald man Regelungstechnik in ein solches Gerät einbindet, wird die Bewegung des Geräts vergrößert. Und je mehr sich diese schwimmende Boje im Meer bewegt, desto mehr Energie wird produziert. Das klingt erst einmal sehr gut. Doch fast alle Computermodelle für diese Wellenenergiekraftwerke basieren auf der Annahme der linearen Wellentheorie, d.h. dass dort eigentlich sehr kleine Bewegungen angenommen werden. Das geht natürlich dem Ziel der Regelungstechnik zuwider. Deshalb stellte sich die Frage: Wie kann man die linearen Designmodelle verbessern bzw. mit Korrekturfaktoren anpassen, um bessere Ergebnisse zu erhalten? Dazu habe ich hochaufgelöste Simulationen mittels CFD, also Computational Fluid Dynamics oder auf Deutsch „Numerische Strömungsmechanik“, erstellt.

Was ist der Vorteil solcher numerischen Simulationen?

Das Feld der numerischen Simulation ist natürlich riesig. Mit dem OpenFOAM-Simulationstool kann man zum einen die Strömung einer Flugzeugtragfläche simulieren. Man kann die Wellen-Struktur-Interaktion eines Wellenenergie-Kraftwerks berechnen, aber auch Radiowellen. Gerade im Bereich des Küsteningenieurwesens können wir mit Simulationen Kosten senken und Vorhersagen treffen. Diese sind viel günstiger als ein großskaliges Experiment oder ein Test auf dem offenen Meer. Auch wenn numerische Simulationen natürlich nicht kostenlos sind. Wenn ich zum Beispiel eine Sekunde Welle-Struktur-Interaktion simulieren möchte, benötige ich gut und gern 1.000 Sekunden Rechenzeit. Da kommen dann die Supercomputer ins Spiel.

In der Simulation können wir sehr viel schneller Designparameter ändern. Wenn wir beispielsweise die Strömung um die schwimmende Offshore-Windanlage untersuchen möchten und wissen wollen, ob die Plattformen für die Windräder besser mit vier oder drei Auftriebskörpern gebaut werden sollten. Das kann man in einer numerischen Simulation extrem schnell umsetzen.

Ein weiterer Vorteil: Das Ganze kann viel kontrollierter stattfinden. In erfolgreicher Forschung und Entwicklung müssen aber Experiment und numerische Simulation immer zusammen agieren – in der Kombination schaffen wir Mehrwerte.

Wie können Sie Ihr Wissen jetzt im Projekt NuLIMAS einsetzen?

In meiner Promotion habe ich mich mit der Welle-Struktur-Interaktion beschäftigt: die Boje als Struktur, die mit der Welle interagiert. Bei NuLIMAS haben wir auch die Welle-Struktur-Interaktion, mit der Welle und der Struktur der schwimmenden Offshore-Windanlage. Dazu kommt noch die Welle-Struktur-Boden-Interaktion, also ein weiterer Aspekt.

Meine Expertise in diesem Feld und dazu in der numerischen Simulation kommen mir hier natürlich zupass. Diese kann ich hoffentlich erfolgreich im Projekt einsetzen.

Wie kam es, dass Sie in Irland promoviert haben?

Mit der Auswahl meines PhDs habe ich mich recht lange befasst, da ich sehr genau wusste, welches Thema ich bearbeiten wollte. In Deutschland gab es jedoch keine Arbeitsgruppe, die sich mit dem Thema numerische Simulation von Wellenenergiekraftwerken auseinandergesetzt hat. Es kamen im Grunde nur Großbritannien, Schweden und Irland in Frage. Die Maynooth University war eine sehr gute Wahl und insgesamt war es eine gute Erfahrung!

Was hat Sie zurück nach Deutschland gebracht?

Nach dreieinhalb Jahren Irland hatte ich den Drang wieder zurückzukommen, obwohl ich die Zeit dort genossen habe. Es war für mich klar, dass ich irgendwann wieder in Deutschland arbeiten möchte. Glücklicherweise hat sich die Option mit Braunschweig ergeben. Die Entscheidung fiel mir nicht schwer.

Von der universitären Seite habe ich eigentlich nicht den richtigen Background: Im Bachelor habe ich Maschinenbau und im Master Energietechnik studiert, an der Universität Maynooth habe ich am Department für Elektrotechnik promoviert. Damit habe ich von der Ausbildung keinen Bezug zum Küsteningenieurwesen. Aber mit meinem Thema bin ich hier auf jeden Fall richtig!

Haben Sie eine besondere Beziehung zum Wasser oder zu Wellen?

(lacht) Zumindest bin ich nicht an der Küste aufgewachsen. Mein erstes Forschungsprojekt, bei dem es um Wasser ging, hat in Nordirland stattgefunden. Dort habe ich ­− passend zum Thema − mit dem Surfen begonnen. In Braunschweig ist es jetzt natürlich etwas schwierig damit.

Was begeistert Sie an Ihrer Forschung?

Ob Wellenenergie oder Offshore-Windenergie, es handelt sich dabei um eine hochspannende Kombination verschiedener Forschungsprobleme, die gelöst werden können. Im Forschungsbereich marine erneuerbare Energien ist die Community noch verhältnismäßig klein, so dass man auf Konferenzen bestimmte Wissenschaftler*innen immer wieder trifft und sich sehr schnell ein solides Netzwerk aufbauen kann. Auch als frischer Postdoktorand hat man das Gefühl, ein wichtiger Bestandteil zu sein.

Viele der Forschenden in diesem Bereich sind außerdem mit der Motivation dabei, nicht nur interessante Forschung zu betreiben, sondern drängende Probleme des Klimawandels anzugehen. Ich habe den Eindruck, das ist ein besonderer Schlag Mensch. Das finde ich sehr angenehm und inspirierend.

Welche Relevanz hat Ihr Thema für die Stadt der Zukunft?

Natürlich geht es hier um die Energieversorgung. Das ist das große Thema von Leben in der Zukunft. Die Mehrheit der Menschheit wohnt in Küstennähe. Da ist es wichtig, diesen maritimen Bereich in die Energiegewinnung durch erneuerbare Energien mit einzubeziehen. Der Weg von der Produktionsstätte zur Verbrauchsstätte ist kurz. Man kann jedoch nicht nur durch Wind- oder Wellenenergie die Menschen mit Energie versorgen. Es muss hier noch mehr interdisziplinär und international zusammengearbeitet werden.