8. April 2020 | Magazin:

„Die Botschaft wird sich entfalten“ Nachgefragt bei Professorin Ulrike Kaiser

Ostern in Quarantäne: Für Professorin Ulrike Kaiser vom Seminar für Evangelische Theologie und Religionspädagogik ist Corona zugleich herausfordernd und chancenreich. Ein Interview über digitale Kirche, lokale Verbundenheit und eine intensive Passionszeit.

Professorin Ulrike Kaiser im Home-Office. Bildnachweis: Ulrike Kaiser/TU Braunschweig

Um den Corona-Virus einzuschränken, sind Treffen mit über zwei Personen untersagt. Ein Verbot, das auch die Zusammenkünfte von Gläubigen einschränkt.  Frau Kaiser, wie geht Kirche bei Kontaktverbot?

Das ist natürlich ein Problem. Wir merken jetzt, wie wichtig so ein Kontakt ist. Zusammenkünfte wie Gottesdienste sind eine wichtige Gestalt christlichen Lebens. Es gibt aber schon lange digitale Dienste, wie Fernseh- oder Radiogottesdienste. Christinnen und Christen haben zudem immer eine Gemeinschaft im Gebet. Wir müssen nicht zusammenkommen um füreinander und für andere zu beten. So können wir jetzt weitere Formen des Gottesdienstes entwickeln – etwa in sozialen Medien oder in Blogs. Wir beteiligen uns von zu Hause an Kirche. Daher ist Kontaktverbot das falsche Wort. Es findet ganz viel Kontakt statt – nur auf anderen Ebenen.

Werden dann nach Corona mehr Gottesdienste digitalisiert?

Auch wenn wir jetzt gute Formate für digitale Gottesdienste finden: Der Kern der Kirche bleibt in der realen Begegnung. Auch außerhalb von Corona führten sich leerende Kirchen zur Diskussion, ob Gottesdienste nicht ausfallen können. Diese Situation haben wir jetzt und ich merke, dass mir etwas Wichtiges fehlt. Selbst wenn ich nicht im Gottesdienst bin, weiß ich normalerweise, dass er trotzdem stattfindet – und die versammelte Gemeinde betet stellvertretend für die ganze Welt. Diese Konstante fehlt und wird auch nicht durch die großen Radiogottesdienste aufgefangen. Die örtliche Kirche bleibt der spirituelle Mittelpunkt. Ein Gottesdienst von irgendwoher ersetzt nicht die Verbundenheit mit lokalen Orten und Personen.

Durch Krisenzeit und Isolation wächst der Bedarf an Seelsorge. Wie kann dort unterstützt werden?

Seelsorge übers Telefon oder Online gibt es schon länger. Die Digitalisierung wird hier gewissermaßen zum Glücksfall. Und in dieser Krise stellen wir fest, wie gut vernetzt selbst die Älteren sind. Trotz allem müssen wir das Persönliche in der Gemeinde aufrechterhalten. Diese lokale Verbundenheit der Gemeinde ist eine große Chance, jetzt Menschen zu unterstützen. Die Pfarrerinnen und Pfarrer kennen viele Mitglieder ihrer Gemeinde und sind ansprechbar für sie. Aber wir brauchen jetzt auch eine aufsuchende Seelsorge. Nicht warten, bis eine Anfrage kommt, sondern aktiv fragen: Wer könnte allein sein? Wer braucht vielleicht Hilfe? Wer ist körperlich nicht mehr so fit? Diese Fragen lassen sich in einer Gemeinde gemeinsam lösen. Es gibt sehr viele Hilfsangebote und es wächst eine neue Art von Verbundenheit.

Mittlerweile steht Ostern vor der Tür, aber ein Ende von Corona scheint noch nicht in Sicht. Können wir trotzdem Ostern als Fest feiern?

Ostern ist in dieser Zeit herausfordernd und zugleich eine großartige Botschaft. Wir erleben im Moment eine so intensive Passionszeit wie selten. Das Leid der Welt kommt uns gerade sehr nahe. Die Situation ist bedrohlich und wir sorgen uns um andere. Die Stille auf den Straßen wirkt wie ein immerwährender Karfreitag: In der Kirche sind da am Ende die Kerzen aus, die Orgel schweigt und wir gehen auseinander ohne zu reden. Aber die Hoffnung, dass Ostern hinterherkommt, lässt uns das ertragen.

Es gibt eine Ostergeschichte im Johannes-Evangelium, die ich jetzt völlig neu lese: Die Jünger schließen sich zu Hause ein, weil sie Angst haben rauszugehen – wer denkt da jetzt nicht an Quarantäne? Jesus kommt aber trotzdem herein, durch die verschlossene Tür. Er ist einfach da und gibt neue Hoffnung. Diese Hoffnung formulieren wir zu Ostern – eine theologische Herausforderung in der gegenwärtigen Zeit. Aber der Ostertermin steht fest. Selbst wenn es in diesem Jahr mehr Zeit brauchen wird, bis sich die Botschaft entfaltet. Vielleicht erzählen wir bald, was wir in der Krise erlebt und wie wir dort Gott erfahren haben.

Frau Kaiser, wenn Menschen leiden stellt sich häufig die Frage nach dem Warum. Was machen wir aus dieser Krise?

Ich fände es sehr unangebracht, von der großen Strafe Gottes oder gar von Apokalypse zu reden. Wir glauben an einen Gott, der uns in unserem Leiden nahe ist und uns begleitet. Das ist die wichtige Botschaft. Auch über das Warum müssen wir nachdenken. Aber das sehe ich eher auf politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ebene: In welche Richtung gehen wir nach Corona, um nicht in die nächste Krise zu stürzen? Es wird sich hier viel verändern müssen.

Jetzt ist Zeit zum Nachdenken. Was brauchen wir im Leben? Was zerstört unser Lebensstil? Was uns im Moment am dringendsten fehlt, ist der Kontakt zu unserem Umfeld, zu den Menschen, die uns am Herzen liegen. Dafür braucht es in den meisten Fällen keine Flüge um die Welt oder ausufernden Konsum. Hier können wir neu ansetzen und handeln.

Vielen Dank für das Interview.