5. Juni 2020 | Magazin:

Covid-19: Dem Bauplan für Antikörper auf der Spur Einblicke in die Arbeit des Corona Antibody Teams

Kai-Thomas Schneider und Nora Langreder sind Promovierende am Institut für Biochemie, Biotechnologie und Bioinformatik der Technischen Universität Braunschweig. Seit einigen Monaten arbeiten sie mit im Corona Antibody Team (CORAT), einem Zusammenschluss aus Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftlern und industriellen Partnern. Das Konsortium entwickelt neutralisierende Antikörper gegen das SARS-CoV-2-Virus. Im Gespräch haben die beiden uns erzählt, wie die Suche nach Antikörpern an der Carolo-Wilhelmina aussieht, was Antikörper-Genbibliotheken sind und warum Teamwork so wichtig für ihre Forschung ist.

Die beiden Promovierenden Nora Langreder und Kai-Thomas Schneider arbeiten im CORAT Konsortium mit. Bildnachweis: Michael Hust/TU Braunschweig

Gut gelaunt und mit Mund-Nasen-Bedeckung erscheinen Kai-Thomas Schneider und Nora Langreder zu unserem Gespräch per Videokonferenz. Sie sind Teil des CORAT Konsortiums, das eine passive Immuntherapie gegen das Corona-Virus entwickelt. Die beiden promovieren seit etwa einem Jahr am Institut für Biochemie, Biotechnologie und Bioinformatik. Zur Unterstützung des CORAT Konsortiums haben sie ihre eigenen Projekte vorübergehend zurückgestellt.

Die Arbeit im Konsortium macht ihnen Spaß, und das merkt man: „Wir freuen uns, dass wir einen Teil dazu beitragen können, in der aktuellen Situation zu helfen“, sagt Nora Langreder und Kai-Thomas Schneider ergänzt: „Dazu gehört auch, an Wochenenden oder Feiertagen zu arbeiten. Aber wir wissen, wofür wir das tun und was daraus entstehen kann. Das ist unsere Motivation.“

Wie Antikörper helfen können

Antikörper haben im Kampf gegen das Corona-Virus eine wichtige Rolle: Sie verhindern, dass das Virus in unsere Zellen eindringen kann. Wenn wir krank sind, bildet unser Immunsystem Antikörper gegen die Krankheitserreger (Antigene). Ihr Bauplan ist im immunologischen Gedächtnis verankert. Bei einem erneuten Kontakt mit einem bekannten Antigen kann das Immunsystem stärker und schneller reagieren als beim Erstkontakt. Da SARS-CoV-2 aber ein neuartiges Virus ist, haben viele Menschen noch keine Antikörper dagegen entwickelt.

Hier könnte eine passive Immuntherapie helfen, an der auch das CORAT Konsortium forscht: Die verabreichten Antikörper könnten den Erreger blockieren und so einen Schutz liefern, bis das Immunsystem eigene Antikörper produziert hat. Auf diese Weise könnten bereits erkrankte Menschen geheilt und sogar Risikopatientinnen und -patienten oder medizinisches Personal geschützt werden. Ähnliche Therapien gibt es schon für andere Krankheiten wie Diphtherie oder Tetanus. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Konsortiums sind zuversichtlich, auch einen geeigneten Kandidaten gegen das Corona-Virus zu finden. Wie aber sucht man am besten danach?

Dem Bauplan von Antikörpern auf der Spur

Dabei helfen so genannte Antikörper-Genbibliotheken. Sie werden aus Immunzellen im menschlichem Blut gewonnen und in kleinen Teströhrchen aufbewahrt, in die etwa 1,5 Milliliter passen. Rund 10 Milliarden Antikörper-Baupläne umfasst eine solche Genbibliothek. „Am Institut haben wir zahlreiche dieser Antikörper-Genbibliotheken. Sie wurden in Vor-Corona-Zeiten aus menschlichem Blut gewonnen und enthalten, vereinfacht gesagt, die Informationen für die Grundkonstruktion praktisch aller Antikörper, die die Spezies Mensch erzeugen kann“, erklärt Kai-Thomas Schneider. „Diese Baupläne zeigen die typische Folge von Aminosäuren, die bestimmen, wie einzelne Antikörper aussehen. Mit diesen Informationen können wir verschiedene Antikörper immer wieder neu produzieren.“

Dieses kleine Röhrchen enthält eine Antikörper-Gendatenbank mit rund 10 Milliarden Antikörper-Bauplänen. Bildnachweis: Michael Hust/TU Braunschweig

Zusätzlich hat das Team solche Bibliotheken aus dem Blut von geheilten Corona-Patientinnen und Patienten erstellt, da hier die Wahrscheinlichkeit noch größer ist, einen passenden Antikörper zu finden. Mithilfe der Antikörper-Genbibliotheken testet das Team nun, welche Antikörper an die Protein-Hülle des Corona-Virus binden und so verhindern, dass es in andere Zellen eindringt. Anschließend testen sie auf Inhibierung, also ob der Antikörper das Andocken des Corona-Virus an die Zellen hemmen kann. „Wir testen zuerst nicht mit dem echten Corona-Virus, sondern nur mit einem Teil der Oberfläche des Virus´. Dieser Teil ist aber für das Andocken der Viren an die Zelle essentiell. So treffen wir eine Vorauswahl“, sagt Nora Langreder. Die Antikörper mit den besten Eigenschaften werden dann an das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) weitergegeben. Dort wird mit SARS-CoV-2-Viren getestet, ob die Antikörper diese Viren blockieren können.

Antikörper aus dem Reagenzglas

Die Antikörper-Genbibliotheken und die Antikörper für die Tests erzeugen die Doktorandin und der Doktorand zusammen mit dem restlichen Team um Professor Stefan Dübel und Professor Michael Hust vom Institut für Biochemie, Biotechnologie und Bioinformatik mithilfe des Antikörper-Phagen-Displays. „Das ist eine Methode, um Antikörper im Reagenzglas ohne die Immunisierung von Tieren zu erzeugen“, erklärt Stefan Dübel, einer der Erfinder der Methode. „Dabei werden menschliche monoklonale, also aus einem einzigen Zellklon stammende Antikörper aus menschlichem Blut, auf der Oberfläche eines Phagen, einer Art ´Transportvirus´, festgehalten.“ Antikörper, die mit dieser Methode hergestellt werden, haben den Vorteil, dass sie keine synthetischen oder chemisch hergestellten Stoffe, sondern körpereigene Moleküle sind und dadurch kaum Nebenwirkungen haben.

„Eine Doktorarbeit in größerem Maßstab und kürzerer Zeit“

Um geeignete Antikörper-Kandidaten gegen das Corona-Virus zu finden, arbeitet das Team an der Carolo-Wilhelmina auf Hochtouren. „Vor Corona hat jeder von uns für sich an seinem oder ihrem eigenen Projekt geforscht. Die Arbeit jetzt fühlt sich an wie eine Doktorarbeit in einem viel größeren Maßstab und in kürzerer Zeit, die wir alle als Team gemeinsam machen. Das klappt super, weil wir uns aufeinander verlassen können“, beschreibt Nora Langreder die Zusammenarbeit. Kai-Thomas Schneider fügt hinzu: „Wir haben alle jede Menge dazu gelernt und sind auch als Team noch einmal mehr zusammengewachsen. Die Arbeit im Labor funktioniert nur, weil alle mithelfen. Auch vermeintlich kleinere Aufgaben wie die Bestellung von Materialien oder das Sterilisieren von Arbeitsgeräten sind wichtig, damit die Forschung funktionieren kann. Wir sind besonders dankbar, dass uns auch die technischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier fantastisch unterstützen.“

Wie geht es weiter?

Gemeinsam mit dem Biotechnologieunternehmen YUMAB, einer Ausgründung der TU Braunschweig, haben die Forschenden der Carolo-Wilhelmina mehrere tausend Antikörper untersucht. 47 der am besten inhibierenden Antikörper wurden zur weiteren Testung an das HZI übergeben. Hier konnten bereits mehr als zwanzig Antikörper-Kandidaten identifiziert werden, die das neuartige SARS-CoV-2-Virus neutralisieren. „Solche neutralisierenden Antikörper-Kandidaten zu finden ist unser wichtigster Meilenstein auf dem Weg zu einer passiven Immuntherapie gegen Covid-19. Bis zum fertigen Wirkstoff sind aber noch viele weitere Schritte und Tests notwendig“, sagt Michael Hust. Normalerweise dauert das entsprechende Zulassungsverfahren etwa eineinhalb Jahre und länger. Das Team sucht gemeinsam mit Partnern aus Forschungsinstituten, Unikliniken und Unternehmen Mittel und Wege, um diese Prozesse abzukürzen und trotzdem alle erforderlichen Sicherheits- und Qualitätsanforderungen für Medikamente einzuhalten. „Der nächste Schritt sind klinische Studien, die hoffentlich im Herbst beginnen können“, sagt Stefan Dübel. Erst nach erfolgreichen klinischen Testreihen kann das Medikament in Krankenhäuser und Arztpraxen gelangen.