Cambridge: Junge Köpfe, alte Traditionen Fünf Fragen an Prof. Stefan Schulz, Mitglied des St. John’s College der Universität
Eine Beaufort Visiting Scholarship des St. John’s College der Universität Cambridge wird nicht jedem angetragen. Professor Stefan Schulz, Institut für Organische Chemie, hat das Angebot erhalten und angenommen. Zwei Monate lang hat er an der renommierten britischen Universität geforscht. Damit ist er Mitglied des Colleges auf Lebenszeit geworden. Im Gespräch schildert er seine Eindrücke.
Herr Professor Schulz, Ihnen wurde eine Beaufort Visiting Scholarship angetragen. Wie kam es dazu, und was bedeutet das eigentlich?
Es ist vom Aufgabenspektrum her eigentlich eine normale Gastprofessur. Allerdings an einer Universität, die sich als die beste der Welt sieht. Gemeinsam mit meinem Kollegen Professor Chris Jiggins, mit dem ich schon länger zusammenarbeite, habe ich an einem Projekt in der Evolutionsgenetik geforscht. Dabei geht es um tropische Heliconius-Schmetterlinge. Sie weisen einen großen Artenreichtum und eine hohe Artbildungsgeschwindigkeit auf und sind Meister im Mimikry: Sie passen sich durch Nachahmung sehr gut an ihre Umweltbedingungen an. Für Chris Jiggins und seine Kollegen sind die Schmetterlinge ideale Modellorganismen, um Rückschlüsse über evolutionäre Prozesse zu ziehen. Sie kommunizieren mit Hilfe von Pheromonen, und das ist wiederum eines meiner Forschungsthemen. Pheromone sind Botenstoffe für die chemische Kommunikation, mit deren Hilfe sich auch kleine Tiere über größere Entfernungen miteinander austauschen können. Gemeinsam haben wir in Cambridge untersucht, wie sich Pheromone in der Evolution entwickelt haben, und welche Rolle sie bei der Ausprägung der Arten spielen.
Worin liegen die größten Unterschiede im Vergleich zu einer deutschen Universität?
Das britische College-Prinzip ist für uns aus deutscher Perspektive nicht ganz leicht verständlich. Das St John’s College ist eines der größten und wohlhabendsten Colleges der Universität Cambridge. Die Colleges übernehmen einen Teil der universitären Ausbildung. Das Verhältnis der Studierenden zu den Lehrenden beträgt etwa fünf zu eins. Jährlich bewerben sich 1000 junge Menschen am St. John’s, etwa 800 davon werden eingeladen (alle ausschließlich mit Bestnoten), und nur 150 werden zugelassen. Ich selbst habe in der Zeit dort nicht gelehrt, sondern im Labor gearbeitet. Die Doktorandinnen und Doktoranden dort sind sehr fokussiert und noch zielstrebiger im Vergleich zu unseren. Besonders gute Nachwuchswissenschaftlerinnen und wissenschaftler können für fünf Jahre Fellow werden.
Vom Campusleben in Cambridge gibt es viele Klischees – stimmen die alle?
Ein Riesenthema dort ist Tradition. Man begegnet ihr auf Schritt und Tritt – im Stadtbild etwa, und in den Ritualen. Das gemeinsame Essen im College ist etwas Besonderes. Das Kollegium trifft sich um halb acht zum Sherry. Die Fellows dort, also die Mitglieder des Kollegiums, tragen Talare, für Visiting Scholars genügten Schlips und Jackett tragen. Dann kommt der Master, auf Deutsch etwa der Vorstand, und man geht gemeinsam in die Halle, in der auch die Studierenden essen. Dort setzt man sich an den High Table, also die Tische im Bereich für die Professoren, der tatsächlich eine Stufen höher steht als die anderen. Der Master spricht ein lateinisches Gebet, dann isst man gut, nach einer Stunde steht der Master auf, und das Kollegium verlässt geschlossen den Saal. Die Studierenden bleiben unten, bei denen geht es dann erst richtig los.
Diese Rituale mögen auf den ersten Blick angestaubt wirken – tatsächlich stehen aber junge Köpfe jeden Alters für diese Traditionen. Besonders hat mich der Lunch beeindruckt. Für die Lehrenden geht es dabei in einen Speiseraum mit einem sehr langen Tisch. Man setzt sich dort nicht zu seinen Fachkollegen, sondern an den jeweils nächsten freien Platz. Dadurch sitzt man immer neben jeweils anderen Personen. So entstehen gute Gelegenheiten, sich mit Kollegen anderer Fächer auszutauschen. So etwas fehlt an deutschen Universitäten.
Ist der Brexit auf dem Campus ein Thema?
Ja. Die Stimmung ist überall in Cambridge sehr gegen den Brexit. Natürlich gibt es die Befürchtung, dass die britischen Universitäten von der Europäischen Forschungsförderung abgeschnitten werden, von der sie bisher sehr profitiert haben. Man spürt durchaus die große Unzufriedenheit mit der Situation, hört aber keine Klagen. Jetzt werden eben Alternativen diskutiert.
Nun sind Sie Mitglied des St. John’s College in Cambridge auf Lebenszeit. Sind mit diesem Status Privilegien oder Verpflichtungen verbunden?
Beides: Mit Chris Jiggins habe ich verabredet, dass wir weiter zusammenarbeiten. Ich kann nun nach den Statuten jederzeit wiederkommen und bis zu drei Tage im College bleiben – aber nur, wenn ich am Dinner teilnehme.