Auswirkungen von Viren auf das Nervensystem Iranische Nachwuchswissenschaftlerin Dr. Shirin Hosseini forscht am Zoologischen Institut als Postdoktorandin
Wie beeinflussen Influenza- und Coronaviren unser Nervensystem? Dieser Frage geht Dr. Shirin Hosseini in der Abteilung Zelluläre Neurobiologie am Zoologischen Institut der TU Braunschweig nach. Institutsleiter Professor Martin Korte holte die talentierte Nachwuchswissenschaftlerin aus dem Iran im Jahr 2014 als Doktorandin nach Braunschweig, unterstützt durch das internationale Graduiertenkolleg am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig.
Wer sind Sie und woher kommen Sie?
Ich habe an der Schahid-Beheschti-Universität in Teheran einen Bachelor-Abschluss in Biologie und an der Firdausi-Universität in Maschhad einen Master-Abschluss in Tierphysiologie gemacht. Ende 2013 lernte ich Professor Martin Korte und Dr. Kristin Michaelsen-Preusse vom Zoologischen Institut der TU Braunschweig über eine internationale Ausschreibung des Graduiertenkollegs am HZI kennen. Sie gaben mir die Möglichkeit, hier zu forschen und Ende 2017 zu promovieren, wofür ich ihnen sehr dankbar bin. Mein Professor Masoud Fereidoni aus meiner Heimat unterstützte und bestärkte mich dabei. Seit 2018 forsche ich an unserem Institut als Postdoktorandin.
Ich denke, dass Deutschland für die Entwicklung junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ideale Bedingungen bietet. Vor allem in den Bereichen Medizin, Lebenswissenschaften, Physik und Chemie haben deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon viele bedeutende Preise bekommen. Sie sind weltweit sehr anerkannt.
Für die TU Braunschweig habe ich mich entschieden, weil sie über exzellente Forschungsbedingungen in den Lebenswissenschaften verfügt und von renommierten Wissenschaftlern wie Professor Martin Korte im Bereich der Neurowissenschaften profitiert. Außerdem haben mich die interessanten Kooperationen mit Forschungseinrichtungen wie dem HZI angesprochen.
Woran forschen Sie? Wie würden Sie Ihre Arbeit einer fachfremden Person erklären?
Bereits in meiner Promotion und auch jetzt als Postdoktorandin erforsche ich die akuten und langfristigen Auswirkungen von Influenza-Infektionen auf die kognitiven Funktionen des Gehirns, wie zum Beispiel Lern- und Gedächtnisprozesse. Vor allem beeinträchtigen diese Viren zwar das Atmungssystem. Einige Studien haben aber auch langfristige neurologische Folgen nachgewiesen. Sie reichen von leichten kognitiven Effekten über Krampfanfälle und Parkinson-Erkrankungen bis hin zu anderen Schädigungen des Gehirns. Möglicherweise erhöhen sie auch das Risiko von Schlaganfällen und Gehirnentzündungen.
Einige Atemwegsviren können direkt in das Gehirn eindringen (neurotrop) und eine lokale Neuroinflammation verursachen, eine Entzündung von Nervengewebe im Gehirn. Aber auch Viren, denen das nicht gelingt, können großen Schaden im Körper anrichten, indem sie einen gefährlichen Zytokinsturm auslösen. Dieser hat verheerende Auswirkungen auf fast alle Organe des Körpers, einschließlich des Gehirns. Prozesse wie die Neuroinflammation werden auch mit Krankheiten wie Alzheimer in Verbindung gebracht.
Kern meiner Forschung ist es herauszufinden, auf welche Weise Influenza-Viren unmittelbare oder auch langfristige Folgen auf unser empfindliches und hochkomplexes Nervensystem haben.
Welcher Fragestellung gehen Sie derzeit konkret nach?
Nach wie vor ist es schwer nachzuweisen, dass Influenza-Infektionen neurologische Störungen auslösen können. Das liegt auch daran, dass entsprechende Effekte oft mit Verzögerung auftreten. Die detaillierten Mechanismen konnten bislang nicht erklärt werden.
Ich konzentriere mich derzeit auf die Frage, wie Influenzaviren über die Aktivierung von Immunzellen des Gehirns die neuronale Funktion und die synaptische Plastizität, also die nutzungsbedingte Anpassungsfähigkeit, stören. Ich möchte herausfinden, wie diese Effekte insbesondere bei älteren, hochgradig gefährdeten Personen das Fortschreiten von Erkrankungen wie Alzheimer begünstigen.
Lange Zeit wurde angenommen, dass das zentrale Nervensystem vom Immunsystem getrennt ist. In der Forschung hat hierzu in den vergangenen zwanzig Jahren jedoch ein Umdenken stattgefunden. Daher möchten wir, zunächst am Mausmodell, die Kommunikation zwischen dem Immunsystem und dem Nervensystem beleuchten.
Gibt es Anzeichen dafür, dass auch Covid-19 langfristige Auswirkungen auf das zentrale Nervensystem des Menschen hat?
Bei Covid-19 leiden die Patient*innen häufig unter Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel oder einem verminderten Geruchs- und Geschmackssinn. Es kamen aber auch schon viele Schlaganfälle, Hirnblutungen und demenzähnliche Syndrome vor, was darauf hindeutet, dass SARS-CoV-2 tatsächlich das zentrale Nervensystem schädigen kann. Rund die Hälfte der Patient*innen mit solchen mentalen Folgen sind jünger als 60 Jahre. Sowohl Personen mittleren Alters als auch ältere Menschen sind demnach einem Risiko ausgesetzt, neurologisch Folgen durch eine Covid-19 Erkrankung davonzutragen.
Neuere Erkenntnisse zeigen, dass einige Patient*innen über Wochen oder Monate über anhaltende neurologische Komplikationen klagen, die von leichteren Symptomen wie Kopfschmerzen und Müdigkeit bis hin zu schwerwiegenderen Zuständen wie Schlafstörungen, Schmerzen und kognitiven Beeinträchtigungen reichen. Dies wird als „Long-Covid“ bezeichnet.
Klinisch konnten diese Auswirkungen jedoch bislang nicht ausreichend mechanistisch erklärt werden. Daher ist meiner Meinung nach eine sofortige neurowissenschaftliche Erforschung der Covid-19-Folgen anhand von Tiermodellen notwendig. Am Zoologischen Institut planen wir bereits Experimente mit hACE2-Mäusen, die mit SARS-CoV-2 infiziert werden sollen. Daraus möchten wir Erkenntnisse über die akuten und langfristigen Auswirkungen des Virus auf das Nervensystem gewinnen.
Was begeistert Sie an Ihrer Forschung?
Schon immer war ich davon fasziniert, wie unser Gehirn funktioniert. Es ermöglicht uns zu lernen, zu denken, Probleme zu lösen und kreativ zu sein. Ich möchte verstehen, was die kognitiven Fähigkeiten des Gehirns beeinflussen kann. Besonders spannend finde ich es zu erforschen, wie Immunsystem und Nervensystem zusammenhängen und wie Viren die Hirnfunktion beeinträchtigen. Diese Neugierde führte mich dazu, Neurowissenschaftlerin zu werden. Ich kann sagen: Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht!
Was möchten Sie mit Ihrer Forschung in der Zukunft erreichen?
In den letzten hundert Jahren sind mehrere globale Pandemien durch das Auftreten neuartiger Atemwegsviren entstanden, darunter auch Influenzaviren, gegen die der Mensch zum Zeitpunkt des Auftretens keine Immunität besaß. Aus der Corona-Pandemie können wir lernen, wie wir mit zukünftigen Pandemien besser umgehen können.
In meiner Forschung möchte ich die detaillierten Mechanismen der verheerenden Auswirkungen sowohl neurotroper als auch nicht-neurotroper Viren auf die Gehirnfunktion entschlüsseln. Ich hoffe, dass meine Erkenntnisse in Zukunft dazu beitragen werden, geeignete Behandlungsmethoden oder Impfstoffe zu entwickeln.