Aus der Betriebsarztpraxis: Waldbaden – Gesundheitsvorsorge zwischen Bäumen Dr. Ulrich Loth klärt auf
Viele Menschen gehen gerne in den Wald – zum Spazierengehen, zum Pilze suchen, zur Erholung. Die saubere Luft, die besondere Stille und die speziellen Gerüche ziehen uns an. Wer die Natur mit allen Sinnen wahrnehmen will, geht „Waldbaden“.
Die Bedeutung natürlicher Umgebung für unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit wird auch wissenschaftlich zunehmend erkannt. In Japan ist das Waldbaden – das Shinrin-yoku – seit den 1980er Jahren ein Begriff, das heißt das Eintauchen in die besondere Natur und Atmosphäre des Waldes. Bereits der Anblick von Bäumen senkt Stresshormone, verbessert die Stimmung und trägt zu unserem Wohlbefinden bei.
Hinzu kommt das spezielle Klima. Die Luft in Wäldern ist so staubarm wie sonst nur im Gebirge oder am Meer. Die Konzentration von Staubteilchen liegt nur bei einem bis zehn Prozent von der in Städten.
Umgeben von Duftstoffen
Im Wald ist die Luft durchdrungen von bioaktiven Substanzen in Form von Duftstoffen, die als Signal- und Botenstoffe wirken. Sie ermöglichen die Kommunikation zwischen den verschiedenen Pflanzen, zum Beispiel über Schädlinge oder zum Anlocken von nützlichen Insekten.
Bei den Duftstoffen handelt es sich im Wesentlichen um Terpene, Hauptbestandteil der in Pflanzen produzierten ätherischen Öle, wie z.B. Alpha-und Beta-Pinen (terpentinartig) , Limonen (zitrusartig) und 1,8-Cineol (kampferartig). Alpha-und Beta-Pinene sind auch in Fichtennadeln, Dill, Fenchel, Koriander, Kümmel und Rosmarin enthalten. Terpene werden über die Blätter bzw. Nadeln und die Borke von Bäumen abgegeben. Außerdem kommen sie aus dem Boden, strömen aus Wurzeln und Bodenorganismen.
Wieso wirken Terpene auf uns?
Das Immunsystem, unser Abwehrsystem, überwacht ständig unseren Organismus, achtet auch auf eindringende Mikroorganismen und aufgenommene Substanzen. Gut spricht es auf die bioaktiven Substanzen der Bäume an. Waldspaziergänge, der Aufenthalt im Wald, aktivieren den Vagus, den „Nerv der Ruhe und Regeneration“. Dieser stellt ein Nervennetzwerk dar, welches mit den Organen verbunden ist. In Ruhe ist die Konzentration der „Stress“-Hormone Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol im Blut geringer.
Studien des japanischen Mediziners Professor Quing Li und seines Waldmedizin-Teams ergaben: Ein Bad im Wald senkt den Blutdruck und reduziert Stresshormone. Die Waldluft fördert die Bildung und Aktivierung von sogenannten Killerzellen. Als Killerzellen werden Immunzellen bezeichnet, die veränderte Körperzellen – von Krankheitserregern befallene oder unkontrolliert wachsende Zellen – erkennen und deren Abbau herbeiführen.
Gesundheitsvorsorge mit Shinrin-yoku
Shinrin-yoku ist in Japan zu einem Bestandteil der Gesundheitsvorsorge geworden. In Deutschland gibt es vereinzelt Waldkindergärten und seit 2016 den ersten Kur- und Heilwald Europas, im Ostseebad Heringsdorf auf der Insel Usedom. Mitte September 2017 haben sich dort ca. 150 Fachleute aus Europa, Asien und Australien beim 1. Internationalen Heilwaldkongress über die Nutzung des Waldes für die Gesundheit ausgetauscht.
Welche Bedeutung eine natürliche Umgebung eines Krankenhauses für die Heilung haben kann, beschrieb bereits 1984 der amerikanische Architekturprofessor Roger Ulrich in der Fachzeitschrift „Science“: „Der Blick durch ein Fenster kann die Regeneration nach einem chirurgischen Eingriff beeinflussen.“ Eine Patientengruppe befand sich in Zimmern mit Blick auf eine Wand, eine zweite mit Blick auf Laubbäume. Die Patienten mit dem Blick ins Grüne hatten kürzere stationäre Behandlungsdauern, nahmen weniger Schmerzmittel und hatten weniger Komplikationen nach der Operation.
Ein Beitrag von Dr. Ulrich Loth